Von den 20ern über Josephine Backer bis zu Immanuel Kant und Anna Oppermann – Unterhaltsames Jahresprogramm der Bundeskunsthalle

Anna Oppermann Installationsansicht Württembergischer Kunstverein, Stuttgart, 2007 © Courtesy Nachlass Anna Oppermann und Galerie Barbara Thumm

Experimentierfeld der westlichen Moderne

Startschuss liefert die Ausstellung „1920er! Im Kaleidoskop der Moderne“, die vom 1. April bis zum 30. Juli gezeigt wird. Die Schau mit ihren 260 Exponaten beleuchtet die 1920er-Jahre mit ihrer Umbruchphase und als Experimentierfeld der westlichen Moderne. Drei große Themenkomplexe bestimmen und strukturieren das Ausstellungsnarrativ: Das Phänomen der Großstadt als Biotop und Zerrbild der Moderne; der Diskurs über die neuen Rollenbilder von Frau und Mann sowie die Konstruktion und Wahrnehmung der neuen Lebenswelten. In den Fokus gerückt werden die prägenden Phänomene dieser Epoche – Globalisierung, Geschwindigkeit, Experimentierlust, Hinterfragung der Geschlechterrollen, urbane Lebenswelten, die Vielfalt künstlerischer Konzepte, veränderte Sehgewohnheiten, Technisierung, Massenkommunikation.

Fortsetzung der von Eva Kraus, Intendantin der Bundeskunsthalle, initiierten „Frauenreihe“. Nach Hanna Ahrend (2021) und Simone de Beauvoir (2022) folgt nun Josephine Baker (2023). Die vom 18. Mai bis 24. September gezeigte Ausstellung „Freiheit – Gleichheit – Menschlichkeit“ zeigt Josephine Baker als Weltstar, Freiheitskämpferin und Ikone. Als sechste Frau überhaupt wurde Baker in die Ruhmeshalle der französischen Nation, in das „Pantheon“, aufgenommen.

Erster „schwarzer“ Superstar

Freda Josephine McDonald, genannt Josephine Baker, die 1906 in St. Louis am Mississippi in einem armen Schwarzenviertel geboren wurde, hat als Kind Rassentrennung und Rassenunruhen erlebt. Nach einem Karrierestart in Amerika, ging sie nach Europa und wurde in Paris der 1920er Jahre zum ersten weiblichen Superstar mit afroamerikanischen Wurzeln und zur höchstbezahlten Revuetänzerin der Welt. Mit ihren wild-exotischen Bühnenauftritten begeisterte sie das Publikum und die Pariser Kunst- und Literatenszene. Picasso soll sie mehrfach Modell gestanden haben, Hemingway schrieb über sie, Henri Matisse machte einen Scherenschnitt und Alexander Calder mehrere Drahtskulpturen. Später inspirierte Josephine Baker Künstler wie Andy Warhol, Keith Haring und Peter Lindbergh sowie Performerinnen wie Grace Jones, Madonna, Angelina Jolie und Naomi Campbell.

Josephine Baker war zwar eine Ikone der 1920er-Jahre, doch ihre Strahlkraft hat nie nachgelassen, weil sie ihr Leben dem Kampf um Freiheit gewidmet hat. Sie adoptierte zwölf Kinder unterschiedlicher Herkunft und statuierte mit ihrer Regenbogenfamilie ein Exempel gegen Rassismus und für Gleichheit und Gleichberechtigung. Für ihren Einsatz für ein freies Frankreich wurde sie nach 1945 von Charles de Gaulle ausgezeichnet. Für ihr Engagement in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wird seit 1951 am 20. Mai der Josephine Baker Day gefeiert. Martin Luther King holte sie für den March on Washington 1963 nach Amerika. Die Ausstellung beleuchtet, worauf Josephine Bakers Erfolg als erster „schwarzer“ Superstar gründete und wie sie die vermeintlichen Stigmata ihrer Hautfarbe in ihre Stärke verwandelte.

