Kunstmuseum zeigt „Junge Kunst aus Polen“: „Von Stetten-Kunstpreis“

Installationsansicht von Zuza Golińska: Stahlstangen, Sprühfarbe und weiche Textilien. Foto: Peter Köster

Die Kunstszene Polens steht im Fokus der Ausstellung „Junge Kunst aus Polen“, die bis zum 4. September im Kunstmuseum Bonn gezeigt wird. Wichtiger Bestandteil der Schau ist der „Dorothea von Stetten-Kunstpreis“, der in diesem Jahr zum 20. Mal verliehen wurde. Die drei Preisträger Zuza Golińska, Diana Lelonek und Daniel Rycharski haben sich im Vorfeld der Vergabe darauf verständigt, den mit 10.000 Euro dotierten Preis unter sich aufzuteilen, um damit auch ein Zeichen für gegenseitigen Respekt und Solidarität zu setzen.

Spannendes Netzwerk

Nach Tschechien (2014), den Niederlanden (2016), Dänemark (2018) und der Schweiz (2020) widmet sich der „Dorothea von Stetten-Kunstpreis“ in diesem
Jahr mit Polen einem Land, das über eine spannende international vernetzte Kunstszene verfügt, die allerdings auch immer wieder mit großen Heraus-
forderungen durch die gegenwärtige politische Situation zu kämpfen hat. Auf der gesellschaftlichen Grundlage eines immer noch recht rigiden Katholizismus (98 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als gläubige Katholiken) auf der einen Seite und eines durchaus ausgeprägten Neoliberalismus auf der anderen Seite kreisen viele der häufig performativ und installativ geprägten künstlerischen Entwürfe bevorzugt um Fragen der Identität, Nationalität und Religion. Die Auswahl der in der Ausstellung vertretenen Positionen spiegelt eindrucksvoll die Breite, Intensität und kritische Tiefe wieder, mit der sich die junge Generation der polnischen Künstlerinnen und Künstler ihren Themenfeldern nähert.

So fragt Zuza Golińska (*1990) mit ihren suggestiven Skulpturenarrangements nach der Stellung des Körpers in der Welt, während sich Diana Lelonek (*1988) in ihren wuchernden Installationen kritisch mit der Idee des unbegrenzten Wachstums und unserem unverantwortlichen Umgang mit den natürlichen Ressourcen auseinandersetzt. Daniel Rycharski (*1986) schließlich arbeitet in seinem stark durch aktionistische Elemente geprägten Werk und bezieht eine klare Position gegen den normativen Anspruch heterosexueller Orientierung.

Stahl zerteilt weiche Textilien

Zuza Golińska ist eine multidisziplinär arbeitende Künstlerin, die die scheinbar binäre Beziehung zwischen Modernismus und zeitgenössischer Romantik, zwischen Disziplin und magischem Denken erforscht. Sie analysiert Ereignisse aus ihrem Leben in einem breiteren soziopolitischen Kontext und dokumentiert die Muster, von denen sie ein Teil ist. In ihrer neuesten Arbeit „The Claws of Events“, die sie in Bonn zeigt, kombiniert sie Stahl, der für ihre früheren Arbeiten charakteristisch ist mit weichen Skulpturen aus Textilien. Schwarze Linien erstrecken sich in den Raum, sie durchdringen glänzende rosa Formen, die sich auf dem Boden unter ihnen ausbreiten. Die durchdringende Schärfe der stählernen Gliedmaßen zerteilt den weichen Körper in einzelne Elemente. Ständiger Druck lastet auf dem rosafarbenen hautähnlichen sozialen Gewebe.

Aufgeklappter Sarg von Daniel Rycharski. Foto: Peter Köster

Abfallpflanzen in Vitrinen

Während Zuza Golińska gesellschaftliche Systeme in öffentlichen Räumen beobachtet, untersucht Diana Lelonek an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft mittels Abfallpflanzen den Umgang mit der Umwelt und ihren Ressourcen. Abfallpflanzen finden sich meist an der Peripherie der menschlichen Kultur; häufig besiedeln sie verseuchtes, ehemals industriell genutztes oder ausgebeutetes, brachliegendes Gelände, aus dem sich der Mensch mit seiner Kraft, seinem Engagement und Interesse zurückgezogen hat. Diana Leloneks Objekte, die sie in edlen Vitrinen zur Schau stellt, (das ganze wirkt eher wie ein Schmuckgeschäft) sind nicht angebaut, sondern von ihr gesammelt. Die Abfallpflanzen bilden ein dynamisches, vor allem aber schöpferisches Gewirr aus Nichtmenschen und von ihnen übernommenen ursprünglich menschlichen Elementen, das wir meistens nicht zu entwirren vermögen. Die zu Abfallpflanzen vereinten Pflanzenorganismen werden meist als Ruderalvegetation bezeichnet (rudus – Schutt), in Abgrenzung zu den bevorzugten Nutzpflanzen. Unablässigem Wandel unterworfen, zeichnen sich die flüchtigen und daher unvorhersehbaren Objekte der Künstlerin durch prekäre Ästhetik und außerordentliche Plastizität aus. (Andrzej Marzec, Auszug aus „Diana Lelonek: Wasteplants Atlas”, 2021)

Sexuelle Identität

Daniel Rycharski schließlich reflektiert sexuelle Identität im Kontext von Religiosität, Tradition und Provinzialität. Ein schlichter Bauernsarg aus Holz, anstelle des Deckels mit Türen, die sich zu beiden Seiten öffnen, vorn und hinten. Aufrechtstehend bildet er so etwas wie einen Schranksarg. In der Ausstellung hat ihn der Künstler so positioniert, dass man hindurchgehen kann. Innen ist er mit billigem weißem Atlas ausgekleidet. Diese Arbeit wurde durch die Lebensgeschichte Jan Żmijewskis inspiriert, eines inzwischen verstorbenen Landwirts aus der Nähe von Sierpc. Die Arbeit behandelt das Thema der (oft mit Einsamkeit verbundenen) Erfahrungen von Personen, sowie das Verschwinden der bäuerlichen Welt. Hierbei geht es nicht um ein nostalgisches Registrieren dessen, was von ihr geblieben ist, sondern eher darum, sich bewusst zu machen, dass unsere Vorstellung vom (traditionellen, unveränderten, idyllischen) Land eigentlich nie der Realität entsprach, und dass es jetzt zu spät ist, um der bäuerlichen Kultur gegenüberzutreten. „Dead Class“ konfrontiert mit den Bereichen des Verdrängten, Zurückgewiesenen, Vergessenen, Unausgesprochenen. Peter Köster