Aktionskünstler H.O. Schmidt und Musik-Professor Dieter Kreidler spiegeln Joseph Beuys – Bestandsaufnahme in Objekt und Klangkunst

„Linsenglas-Objekt. Foto: Peter Köster

Remscheid. Der Hut und die Anglerweste waren die Markenzeichen von Joseph Beuys. Berühmt wurden seine Arbeiten mit Fett und Filz, bedeutend ist sein Begriff der „sozialen Plastik“, mit dem er eine Gesellschaft verändernde Kunst propagiert hat. Zahlreiche Museen, Galerien, Kunstvereine feiern den Jahrhundertkünstler Joseph Beuys, der am 12. Mai 100 Jahre alt geworden wäre. Das breite, mitunter gequält wirkende Lächeln, der durchdringende Blick, die Fettecken und der legendäre Spruch: „Jeder Mensch ist ein Künstler“: Joseph Beuys hat die Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg revolutioniert wie kaum ein zweiter.

„Jeder Mensch ist ein Künstler“

In Museen zu sehen sind heutzutage bekritzelte Schultafeln, mächtige Basaltstelen mit eingebettetem Filz, riesige Talg-Blöcke oder Vitrinen mit kultischen Objekten wie für eine Reise ins Jenseits. Sie sind schwer zu entschlüsseln, denn es handelt sich oft um Überreste der spektakulären Aktionen von Joseph Beuys. Aber ohne ihren Urheber schweigen die Werke den Betrachter einfach nur an. Mit Beuys’ Worten gesprochen: „Jeder Mensch ist ein Künstler.“ Wohl auch deshalb nahm er einst Hunderte Studenten in seiner Düsseldorfer Akademie-Klasse auf und wurde dafür als Professor gefeuert. Heute indes würde man Beuys’ seinerzeit als Provokation empfundenes Vorgehen im Kunst- und Kulturbetrieb wohl mit dem Begriff der Partizipation umschreiben.

Fett- und Filzmagier

Aber nicht nur Kunsthäuser spüren dem Jahrhundert-Künstler Beuys nach, auch Künstlerinnen und Künstler wie H.O. Schmidt zählen dazu. Den Remscheider Aktionskünstler Horst Olaf Schmidt (H.O. Schmidt) interessierte bei seinem Beuys-Projekt besonders die Intuition des „Erneuerers der Kunst und Gesellschaft“. Beuys ist für H.O. Schmidt ein Künstler, der weit mehr war, als nur der Fett- und Filzmagier. Beuys war Gesellschaftskritiker, Aktivist für Demokratie und Ökologie, Weltverbesserer, Kunstprofessor, Mitbegründer der Grünen, Schamane und ein Medienstar. Wie sich also dem Gesamtkunstwerk Beuys nähern, ohne zu ihm zu sehr auf Tuchfühlung zu gehen, ohne ihn zu kopieren. „Wagnis einer emotionalen Annäherung“ nennt Schmidt sein Gesamtprojekt, das er in Einzelprojekte unterteilt. Eines dieser Objekte trägt den Titel: Von Irrwegen zur Sozialen Skulptur, diese Wandskulptur, bestehend aus Holz/Acryl (130 x 130 x 10 cm) bildet das Schlüsselwerk im Schmidt´schen Beuys-Kosmos. Der linke Teil der Arbeit nimmt Bezug auf Beuys NS-Zeit. Dann zur Mitte hin, folgt der Übergang zu seinem späteren Leben und Schaffen. Kommen wir noch einmal auf die linke Hälfte zurück. Diese wirkt wie ein Transkript. H.O. Schmidt hat hier Buchstaben gleicher Größe ohne Interpunktion und Absätze aneinandergereiht. Erst bei genauerer Betrachtung erschließen sich wie in einem Labyrinth Schlüsselbegriffe aus Beuys Wehrmachtszeit. Schmidt zitiert dabei einen der wesentlichsten Kernsätze von Joseph Beuys. „Sie haben mich zurecht geschossen“.

„Schubumkehr“ nicht nur ein Wortspiel

Wohl jedem, der sich mit Beuys auseinandersetzt, ist dessen berühmte Wanne ein Begriff. Sie stand gewissermaßen Pate für H.O. Schmidts Arbeit „Schubumkehr“. Dieses Objekt entpuppt sich unverkennbar als eine massive, abgearbeitete Schubkarre. Dennoch, irgendetwas stimmt hier nicht. Wieso sind die Griffe hinten? Der Schub wird umgekehrt. Was meint der Begriff „Schubumkehr?“ Ist es nur ein Wortspiel? „Die umgekehrt angebrachten Griffe und die weißgekalkte Schubkarre stehen für eine zwingende Wende der Umweltpolitik“, erläutert H.O. Schmidt. „Die grün gestrichene Wanne der Schubkarre bildet die Natur ab. Sie mahnt zum umsichtigen Umgang mit dem Gegebenen und allen Ressourcen ganz so, wie es Beuys wollte.“

Würdigung an ein soziales Werk

Auf der Documenta 7 pflanzte Joseph Beuys 1982 medienwirksam 7000 Eichen. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“ nannte er das „Landschaftskunstwerk“.
H.O. Schmidt griff für seine Position einmalig konkret ein Werk von Beuys auf. Seine Interpretation, in besonderer Anerkennung an das Kasseler Original:
„7 axtgespaltene, derbe Holzstelen“ (je 180 x 20 x 10 cm), die sowohl vertikal als auch horizontal als Rauminstallation dienen sollen. Hervorstechend: eine der Stelen mit schwarz-weißem Anstrich, wie ein Frack wirkend, stilvoll und ehrfürchtig. Eine besondere Würdigung an das soziale Werk von Beuys.
Das Schwarz spielt auch eine besondere Rolle bei seinem Werk: „Von Schwarz zu Schwarz“. In grafischer und farblich differenzierter Gestaltung zeigt das Gemälde (Acryl auf Lkw-Plane, 130 x 100 cm), die Lebensabschnitte von Joseph Beuys. Ausgehend von seiner konservativen Kindheit, seiner NS-geprägten Jugend, seinem Leben als junger Erwachsener zur Kriegszeit, die daraus resultierende persönliche, sozialökologische Revolution und schließlich sein frühes Ende mit der Seebestattung am 14. April 1986.

