Von Hannah Ahrendt über Joseph Beuys und Rainer Werner Fassbinder

Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle. Foto: BKH

KABINETT sprach mit Dr. Eva Kraus, der Intendantin der Bundeskunsthalle über das Ausstellungsjahr 2021 – Im Zentrum Mode und Film

Die Kultur, explizit die Bildende Kunst befindet sich seit Monaten in einem Zustand physischer Stagnation. Das meiste wird digital verortet. Dabei sind Kultureinrichtungen, dazu zählen nicht zuletzt die Museen, entscheidene Orte „der Inspiration, der Kontemplation, der Sinnstiftung“, sagt Dr. Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle (BKH). Ihr Haus biete eine wunderbare Alternative zu einem Spaziergang zur häuslichen Isolation zu digitalen Angeboten. KABINETT hatte Gelegenheit mit der Kulturmanagerin über das Ausstellungsprogramm 2021 zu sprechen, das sich als sehr vielfältig erweist. Die BKH wird Ausstellungen in den Bereichen der Kunst,- Kultur- und Geistesgeschichte ausrichten, sowie interdisziplinäre Projekte realisieren. Darüber hinaus werden Präsentationen in den so genannten „Anderen Künsten“ angeboten, wie zur Mode und zum Film.

Mehr als 300 Objekte und Filminterviews

Eingeläutet wird das neue Ausstellungsjahr mit Hannah Arendt (1906 –1975). „Sie ist mein großes Vorbild“. Viel Bewunderung spricht aus den Worten von Eva Kraus, wenn sie sich über die „große Philosophin und Denkerin“ äußert. „Hannah Ahrendt gehört zu den wichtigsten weiblichen Vorbildern unserer Zeit. Ihre Themen und Thesen sind von größter Aktualität. Obwohl sie kontrovers betrachtet und diskutiert wurde, hat sie als Frau mit großer Standhaftigkeit ihre Meinung gesagt, verteidigt und uns zugleich ermutigt, es ihr gleich zu tun. Ihr Aufruf zu Mündigkeit und Ausbildung unserer Urteilskraft hat bis heute große Relevanz. Sie gibt uns eine Direktive“, so Kraus. Die Ahrendt-Schau, sie entstand in Kooperation mit dem Deutschen Historischen Museum in Berlin, zeigt Hannah Ahrendt als Intellektuelle und politische Theoretikerin, die zu Ereignissen ihrer Zeit Stellung nahm und unser Verständnis für das 20. Jahrhundert prägte. Eigensinnig, strittig und anregend äußerte sie sich über Totalitarismus, Antisemitismus, die Lage von Flüchtlingen, den Eichmann-Prozess, Zionismus, das politische System und die „Rassen-Trennung“ in den USA, die Studentenproteste und Feminismus. Mehr als 300 Objekte, historische Filmaufnahmen mit Hannah Arendt sowie zahlreiche aktuelle Filminterviews gehen der Frage nach: Was bedeutet Urteilen? Entlang von 16 zeithistorischen Themenpunkten veranschaulicht die von Dr. Monika Boll kuratierte Ausstellung, wie die Urteile der aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflüchteten jüdischen Denkerin vor den Herausforderungen ihrer Zeit entstanden und welche Reaktionen sie hervorriefen

Bilder lesen“ mit Aby Warburg

Eva Kraus, die bekanntermaßen als Nachfolgerin von Rein Wolfs seit dem 1. August 2020 die künstlerischen Geschicke der Bundeskunsthalle in Händen hält, (davor leitete sie fast sechs Jahre das Museum für Kunst und Design in Nürnberg) setzt mit der großen Hannah Ahrendt ein erstes sichtbares Zeichen. Nicht minder bedeutsam ist für Kraus die Ausstellung „Bilder lesen“ über Aby Warburg. „Er war ein wegweisender Kunst- und Kulturhistoriker. Als besonders bemerkenswert beschreibt sie dessen Studien sowohl in Kunstgeschichte, Geschichte und Archäologie, die er 1886 in Bonn begann. In den 1920er Jahren entwickelte er den Bilderatlas „Mnemosyne“, in dem die Migration von Formen und Motiven durch Jahrhunderte nachgezeichnet wurde. In seiner letzten, unvollendeten Version vom Herbst 1929 bestand der Atlas aus 63 großen schwarzen Tafeln, auf denen Warburg fotografische Reproduktionen von Kunstwerken aus dem Nahen Osten und Europa neben zeitgenössischen Zeitungsausschnitten und Werbeanzeigen anordnete. „Diese Version zeigt die in Kooperation mit dem Warburg Institute, London, und dem Haus der Kulturen der Welt, Berlin, realisierte Ausstellung nahezu vollständig.“

Dress Code“, das Spiel mit der Mode

Gefolgt wird dieser außergewöhnliche kunsthistorische Parcours von einer Schau, die Eva Kraus als „Antrittsausstellung“– bereits Ende September letzten Jahres zeigen wollte, pandemiebedingt aber in das Jahr 2021 verschoben werden musste, „Dress Code“. „Das Spiel mit der Mode präsentiert ab dem 21. Mai einen weltumspannenden Überblick zur zeitgenössischen Couture. Die Erfolgsausstellung aus Japan sieht Mode als Spiel, das die tägliche Verwandlung als wichtiges Instrument zur Darstellung unserer individuellen Persönlichkeit unterstreicht.“ Gezeigt werden stilbildende internationale Standards der Streetwear bis hin zur heutigen stilistischen Pluralität der großen Designerinnen und Designer. „Mit dieser höchst hintergründigen Ausstellung, die gleichzeitig sehr zugänglich und inspirierend präsentiert ist, möchten wir Mode als ein allgemeingültiges und doch auch komplexes Thema der Alltagskultur hinterleuchten, das sehr stark zur Identifikationsfindung und Persönlichkeitsbildung beiträgt. Mode ist nicht nur ein Akt des Tragens von Kleidung, sie ist auch ein Akt des Sehens und Gesehenwerdens, der heute mit Vorliebe über die sozialen Netzwerke verbreitet wird“, so Eva Kraus.