Wer wir sind“

Wer wir sind“ (26. Mai bis 8. Oktober 2023). Als kulturgesellschaftliches und zugleich gesellschaftspolitisches Projekt wirft das Projekt einen Blick auf die Gegenwart und Vergangenheit jener Einwanderungsgesellschaft, die die Bundesrepublik Deutschland ausmacht. Das Recht auf Teilhabe und der Schutz vor Diskriminierung sind in unseren Grundrechten verbrieft. Gleiche Rechte bedeuten jedoch nicht gleiche Voraussetzungen: Herkunft, Religion und Kultur können zum Stigma werden. Wie steht es heute also tatsächlich um die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft? Auf welche Defizite und Errungenschaften können wir blicken – und wo darf sich der Sektor der Kunst und Kultur im Hinblick darauf verorten?

Freda Josephine McDonald, genannt Josephine Baker, US-amerikanische Sängerin, Tänzerin und Revueleiterin um 1940.© bpk adoc-photo

Kunst als Seismograf

Kunst wird als Avantgarde der Gesellschaft begriffen und als Seismograf wahrgenommen Stärker denn je wird auch in der zeitgenössischen Kunstproduktion die eigene Perspektive thematisiert und hinterfragt. Identität und Erfahrungswelt der Künstlerinnen und Künstler wird zum integralen Bestandteil der Kunstbetrachtung. Die Ausstellung: „Wer wir sind „macht es sich auch zur Aufgabe, gemeinsam mit Künstlerinnen und Künstlern kritisch über Machtstrukturen und das eigene Selbstverständnis zu reflektieren.

Postmoderne“

Unter dem Arbeitstitel „Postmoderne“ 1967–1992 startet der Kunstherbst mit und in dem größten Exponat dieser Ausstellung, der Bundeskunsthalle selbst. Denn mit ihrem spielerischen Charakter ist die 1992 eröffnete Arena eine Erbin der Postmoderne. Die Schau: Laufzeit: (29. September bis 28. Januar 2024), bietet einen chronologischen Überblick durch die Jahre und stellt Entwicklungen in Kunst, Design, Architektur, Mode, Medien, Darstellenden Künsten, Musik, Literatur, Theorie, Politik, Film, Technologie und Wissenschaft gleichwertig nebeneinander und zueinander in Bezug. Die Ausstellung unterhält, indem sie all die Exzentrik in Design, Architektur, Mode und Pop präsentiert, von der bahnbrechenden Studie „Learning from Las Vegas“ (1974) bis zu Michael Graves gigantischen Ressorthotels für die „Disney World“ in Orlando (1990); von David Bowies „Spiel mit Geschlechterrollen“ bis zu Michael Jacksons Musikvideo „Thriller“. Die Ausstellung eröffnet mit Musikvideos, die Geschmack, Atmosphäre und Themen der Zeit aufrufen. Von da ab entfaltet sich ein chronologischer Parcours, in dem Möbel, Bücher, Modeentwürfe, Architekturmodelle, Manuskripte und das erste Mobiltelefon oder der erste PC Konstellationen eingehen.

Beiträge zur Aufklärung

Am 22. April 2024 jährt sich der Geburtstag von Immanuel Kant (1724– 1804) zum 300. Mal. Dies nimmt die Bundeskunsthalle zum Anlass, den berühmten Philosophen besonders zu ehren. „Immanuel Kant und der Geist der Aufklärung“, lautet der Titel der Ausstellung, die vom 24. November bis zum 10. März 2024 gezeigt wird. Kants bahnbrechende Beiträge zur Aufklärung, seine Überlegungen zur Ethik, Emanzipation, Erkenntnistheorie und Völkerrecht gelten bis heute als Referenzpunkte für richtungsweisende Debatten. Die Schau soll das Werk Immanuel Kants einem philosophisch nicht vorgebildeten, explizit auch jungen Publikum mittels innovativer, leicht zugänglicher Vermittlungsformate nahebringen. Dabei sollen die vier berühmten kantischen Fragen: „Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Was soll ich tun? Was ist der Mensch?“ die Ausstellung inhaltlich strukturieren. Im Rahmen dieser Themenkreise werden hochkarätige Exponate (Gemälde, Grafiken und Skulpturen, wissenschaftliche Instrumente, Modelle und Karten, Handschriften und Drucke u. a) die Kernthemen der Aufklärung, die den Ausgangspunkt für Kants Wirken bildeten, visualisieren.

