Was gibt es nicht alles über die alten Griechen und Römer zu lesen, zu sehen und zu bestaunen. Doch über den bedeutendsten Herrscher des frühen lateinischen Mittelalters auf unserem Kontinent, Karl den Großen und seine Karolinger, gibt es vergleichsweise wenig historische Monumente und Dokumente. Aber dass, was nach derzeitigem Stand der Wissenschaft über den oft als Vater des europäischen Gedankens gefeierten Kaiser gesagt und gezeigt werden kann, gibt es in dieser Fülle und an einem Ort derzeit nur in Aachen zusehen. Hier läuft noch bis zum 21. 09.2014 die reichhaltige Ausstellungstrias „Karl der Große. Macht Kunst Schätze“, die anlässlich seines 1200. Todestages im Karlsjahr 2014 nach über dreijähriger Planungszeit an drei Orten im Herzen der Stadt nun für die Öffentlichkeit zugänglich ist.
„Heerführer, Richter und Reformer“
Auf dem Katschhof, zwischen Dom und Rathaus, fand die feierliche Eröffnung just auf dem Boden der ehemaligen Kaiserpfalz statt, zu der Bundespräsident Joachim Gauck nebst Lebensgefährtin Daniela Schadt angereist war. „Auch wenn Karl vielleicht nur wegen der heißen Quellen in Aachen sesshaft geworden ist, sein Leben und seine Herrschaft war sicher nicht durch Wellness geprägt gewesen. Im Gegenteil: Er war ein Mann der Tat und des entschiedenen politischen Wirkens, als Heerführer und Kriegsherr, Richter und Herrscher, Reformer und Anreger“, hob Gauck bei seiner Eröffnungsrede hervor. Mit diesen Worten umschrieb der Bundespräsident auch die Spannweite der dreiteiligen Ausstellung, die im Krönungssaal des Aachener Rathauses, der Domschatzkammer und des neu geschaffenen (Stadt-)Museums Centre Charlemagne mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu sehen ist.
Für deren wissenschaftliche Qualität bürgt unter anderem der Bonner Historiker Professor Dr. Rudolf Schieffer, der bis 2012 fast 20 Jahre lang Präsident der Monumenta Germaniae Historica war. Nicht nur Karls Grab in der Pfalzkirche lasse Aachen als Ausstellungsort richtig erscheinen, auch habe der mächtige Frankenherrscher sich von hier aus um Kultur und Bildung gekümmert, sagte der Historiker. Dennoch rücken die Ausstellungsmacher und Kuratoren der Stadt (!) nicht ihren Heimatort in den Vordergrund der Schau, sondern versuchen den Weg Charlemagnes aus vielen Blickwinkeln inhaltlich und methodisch zu betrachten – und keine neue Legendenbildung oder Heiligenvita zu schaffen. Ein Blick in die einzelnen Stationen.
Kurator der Ausstellung im Krönungssaal „Orte der Macht“ ist Professor Dr. Frank Pohle, der außergewöhnliche Arbeit geleistet hat. © Frank Fäller
Krönungssaal – Orte der Macht
Passender könnte der Ort nicht gewählt werden, als der Krönungssaal des Rathauses, der für drei Monate zum Ausstellungsort wird. Hier geht es um Macht. Kurator dieser Ausstellung ist Professor Dr. Frank Pohle, der außergewöhnliche Arbeit geleistet hat. So mussten die Exponate nicht nur zusammengetragen werden, sondern als kulturgeschichtlicher Parcours in den historischen Raum integriert werden (und ihre Wirkung entfalten). „Erzählt wird der Weg Karls des Großen vom Wanderkönig zur Sesshaftigkeit in seiner Residenz Aachen, die für einige Jahrzehnte zum politischen Mittelpunkt Europas, zum ‚Ort der Macht‘ wird und davon bis heute zehrt. Es ist ein Rundgang durch die Brille Karls des Großen, es geht um Macht und Machtausdruck – und mündet natürlich in die Frage, warum uns Orte der Macht wichtig sind“, beschreibt Pohle den Leitgedanken. Archäologische Artefakte, ein karolingischer Panzerreiter, ein virtueller Karlsschrein im Wandel der Zeit und interaktive Elemente gehen der Frage nach Macht und letztlich ihrer Faszination bis in die heutige Zeit nach. Wie aber konnte Karl der Große Kultur und Bildung fördern? Durch Künstler und Gelehrte aus allen Ecken seiner riesigen Reiches und darüber hinaus. Dazu schreiten wir einen Steinwurf fort ins neue Centre Charlemagne und weiter in die Domschatzkammer.
