„Passierschein in die Zukunft“

Joseph Beuys, Capri-Batterie, 1985. Foto: Peter Köster

Multiples von Joseph Beuys als Grundlage für Ausstellung im Kunstmuseum

Bereits der Titel der Ausstellung „Passierschein in die Zukunft. Joseph Beuys, Katinka Bock, Christian Jankowski, Jon Rafman“, die vom 7. November bis 9. Januar 2022 im Kunstmuseum Bonn zu sehen ist, verweist auf die visionäre Kraft von Kunst und ihrer gesellschaftlichen Funktion. Beuys Multiples werden drei jüngere Positionen gegenübergestellt.

Zentrum des Schaffens

Die gleichermaßen retrospektive wie zukunftsweisende Ausstellung kuratiert von Stefanie Kreuzer und Christoph Schreier, setzt sich mit dem gesellschaftsverändernden Potenzial von Kunst anhand der Multiples von Joseph Beuys auseinander. Beuys war ein grandioser Zeichner und Plastiker und ein Künstler, der die Gesellschaft als ganzes formen wollte. Dazu dienten ihm seine Multiples, die „homöopathische Dosen seines Denkens“ (wie er seine Objekte nannte), in jeden Haushalt tragen sollten. Zwischen 1965 und 1986 hat er 556 Multiples geschaffen, von denen sich über 400 in der Sammlung des Kunstmuseum Bonn befinden. Es handelt sich u.a.. um Tüten mit getrocknetem Hasenblut, Gläser, politische Manifeste, Arbeiten, die sein Denken und seine Kunst spiegeln. Die Multiples führen ins Zentrum seines Schaffens. In ihren gesellschaftlichen, ökologischen und existenziellen Fragestellungen besitzen die Werke eine ungeheurere Aktualität, sie sind Wegweiser für eine Gesellschaft mit Reformbedarf.

Katinka Bock Installation „Landumland“, 2019. Foto: Peter Köster

Komplexer Mikrokosmos

Joseph Beuys, dessen 100. Geburtstag in diesem Jahr mit vielen Ausstellungen und Aktionen in Museen und Kunsteinrichtungen gefeiert wird, hat ein medial wie thematisch reiches Gesamtwerk hinterlassen. Zu ihm gehören neben den Zeichnungen, den Plastiken und Aktionen auch seine Editionen, die einen Sammlungsschwerpunkt des Kunstmuseums Bonn bilden und im Rahmen
seines kreatikven Tuns eine wichtige Rolle spielen. In ihrem komplexen Mikrokosmos spiegeln sich nicht nur alle inhaltlichen Schwerpunkte seines Schaffens, sie fügen dem Werk auch noch eine besondere Qualität hinzu.

Seine Multiples vermitteln Botschaften, die sich aber statt an ein exklusives Kunstpublikum an Jedermann richten. Entsprechend lautet die klare Forderung der Multiples, uns auf den Weg in eine sozialere, gerechtere und nach ökologischen Prinzipien gestaltete Zukunft zu machen.

Joseph Beuys, Urobjekt: Erdtelephon, 1987. Foto: Peter Köster

„Arbeit von Rätselhaftigkeit“

Beuys Denken ist auf eine solche Entwicklung und damit auf die Zukunft ausgerichtet und von daher behalten seine Themen auch heute noch ihre Aktualität und Relevanz. Sie harren der weiterführenden „Bearbeitung“ auch durch eine jüngere Generation von Künstlerinnen und Künstlern, die in der Ausstellung mit ihren Werken in einen differenzierten Austausch der Ideen tritt und so einen Diskurs eröffnet, der mal fortführend oder kontrovers, mal herausfordernd oder spannungsgeladen, aber immer auch eigenständig zu lesen ist, da er sich nicht rückbezieht, sondern im Heute, im Zeitgenössischen verankert ist. Beispiel dafür ist die raumgreifende Installation „Landumland“von Katinka Bock, ohnehin keine Unbekannte im Kunstmuseum. 2015 war die Künstlerin in der Sammlungspräsentation „Nur nichts anbrennen“ vertreten. In ihrer „Arbeit von Rätselhaftigkeit“, so Kuratorin Stefanie Kreuzer zeigt sie eine Bodeninstallation aus Kupferplatten. In der Mitte steht ein Heizkörper, der sogar funktioniert. Die Künstlerin hat ihn über eine entsprechende Verbindung an das Heizsystem des Hauses angeschlossen. Eine weitere Besonderheit liefern die unter den Kupferplatten versteckten Keramikobjekte, die, wenn man sie näher in Augenschein nimmt, wie Pommestüten ausschauen. Die gesamte Arbeit  interagiert mit den drei im Beuys’schen Werk hervortretenden inhaltlichen Schwerpunkten der Ausstellung: Bild – Welt / Natur – Prozess / Sprache – Aktion.

Gut gelaunt vor der Arbeit „Soziale Plastik“ (Hintergrund). Intendant Stephan Berg, Kurator Christoph Schreier, Kuratorin Stefanie Kreuzer, Künstler Christian Jankowski (v.l.) Foto: Peter Köster

Katinka Bock vertritt gemeinsam mit Christian Jankowski und Jon Rafman die zeitgenössischen Positionen. Obwohl es sich bei diesen Dreien um  eigenständige Künstlerinnen und Künstlerpersönlichkeiten handelt, lassen sich Berührungspunkte zu Ideen und Fragestellungen aufweisen, die auch Joseph Beuys bewegt haben. So entsteht ein komplexer, generationenübergreifender Dialog, in dem Impulse aufgegriffen und neu formuliert werden. Die Ausstellung schöpft primär aus den Multiples und verbindet sie thematisch mit aktuellen künstlerischen Positionen. Sie gewährt einen historischen Blick auf  Beuys und liefert so de facto einen „Passierschein in die Zukunft.“ Peter Köster