Joseph Beuys war ein Mensch, der genau beobachtete, hinsah und von seiner Umgebung einiges abverlangte. Das reduzierte Beuys-Porträt „Der Beobachter“ (60 x 80 cm) steht bildhaft für diese These. Joseph Beuys wäre heute weniger oder gar nicht daran interessiert, wie es seinen Werken ergangen ist. Vielmehr würde ihn interessieren, welche Erkenntnisse wir daraus gewinnen konnten.

Achtsamkeit und zweiter Blick

Das kleinste, womöglich herausragendste Werk „Linsenglas – Das Auge sieht mit“, appelliert mit aller Konsequenz an – im Sinne Beuys – geforderte Achtsamkeit und den „Zweiten Blick“: Auch diese Arbeit, eine Installation aus Einmachdosen, Weckgläser-Deckeln, Okularen und Hanfleine kommt nicht ohne Wortspiel und ein gewisses Augenzwinkern aus. Das bildnerische und skulpturale Projekt Beuys finalisiert schließlich in dem grafischen Einzelwerk „Hasenglück“. Die Arbeit (Material: Goldfarbe auf Bütten) zeigt Beuys Konterfei, (charakteristischer Umriss mit Hut – und Typografie im Gesichtsfeld). In diesem Porträt erhebt Schmidt Joseph Beuys als „Erneuerer der Modernen Kunst“ auf eine Ebene mit Albrecht Dürer, „Erneuerer der Kunst der Renaissance.“ Das Ganze verdeutlicht durch das stilisierte Dürer- „A“. In „Hasenglück“ bezieht sich der Remscheider Künstler auf Beuys, wie dieser einem toten Hasen die Kunst erklärt. Die goldene Aura in Schmidts Werk nimmt Bezug auf Fett und Gold, mit dem Beuys bei einer seiner Performances sein Haar einstrich. Zum anderen ist die Arbeit eine Anlehnung an den Dürerischen Feldhasen. H.O. Schmidt: „Beide formten die Kunst in eine neue Begrifflichkeit. Beide setzten sich über die Normen ihre Zeit hinweg und schufen damit eine neue Sicht auf die Kunst.“

Musik-Professor Dieter Kreidler. Foto Uwe Schinkel

„Sudoku“ als musikalischer Klangkörper

Bei seinem Projekt: „Wagnis einer emotionalen Annäherung“ findet Schmidt Unterstützung im Remscheider Musik-Professor Dieter Kreidler, dessen Klangkunst einen Dialog mit den Werken von H.O. Schmidt über Beuys führt. Im Beuy’schen Schaffen und dies ist kaum bekannt, nahmen Klang und Musik einen zentralen Platz ein. Joseph Beuys spielte Klavier und war vielfach mit den Komponisten Henning Christiansen und Nam June Paik aufgetreten. Er war überzeugt, dass die Wurzeln seiner Musik in der Zukunft liegen müsse, und sprach in diesem Zusammenhang von einer „Wirkung vor der Ursache“.

„Sudoku – Computergenerierte Installation für Zupforchester“, heißt das musikalische Werk von Dieter Kreidler. Scheinbar kleinbürgerlich, hier und da lapidar, entwickelt sich das zunächst einfache melodiöse Werk hin zum Unerwarteten. „Die kompositorische Idee für das Werk Sudoku basiert auf einer frei übernommenen Zahlenreihe aus den bekannten Sudoku-Rätseln. Dabei wurden die Ziffern dieser Zahlenreihe in Musikintervalle umgewandelt, d.h. Ziffer 3 gleich Terz, Ziffer 7 gleich Septime, 5 gleich Quinte, usw.“, so Kreidler. Aus dieser zufälligen Vorgabe entwickeln sich nach seinen Worten aus zunächst traditionellen harmonisch-rhythmischen Strukturen eigenwillige freitonale Klangcluster bis hin zu ekstatischer Dichte. „Eine Instrumentation mit Mandolinen und Gitarren löst erfahrungsgemäß beim Hörer zunächst klischeebesetzte Assoziationen zur Jugendbewegung Anfang des 20. Jh. oder an Klänge à la „O sole mio“, italienischer Provenienz aus. Jedoch sorgt eine ab den 1960er Jahren begründete Neubesinnung auf die historischen Wurzeln der Mandoline bis heute für eine auffallend dynamische stilistische Weiterentwicklung des gesamten Repertoires für die Zupf-Instrumentenfamilie im Konzertleben“, betont Kreidler. „Sudoku“ greift emotional und musikalisch „unerwartet“ diese soziokulturelle Entwicklung auf und steht damit symbolisch im Kontext der Werkbetrachtungen von Joseph Beuys – in all seiner oft beschriebenen Widersprüchlichkeit. Eine Betrachtung, die dialogisch ein neues Bild des Jahrhundertkünstlers zeichnet. Aber anders als erwartet. Peter Köster

Aktionskünstler H.O. Schmidt. Foto: Peter Köster