100 Jahre Gehen als Kunst – Auf DADA-Spuren – Von Paris bis Rolandseck

DADA-Steinplatte am Arp Museum. Foto: Peter Köster

Remagen/Paris. „Der Akt des Gehens ist für das urbane System das, was die Äußerung (der Sprechakt) für die Sprache oder für die formulierte Aussage ist. Das Geschehen kann somit fürs erste wie folgt definiert werden: es ist der Raum der Äußerung“ (Michel de Certeau). Auch Brigitte Kovacs nutzt das Gehen als künstlerische Praxis. „Im Sinne Certeaus ermöglicht uns das Gehen oder Spazieren die aktive Teilnahme am Stadtgeschehen, im öffentlichen und sozialen Raum.“ Gehen sei Entschleunigung und ermögliche einen anderen Blick auf die Architektur. „Die dadurch entstehende neue Raumwahrnehmung erleichtert eine bewusste Auseinandersetzung mit der Stadtlandschaft, ihren Strukturen und dem sozialen Gefüge“, so die aus Graz in Österreich stammende Künstlerin.

Spaziergang als Kunstform

Mit der Erweiterung des Kunstbegriffs seit den 1960er Jahren haben Künstlerinnen und Künstler auf ihrer Suche nach neuen Schaffensräumen den Spaziergang als Kunstform entdeckt und in unterschiedlichen Medien und mit divergierenden Intentionen interpretiert, wobei eine Veränderung der Stadtwahrnehmung und die Beschäftigung mit dem menschlichen Körper in Raum und Zeit ein immer wiederkehrendes Motiv darstellt. Diese neue Kunstform wird zum besonderen Ereignis und löst einen neuen kreativen Prozess aus. Eine solche Transformation beschreibt das künstlerische Forschungsprojekt „DaDa Walk 21“ von Brigitte Kovacs und Fabian Knöbl. Auf ihrem Kunstpfad, der in Paris startete und am Arp Museum in Remagen Bahnhof-Rolandseck endete, legten beide 500 Kilometer zurück. Insgesamt waren sie drei Wochen unterwegs.

100 Jahre Manifest „Excursions & Visites“

Hintergrund für den „DaDa Walk 21“ ist das 100-jährige Jubiläum des Aufrufes „Excursions & Visites“. 1921 riefen Hans Arp, André Breton, Tristan Tzara und weitere Kreative mit ihrem Manifest zu einer Reihe von Stadtraumerkundungen zu banalen Orten in Paris auf. Kovacs und Knöbl nehmen das Jubiläum des Manifestes zum Anlass, das Gehen als künstlerische Praxis wiederzubeleben. Gleichzeitig ist diese Performance ein Versuch, Kunst und Leben in Einklang zu bringen. Durch das Umherschweifen sollen neue Verbindungen zwischen Räumen, Menschen und zwischen unterschiedlichen Zeitabläufen hergestellt werden. Spazierengehen fördert durch seine Langsamkeit das Potential, den Gedanken nachzuhängen und die Zeit bewusster wahrzunehmen.

Im Baumhaus übernachtet

Vom historischen Originalstandort ausgehend luden Kovacs und Knöbl zu Spaziergängen durch die Gärten von Saint-Julien-le Pauvre ein, bevor sie sich auf ihren „Kunst-Pfad“ nach Rolandseck begaben. Dabei wurde die zurückgelegte Strecke selbst zum Kunstwerk. Der Weg führte durch die Champagne, Lothringen und Luxemburg über die Eifel bis an die rheinische Rivera. Dabei stießen beide auf so unterschiedliche Übernachtungsorte wie ein Baumhaus in Traben-Trabach. Auf ihrem Marsch von Paris nach Remagen setzten sie blaue Schilder und Sticker als Wegmarken. Diese zeigen zwei Pfeile, die jeweils mit einem „DA“ markiert sind und somit einerseits die Richtung weisen, anderseits aber auch den künstlerischen Bezug zu DaDa anzeigen. Durch das Anbringen der Wegweiser und der Gedenktafeln wird der durchwanderte Raum vermessen und mit einem eigens entwickelten Zeichensystem markiert: eine Kartografie des Gehens als Kunst. Den Abschluss der Exkursion „100 Jahre Gehen als Kunst“ bildete das Anbringen der Steinplakette Arp Museum, dem Zielort. Peter Köster