Bundeskunsthalle zeigt „Überblicksausstellung“ über Franz Erhard Walther

Skulpturale Dreiecke: „Zwei Körperformen Gelb“. Foto: Peter Köster

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Die Bundeskunsthalle öffnet den textilen Kosmos von Franz Erhard Walther  und lädt den berühmten Künstler ein, zum Besucher seiner eigenen Ausstellung zu werden. „Bilder im Kopf, Körper im Raum“, ist eine großartige Inszenierung, die bis zum 28. Juli unbedingt gesehen werden sollte.

Zeichnungs-Zyklus

„Die Ausstellung Bilder im Kopf, Körper im Raum ist die erste große Ausstellung von Franz Erhard Walther im Rheinland“, sagt Susanne Kleine, die gemeinsam mit Susanne Walter, Ehefrau des Künstlers und Vorstandsvorsitzenden der Franz Erhard Walther-Stiftung, die Schau kuratiert. Die Ausstellung sei „eine Hommage an Franz Erhard Walther“, der im Juli seinen 85. Geburtstag feiert. Laut Susanne Kleine handelt es sich bei der Ausstellung weniger um eine Retrospektive sondern mehr um eine Überblicksschau. Gezeigt wird das künstlerische Werk aus den letzten 60 Jahren beginnend mit Walthers Zeichnungen, zu denen er jetzt aktuell wieder zurückkehrt. „Ich arbeite an einem Zeichnungs-Zyklus. Das bringt mich zurück an die Anfänge meiner Kunst“. Über die Ausstellung gerät der Maestro ins Schwärmen. Grandios, mein Werk in dieser Halle zu erleben. Apropos: Nachdem Franz Erhard Walther bisher stets aktiv beim Aufbau seiner weltweiten Ausstellungen mitgearbeitet hat, verlief das ganze diesmal ohne ihn. „Ich komme das erste Mal als Besucher zu meiner eigenen Ausstellung. Ein ganz neues Erlebnis.“

Der Maestro und sein textiles Werk

Im Zentrum der Bonner Schau steht das textile Werk des Künstlers. Damit die Arbeiten besonders gut zur Geltung kommen, bekam der Saal ein verändertes Bühnenbild. Durch die neue Architektur kann das Œuvre sowohl ebenerdig als  auch von einer durch zwei Kuben verbindenen aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden. Seit Anfang 1963 verwendet Franz Erhards Walther Stoff – ein bis dahin kaum gebräuchliches künstlerisches Material – für die Herstellung fast aller Aktivierungsobjekte. Die schon 1962 erprobte „Lagerform“ wendet er ab 1966 auch für die in Stoff verpackten Werke als eigenständigen Werkstatus an. In den Wandformationen ab Ende der 1970er-Jahren erzielt er eine unvergleichbare Verschränkung von Malerei, Skulptur und Architektur, die sich bis heute fortsetzt. Die Ausstellung präsentiert eine konzentrierte, repräsentative Auswahl von handlungsbasierten Arbeiten sowie Zeichnungen aus verschiedenen Perioden als „Innenblick“. „Sie ist offen und dialogisch angelegt und zeigt Walthers Kunst als nicht abgeschlossen und mit den Imaginationen und Handlungen der Besucherinnen und Besucher korrespondierend. Es entstehen die Bilder im Kopf und nachfolgend Körper im Raum“, sagt Susanne Klein.

Fuldaer Raum
Ausstellungsansicht „Fuldaer Raum“. Foto: Peter Köster

Düsseldorfer Kunstakademie

Walther studierte Anfang der 1960er-Jahre mit Gerhard Richter und Sigmar Polke bei Karl Otto Götz an der Düsseldorfer Kunstakademie. Während sich Richter und Polke an der Pop Art orientierten und Joseph Beuys wichtige Impulse von der Fluxus-Bewegung aufnahm, entwickelte Franz Erhard Walther seine künstlerische Sprache im Umfeld der US-amerikanischen Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre. In der amerikanischen Kunst dieser Zeit ging es darum, den europäischen Werkbegriff zu verabschieden. Künstler wie Richard Serra oder Robert Morris experimentierten ebenso wie die Tänzerinnen und Tänzer des „Neuen amerikanischen Tanzes“ mit einfachen Handlungen. Das Publikum wurde in den Prozess der künstlerischen Aktion einbezogen. Viele internationale zeitgenössische Künstler, wie beispielsweise Tino Seghal oder Santiago Sierra, beziehen sich in ihrer Arbeit ausdrücklich auf ihn. Und international renommierte Ausstellungsinstitutionen wie die Dia Art Foundation (2010-12) oder das Museum of Modern Art in New York (2012-13) unterstreichen mit Ausstellungen und Werkvorführungen die Bedeutung seiner Arbeit für die zeitgenössische Kunst.

Von Lagerformen zu Werkformen und zu Objekten

Dieses wird in der Ausstellung deutlich. Ortsspezifische Installationen und Zeichnungen führen zentrale Aspekte der Arbeit von Franz Erhard Walther vor Augen und machen den transitorischen Status von Gegenständen in seinem Werk deutlich. Je nach Einbindung und Gebrauch verwandeln sie sich von Lagerformen zu Werkformen und zu Objekten, die zu Handlungen einladen und als Sockel für Akteure fungieren. So dienen Werkstücke aus den Jahren 1969 bis 2003 als Elemente für eine neue ortsbezogene Installation. Walthers Schreit- und Standstücke ermöglichen neue Raum- und Werkerfahrungen. Die Besucherinnen und Besucher werden eingeladen, sich auf ihnen zu bewegen und so die Objekte, den Raum und auch die Beziehung zueinander sowie zu anderen Akteuren neu zu erfahren. Korrespondierend dazu veranschaulichen Zeichnungen den prozessualen Charakter von Walthers handlungsbezogener künstlerischer Arbeit.