Kooperation mit dem Lembruck Museum

Bereits gut vier Wochen später läutet die Bundeskunsthalle das Jubiläumsjahr „beuys 2021. 100 jahre joseph beuys“ ein. Beuys gehört zu den einflussreichsten und wirkmächtigsten Erneuerern der Kunst im 20. Jahrhundert. Er war ein grenzüberschreitender Denker, hochpolitischer Künstler und eine polarisierende Persönlichkeit, die gleichermaßen Bewunderung wie Ablehnung heraufbeschwor. „Beuys – Lehmbruck. Denken ist Plastik“ versucht ab dem 25. Juni zu erklären, wie dieser Künstler, dessen Werk für einen so umfassenden Umbruch steht, sich ausgerechnet in Wilhelm Lehmbruck eine ausdrückliche Bezugsgröße suchte. Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Duisburger Lehmbruck Museum und steht im Dialog mit deren zeitgleichen Ausstellung „Lehmbruck – Beuys. Alles ist Skulptur“. Als Begleitprogramm ist auf dem Museumsplatz eine Kooperation mit dem Kunstmuseum Bonn geplant, das eine Ausstellung über Multiples von Joseph Beuys in Gegenüberstellung mit zeitgenössischen, künstlerischen Positionen zeigen wird. Eva Kraus betont dazu: „Im Jubiläumsjahr von Joseph Beuys wollen wir seiner aktivistischen Vorreiterrolle – Stichwort Soziale Plastik – in Form einer diskursiven Plattform im öffentlichen Raum Rechnung tragen.“

Das Sujet Film, das die Bundeskunsthalle seit einigen Jahren in loser Folge verhandelt, wird mit einer Retrospektive zu Rainer Werner Fassbinder gekürt, die in Kooperation mit dem DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main, und der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin, 4 entsteht. Mit „Methode Rainer Werner Fassbinder“ (10. September 2021 bis 6. März 2022) zeichnet die Ausstellung ein Porträt des großen Filmemachers und eines der wichtigsten Vertreter des Neuen Deutschen Films, der wie kaum ein anderer das Stimmungsbild von und über Nachkriegsdeutschland geprägt hat.

Sammlung Hoffmann im Kunstherbst

In enger Kooperation mit den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und Erika Hoffmann, Berlin, entwickelt die Bundeskunsthalle im Kunstherbst eine Präsentation der international bedeutenden Sammlung Hoffmann, die seit den 1960er Jahren von Erika und Rolf Hoffmann aufgebaut wurde und stets auf die Vielfalt der künstlerischen Äußerungen setzte. Die Sammlung vereint rund 1.200 Werke aus Malerei, Fotografie, Zeichnung, Skulptur, Installation, Film- und Videokunst, eine Auswahl daraus mit ca. 200 Werken wird ab dem 29. Oktober in Bonn zu sehen sein.

Bereits begonnen haben die Vorbereitungen für den 25. Bundespreis für Kunststudierende. Die Bundeskunsthalle, die den alle zwei Jahre vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ausgeschriebenen Wettbewerb bereits seit 1994 präsentiert, wird ab dem 12. November Schaufenster für die Preisträgerinnen und Preisträger und ihre Arbeiten werden. Alle 24 deutschen Kunsthochschulen sind dabei, fünf bis acht Künstlerinnen und Künstler machen das Rennen. Die Reihe der interdisziplinären Ausstellungen zu wissenschaftlichen und gesellschaftsrelevanten Themen in der Bundeskunsthalle wird mit einer Schau zum menschlichen Gehirn ergänzt. Ursprünglich ab Ende Oktober 2021 geplant und nun am 28. Januar 2022 beginnend, werden sich ca. 150 Objekte aus Kunst, Kulturgeschichte und Wissenschaft dem Top-Thema der heutigen Forschung aus unterschiedlichen Richtungen nähern. So widmen sich die beiden Kuratorinnen Fragen wie: Was ist das Gehirn: Schaltzentrale, Supercomputer, Fantasiegebilde, Ich-Behausung? Gleichzeitig soll die Ausstellung auch eine Art Reality Check sein: Wo haben wir es mit hartnäckigen Irrtümern und klischeehaften Vorstellungen über das Gehirn zu tun und wo liegen die tatsächlichen Fragen und Grenzen der aktuellen Forschung?

Sonderförderung von Neustart Kultur

Viele Veranstaltungen in der „live arts“-Reihe mit Performance und Tanz, aber auch mit klassischer und zeitgenössischer Musik sind geplant, mitunter auch auf dem Vorplatz und dem Dach des Hauses. Zudem soll, wie Eva Kraus sagt, das „diskursive Potenzial der Bundeskunsthalle ausgebaut und ihr verstärkt „eine Stimme“ gegeben werden. „Neben den bestehenden wollen wir mit neuen Formaten das Forum als Ort mit vielfältigen Veranstaltungen – wo Meinungen ausgetauscht und Fragen gestellt werden können – beleben. Dies soll auch im Umgang mit der digitalen Welt und deren besonderen Vermittlungsmöglichkeiten geschehen, ermöglicht durch eine Sonderförderung im Rahmen Von Neustart Kultur. Die große ästhetische Geste, wie sie bereits in der Max Klinger-Ausstellung zu sehen ist, ist mir bei alledem besonders wichtig und dafür stehe ich auch zukünftig“, resümiert Eva Kraus. Peter Köster