Geistiges Zentrum Königsberg

Kants Biografie war aufs Engste mit der städtischen Umgebung von Königsberg verbunden, wo er 73 Jahre seines langen Lebens verbrachte. Die preußische Residenzstadt bildete nicht nur sein kreatives Milieu (die Lehrtätigkeit, die legendären täglichen Stadtspaziergänge und die Tischgesellschaften), sondern strahlte als geistiges Zentrum ihrer Epoche in den gesamtdeutschen und europäischen Raum hinein. Eine nach dem neuesten Stand der Technologie entwickelte VR-Rekonstruktion des barocken, 1944/45 völlig zerstörten, Königsbergs bildet ein zentrales Vermittlungselement der Ausstellungsinhalte.

Ringvorlesung

Für das Sommersemester 2024 ist in Zusammenarbeit mit dem Digitalen Kant-Zentrum NRW und der Universität Bonn eine Ringvorlesung in der Bundeskunsthalle geplant, die sich an ein breites Publikum richtet. Sie bildet eine inhaltliche Brücke zu dem großen internationalen Kant-Kongress, der im September 2024 von der Universität Bonn ausgerichtet wird.

Sonia Delaunay „Kasak“ um 1925 gewirkte Seide © Foto: Stiftung Ohm

Deutsche Konzeptkunst

Das Ausstellungsjahr beschließt die Künstlerin Anna Oppermann (1940–1993). In den sechziger Jahren entwickelte sie ihre radikal offene und dialogische Sprache. Ihre komplizierten Assemblagen aus Zeichnungen, Fotografien und Objekten entwickelten sich zu großformatigen, raumgreifenden Installationen.

Anna Oppermann hat ein großes Werk hinterlassen. Nach ihrem Studium an der Hochschule für bildende Künste Hamburg stand sie als Schlüsselfigur der deutschen Konzeptkunst ab den 1960er-Jahren im konstruktiven Austausch mit Künstlerinnen und Künstlern ihrer Zeit; durch ihre Teilnahme unter anderem an der documenta 6 und 8 in Kassel war sie früh im internationalen Kontext bekannt.

Installative Ensembles

Die Bundeskunsthalle würdigt Anna Oppermann mit einer umfassenden Retrospektive. Die Ausstellung wird, neben den installativen Ensembles, ihre künstlerische Praxis bis ins bildnerische Frühwerk der 1960er Jahre nachzeichnen, an welchem sich ihr schon frühes Interesse an Wahrnehmungsfragen ablesen lässt. Der von Oppermann in den frühen 1970er-Jahren geprägte Begriff des „Ensembles“ für ihre prozesshafte angelegten Arrangements umfasst sowohl das installierte Werk als auch die zugrundeliegende Methode: „Ensemble nenne ich die Dokumentation einer bestimmten Methode des Vorgehens bei Wahrnehmungs- und (oder) Erkenntnisübungen.“ Die konstanten Hinterfragungen des Verständnisses von Kunst, eines Werks, aber auch einer Künstlerin, ist Teil ihrer künstlerischen Praxis. Die Ensembles aus Notizen, Zeichnungen, Fotografien, Gedrucktem und Objekten belegen ihr radikales Verständnis eines Werks: Es ist offen sowie dialogisch angelegt und der Prozess ist Teil des Werks. Peter Köster

Gottlieb Doebler Immanuel Kant nach 1791 Öl auf Leinwand, 36,8 x 31 cm © Ostpreußisches Landesmuseum. Leihgabe Stadt Duisburg