Chronisten der europäischen Geschichte

Michael Kayser, Vorsitzender des Vereins „Médaille Charlemagne“ und Aachens Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen überreichten Sir Christopher Clark (mitte) die Karlsmedaille, einen begehrten Medienpreis. © Stadt Aachen / Andreas Herrmann

„Wie wird Vergangenes heute relevant?“, diese Frage beantworte sich Sir Christopher Clarke selbst als Historiker, Autor und Fernsehmoderator kürzlich im Krönungsaal des Aachener Rathauses souverän: „Indem wir Geschichte zum Leben erwecken.“ Der diesjährige Preisträger der Karlsmedaille für europäische Medien, „Médaille Charlemagne pour les Médias Européens“ erhielt an historischer Stätte die sogenannte kleiner Schwester des Karlspreises zu Aachen, der in Kürze verliehen wird.  Das Online-Medium „The Kyiv Independent“ wurde mit einem Sonderpreis ausgezeichnet. Chronisten alter und neuer Zeitgeschichte: beide sind Preisträger.

Australischer Europäer

Dieser Preis wird ausdrücklich an die Aufmerksamkeit durch Medienschaffende verliehen, der zugleich auch Achtsamkeit bedeutet. Genau diese Auszeichnung trifft einen gebürtigen Australier, der einem breiten Publikum als Erklärer in ZDF-Dokumentationen wie Terra-X bekannt ist. Der „australische Europäer“, Jahrgang 1960, der 2015 von Queen Elisabeth II. zum Ritter geschlagen wurde, lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine’s College in Cambridge und ist Autor bedeutender Werke zur preußischen Geschichte. Er spricht fließend Deutsch, lebt in London und wirft seinen Blick von außen auf die Geschichte Europas.

Sein Sachbuch „Die  Schlafwandler“ schlägt bis heute Wellen, Untertitel: Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. „Tiefsitzende Schuld führt Gesellschaften nicht weiter“, sagte Clarke. „Verantwortung und Haftung für kriminelle, kriegerische Akte wie in der Ukraine sind früher wie heute die Kriterien für eine Aufarbeitung aus historischer Sicht.“ Nicht ein Volk werde generell in Haftung genommen, sondern die Verantwortlichen für Gräueltaten stünden vor Gericht, wenn sie nicht nur geografische Grenzen verschieben, sondern auch kulturelle Identitäten verschieben oder verleugnen. „Die EU hat eine friedenstiftende Wirkung“, so seine Überzeugung. Für den Preisträger aus dem Commonwealth und dem Brexit-Land kein Widerspruch. „Mit Neugier, Respekt und Humor wollen wir in unserem kleinen Team  in wenigen Sendeminuten mit leichter Hand Zuschauer interessieren, Bögen schlagen auch zwischen Gewalt, Schwächen und Fehlern, die Menschen machen.“ Überheblicher Stolz sei immer ein schlechter Ratgeber. Eine neue Weltordnung müsse auch Platz für Russland haben, allerdings mit Konsequenzen.

Olga Rudenko, Chefredakteurin von „The Kyiv Indeppendent“ (links) bedankte sich per Videoschalte gemeinsam mit ihrer Kollegin Anna Myroniuk für die Auszeichnung und betonte die Bedeutung der weltweiten Aufmerksamkeit für die Situation in der Ukraine. © Stadt Aachen / Andreas Herrmann

Sonderpreis und Live-Schaltung nach Kiew

Erstmals vergab der Verein „Médaille Charlemagne pour les Médias Européens“ in diesem Jahr einen Sonderpreis. Damit würdigt der Verein das Engagement der Journalistinnen und Journalisten des ukrainischen Online-Mediums „The Kyiv Independent“ für deren unabhängige und kritische Berichterstattung während des andauernden Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dass eine Übertragung dorthin live stattfinden konnte, mochte vor Kriegsbeginn normal sein, ist es aber in Kriegszeiten nicht. Umso größer war die Freude im Rathaus, mutige Journalistinnen zu hören. „Die beeindruckende Qualität der journalistischen Arbeit unter schwierigsten Bedingungen sowie der mutige Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der nicht selten mit einem Risiko für das eigene Leben verbunden ist, sind von essenzieller Bedeutung für die unabhängige Information aus dem Krisengebiet sowie die bevorstehende Aufarbeitung der Ereignisse“, so die Begründung, die Michael Kayser, Vorsitzender des Vereins „Médaille Charlemagne“ vortrug.

Die Aachener Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen betonte in ihrer Begrüßungsansprache, dass Christopher Clark es immer wieder schaffe, Hundertausende Menschen für die Auseinandersetzung mit unserer Geschichte zu begeistern. „So faszinierend, dass das Buch sogar auf der Spiegelbestsellerliste landete.“ Und weiter: „Sie zeigen uns als Pfadfinder der Geschichte, wo wir herkommen, wo wir vielleicht hingehen und welche Irrwege wir vermeiden sollten.“ Die Laudatio auf Christopher Clark hielt die Fernsehmoderatorin und Journalistin Shakuntala Banerjee. Für die musikalische Untermalung sorgte an diesem Abend das AquisGranQuartett mit Mariia Smirnova, Karolina Dzikowska, Niklas Halm und Luke Pan. Die Hörfunk- und Fernsehmoderatorin Sonja Marx führte durch die Verleihungszeremonie.

Die Laudatio auf Christopher Clark hielt die Fernsehmoderatorin und Journalistin Shakuntala Banerjee, stellvertretende Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios in Berlin. © Stadt Aachen / Andreas Herrmann

Allgemeine Informationen

Bisherige Preisträger der Médaille Charlemagne waren der Publizist Lord George Weidenfeld (GB), der Autor Cees Nooteboom (NL), der Produzent Jan Mojto (D), der Regisseur Jean-Jacques Annaud (F), der ehemalige Intendant des Westdeutschen Rundfunks Köln Fritz Pleitgen (D), die polnische Schauspielerin Krystyna Janda, die Stiftung Berliner Philharmoniker, gemeinsam die Regisseure Fatih Akin (D) und Abdellatif Kechiche (F), die Organisation „Reporter ohne Grenzen“, der Musiker André Rieu (NL), die Verlegerin Inge Schönthal-Feltrinelli (I), die russische Zeitung (Friedensnobelpreis) Novaya Gazeta, Timothy Garton Ash (GB), die European Film Academy (EFA), die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien Dunja Mijatović, der Eurovision Song Contest, der deutsche Fernsehjournalist und ehemalige Leiter des ARD-Studios Brüssel Rolf-Dieter Krause, der britische Schriftsteller und Historiker Sir Ian Kershaw, das Erasmus Student Network (ESN) sowie 2021 der niederländische Journalist und Historiker Geert Mak.

Verliehen wird der Preis vom Verein „Médaille Charlemagne pour les Médias Européens“, dem folgende Institutionen angehören: Stadt Aachen, Stadt Maastricht, Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Landesanstalt für Medien NRW, Film- und Medienstiftung NRW GmbH, Arte – der Europäische Kulturkanal, BBC World News, Deutsche Welle, Digitalpublisher und Zeitungsverlegerverband NRW e.V. sowie die Karlspreisgesellschaft.  (Frank Fäller)