„Deutscher Kaviar“ Kunstmuseum Bonn zeigt die fotografische Sammlung

Andreas Gursky „Chicago Board of Trade II“, 1999 C-Print / Diasec, 200 x 330 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

„Deutscher Kaviar“ heißt eine Sonderausstellung, die bis zum 16. Oktober im Bonner Kunstmuseum gezeigt wird.

Systematisch erforscht

Seit rund 50 Jahren sammelt das Kunstmuseum zeitgenössische Fotografie. Über 400 Werke und Serien sind dabei zusammengetragen worden, die insgesamt mehrere tausend Fotografien umfassen. Im Rahmen des Förderprogramms „Forschungsvolontariat Kunstmuseen NRW“ wurde die Sammlung systematisch aufgearbeitet und erforscht. Teile daraus werden nun in der Sonderausstellung „Deutscher Kaviar“ neu präsentiert. Die titelgebende Arbeit  „Deutscher Kaviar“ stammt von Astrid Klein. Die Bildkomposition erinnert an Piet Mondrin, geometrisch strenge Formen setzen die Dose Kaviar schwarz-weiß in Szene.

Schenkung von Ingrid Oppenheim

Ausgangspunkt für die Fotosammlung war eine großzügige Schenkung der Galeristin, Sammlerin und Förderin Ingrid Oppenheim, die als Begründerin des „Oppenheim Studio Kölns“ unermüdlich im Einsatz für die rheinische Kunstszene und die künstlerische Aneignung der damals neuen Medien war. Ihre bedeutende Videosammlung gab Oppenheim 1981 als Dauerleihgabe nach Bonn und überließ sie dem Kunstmuseum nur acht Jahre später. Ergänzend übergab sie dem Haus auch weitere Kunstwerke ihrer Sammlung, darunter eine so große Zahl an Fotografien, dass der bisherige Bestand auf einen Schlag um mehr als die Hälfte wuchs.

„Gereonswall“ – Köln, 1982 Silbergelatineabzug, 44 x 56 cm Print: 1990 Kunstmuseum Bonn © Thomas Struth

Motiv der Mensch

Die Fotografische Sammlung des Kunstmuseums spiegelt vom ältesten fotografischen Werk der Sammlung – einem Porträt von Duane Michals aus dem Jahr 1965 – das den Maler René Magritte zeigt, bis zu den Neuerwerbungen der letzten Jahre anschaulich die disparaten Verwendungen wider, die Künstlerinnen und Künstler für Aufnahmetechniken gefunden haben und immer noch finden. Dabei handelt es sich um Fotografie, die, bis auf wenige abstrakte Ausnahmen, durchweg einen konkreten Gegenstandsbezug wahrt. Das beliebteste Motiv ist dabei der Mensch. Ob in Form von mehr oder weniger traditionellen (Selbst-(Porträts oder von (performativen) Körper-Inszenierungen, vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren zeigt sich ein besonderes Interesse an der Beziehung zwischen Kamera und Körper. Ab Mitte der 1990er-Jahre wiederum erscheint das genaue Gegenteil im Fokus der künstlerischen Fotografie: Auffallend viele Werke der Sammlung bilden gespenstisch verlassene Innen- und Außenräume ab. Zwar kontrastieren die menschenleeren Straßen (Thomas Struth), Landschaften (Michael Reisch), Labore (Lewis Baltz) und Bergwerke (Bernd und Hilla Becher) die personenbezogenen Werke und lassen ein gänzlich anderes Verständnis von Fotografie erkennen, doch handelt es sich bei beiden um präzise konstruierte Bildwelten, die einen besonderen Bezug zwischen Kunstfotografie und Inszenierung vermuten lassen.

„Förderturm“, 1973 4 Silbergelatineabzug, 30 x 40 cm Kunstmuseum © Bernd und Hilla Becher

Massenkonsum

Mit einem Schwerpunkt auf Fotokunst, die seit 1965 in Deutschland entstanden ist, bietet die fotografische Sammlung eine einzigartige Perspektive auf ein halbes Jahrhundert, das geprägt wurde von einem sich rasant beschleunigenden neoliberalen Kapitalismus, durch den unser Denken und Fühlen geformt wurde und welcher Leben, Kunst und Kultur zunehmend in Prozesse der Kommerzialisierung verstrickt hat. Ausgangspunkt der Ausstellung ist daher die Doppelrolle der Fotografie in diesem System, in dem sie als Gebrauchs-, Dokumentar- und Werbefotografie dem Antrieb des Begehrens in einer Gesellschaft des Massenkonsums dient.

Heidi Specker „Schuhe“, 2015 Archival Fine Art Print Kunstmuseum Bonn © VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Kühl komponiert

Schnappschüsse sind in der Ausstellung so gut wie keine zu sehen. Die Fotos wirken eher kühl-komponiert. Auch auf eine chronologische Hängung wurde verzichtet. Es ist auch kein Gang durch die Jahrzehnte der Fotokunst, sondern eine Schau, die den Schwerpunkt auf das Geschehen im Kapitalismus legt. So ist der erste Raum dominiert von Insignien des Geldmarkts. Andreas Gurskys Bild der Chicagoer Börse hängt einer Serie von Timm Rautert gegenüber, die Frankfurter Börsenmitarbeiter mit dem Rücken zur Kamera zeigt. Das Individuum als williges Rädchen im kapitalistischen Getriebe. Diese Fotografen verarbeiten aber eigentlich das Verhältnis vom Individuum in der postindustriellen Gesellschaft“, betont Wissenschafts-Volontär Jan Philipp Nühlen, der gemeinsam mit der Leiterin der fotografischen Sammlung, Barbara Scheuermann, die Ausstellung, die in acht Räumen zu sehen ist, kuratiert hat. Dazu gehören nicht zuletzt die Partybilder der Düsselsdorfer Szene aus den 1970ern: So sieht man Katarina Sieverding, Ikone der Foto und Videokunst, Arm in Arm mit der Performance-Queen Marina Abramović. Aber es sind nicht nur die flüchtigen Momente, die festgehalten werden, es sind auch die großen Umbrüche: von analoger zu digitaler Kunst in den 1990ern, von der Fotokunst als Ware und dem gegenseitigen, nie endend wollenden Einfluss der bildenden Kunst auf fotografische Arbeiten. Peter Köster