Textiler Pavillon
Textiler Pavillon. Foto: Peter Köster

Prozesshafte Erfahrungen

Franz Erhard Walther (geb. 1939 in Fulda) hat den Begriff der Skulptur in den 1960er-Jahren maßgeblich erweitert. Er wandte sich gegen eine Auffassung von Kunst, in der Werke dauerhaft und unveränderbar präsentiert werden. In den 1960er-Jahren ermöglichte er prozesshafte Erfahrungen im Umgang mit seinen textilen Objekten, seit Ende der 1970er-Jahre produziert er Installationen, die einen aktiven Dialog zwischen den Werken und ihren Rezipienten ermöglichen. Walther lebte 1967-1971 in New York und stellte dort 1969 seinen „1. Werksatz“ im Museum of Modern Art aus. In demselben Jahr nahm er an der legendären Ausstellung „Live in your head: When attitudes become form“ in Bern teil. Als Professor für Bildhauerei an der Hamburger Kunsthochschule (1971-2005) hat er Künstlerinnen und Künstler wie Rebecca Horn, Martin Kippenberger, John Bock, Lili Fischer und Santiago Sierra ausgebildet.

Hinweise zum Künstler

Der vierfache Documenta-Künstler und Gewinner des Goldenen Löwen auf der Venedig-Biennale 2017, wird heute international geachtet als Vordenker eines neuen Werkbegriffs, der die Betrachter wesentlich mit einbezieht. Franz Erhard Walther ist eine der Schlüsselfiguren der Gegenwartskunst. Als Pionier einer prozessorientierten, partizipatorischen Kunst hat er wie kaum ein anderer Künstler die Definition, was Skulptur sein kann, nachhaltig verändert. Mit seinen textilen Handlungs- und Kommunikationsobjekten hat er seit den 60er Jahren das traditionelle Verhältnis von Künstler, Werk und Betrachter revolutioniert.

Bild 4 Objekt
Textiles Objekt. Foto: Peter Köster

Aktivierinnen und Aktivierern

Der Betrachter soll aus seiner passiven Haltung heraustreten und zu einer intellektuellen, emotionalen oder auch körperlichen Auseinandersetzung mit den Werken angeregt werden. Beispiel: „Zwei Körperformen Gelb“. Dabei handelt es sich um zwei große gelbe Dreiecke. Sie scheinen am menschlichen Körper orientiert zu sein, doch eine eindeutige Deutung gibt es nicht. Die Wahrnehmung ist natürlich unterschiedlich, denn jeder hat ein anderes Gespür. Nichts ist vorgegeben und erst wenn der Betrachter hinzukommt, wird das Kunstwerk komplettiert. Die Besucherinnen und Besucher sind eingeladen, mit dem Kunstwerk in Kontakt zu treten. Mit seinen Objekten hat Walther das traditionelle Verhältnis von Künstler, Werk und Betrachter revolutioniert. So haben die Körperformen keinen emotionalen Zugang, sondern einen Konzeptionellen. Erst mit den Aktivierinnen und Aktivierern wird das Werk vollendet. Die Betrachtenden werden so zu einer intellektuellen, emotionalen oder körperlichen Auseinandersetzung mit dem Werk angeregt.

Im Umfeld des Minimalismus

Franz Erhard Walther formuliert Anfang der 1960er-Jahre – im Umfeld des Minimalismus und jenseits des klassischen Verständnisses von Skulptur und Malerei – einen neuen Werkbegriff, der die Betrachterinnen und Betrachter als Akteurinnen und Akteure mit einbezieht: Sein „Erster Werksatz“(1963–1969) aus 58 aktivierbaren Elementen ist legendär. Damit konkretisiert der Künstler sein Verständnis von Skulptur, er versteht die ausgeführte Handlung als „Werkform“: Gesten und Aktionen werden zum essenziellen Bestandteil seiner Arbeiten. Durch sein Wirken als Professor an der Hochschule für bildende Künste Hamburg wurde er zu einem einflussreichen Lehrer, und die kunsthistorische Bedeutung seines Werkes ist unumstritten. Schon im Frühwerk bezieht der Künstler das Prozesshafte und Ungesicherte als Gestaltungsprinzip mit ein.

Textile Wandinstallation. Foto: Peter Köster
Textile Wandinstallation. Foto: Peter Köster

Rheinland als Studien- und Wirkungsstätte

Während seiner Zeit in Düsseldorf spielen Experiment und Innovation eine große Rolle. Das Rheinland wird zu einer wichtigen Studien- und Wirkungsstätte. Eigens angefertigte „Exhibition Copies“ können von den Besucherinnen und Besuchern auf der zentralen Aktivierungsfläche im Zentrum der Ausstellung genutzt werden, zwei Einbauten im Ausstellungsraum erlauben eine ungewöhnliche Aufsicht und Perspektive auf diese Handlungsfläche. Sie führt vor Augen, dass Walthers Kunst lebendig, zugänglich, im Heute und Jetzt verankert und vor allem demokratisch und ohne hierarchischen Gedanken ist. Walthers Bildsprache ist grenzüberschreitend und universell verständlich. Die innovative Kraft seines umfassenden Werkes wird natürlich in erster Linie durch seine Kunst deutlich, aber auch durch das Verhältnis zwischen der Kunst und den Betrachtenden, die bei Franz Erhard Walther zu aktiven Handelnden werden. Heute lebt und arbeitet der Künstler in Fulda, wo auch die Franz Erhard Walther Foundation ihren Sitz hat.  Peter Köster