Herausragend ist der Tassilokelch aus dem Benediktinerstift Kremsmünster, der aus der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts stammt und als der bedeutendste unter allen erhaltenen mittelalterlichen Kelchen gilt. © Frank Fäller
Centre Charlemagne – Karls Kunst
13 Vitrinen und 31 Objekte in zwei Räumen der Wechselausstellung beherbergen die kostbaren Schätze aus karolingischer Zeit, von denen es vergleichsweise nur wenige gibt. Zudem sind sie über viele Museen verteilt, sodass es bereits ein enormer Schritt für die Kuratoren Peter van den Brink und Sarvenaz Ayooghi war, diese seltenen Kunstwerke in Aachen zu versammeln. Klein, aber fein ist die richtige Bezeichnung für diesen Teil der Trias. Die Fibel von Dorestad aus dem Museum Leiden etwa ging überhaupt erstmals auf Wanderschaft. Die kleine Mantelschließe aus Blattgold mit Edelsteinen, Perlen, Glas und Emaille verziert ist der einzige archäologische Fund aus der elitären Gesellschaft der karolingischen Hofkunst. Herausragend ist der Tassilokelch aus dem Benediktinerstift Kremsmünster, der aus der 2. Hälfte des 8. Jahrhunderts stammt und als der bedeutendste unter allen erhaltenen mittelalterlichen Kelchen gilt. Neben Goldschmiedearbeiten sind – aus konservatorischen Gründen ebenfalls nur behutsam beleuchtet – Krönungsbücher und prachtvolle Elfenbeinschnitzereien ausgestellt, die zum Beispiel kostbare Schriften wie das Lorscher Evangeliar (um 810 in Aachen entstanden) schmücken. Die Vorderseite trat die Reise aus dem Londoner Victoria und Albert Museum an, die Rückseite kam aus den Vatikanischen Museen – nun wieder kurz zusammengeführt in Aachen.
Kurator Peter van den Brink ist stolz, 31 seltene Kunstwerke im neuen Stadtmuseum Centre Charlemagne versammelt zu haben. © Stadt Aachen, Andreas Herrmann
Domschatzkammer– Verlorene Schätze
Ohne Frage sah sich Karl als von Gott beauftragter Herrscher, so ist die Verbreitung des Christentums (kriegerisch bis zum Äußersten etwa gegen die ungläubigen Sachsen) ein wesentlicher Bestandteil seiner Zeit. Welche kulturelle und geistige Erneuerung jedoch damit einherging, belegen zum Teil die 61 Exponate in der Domschatzkammer. Sie kehren als Bestandteile des Aachener Domschatzes für die Dauer der Ausstellung zur Freude von Kurator Dr. Georg Minkenberg wieder für kurze Zeit zurück. Der Proserpina-Sarkophag, Karls erstes Grab, ein Marienkameo aus Bergkristall, ein ottonisches Elfenbeinkästchen, Fragmente kostbarer Krönungsmäntel und wertvolle Handschriften zählen zu den Höhepunkten, die der Besucher zwischen den ständigen Exponaten des Domschatzes entdecken kann. Auf nach Aachen, schon über 2.800 Besuchergruppen hatten sich bis zur Eröffnung angemeldet und zeigen das riesige Interesse an Kaiser Karl, der so für kurze Zeit nach Aachen zurückkehrt.
(Frank Fäller)