Das Urteil aber Europa heißt weithin blickend

Willy Brandt und Waldemar Ritter legten vor genau 50 Jahren in Aachen den „Europagrundstein des Friedens“.

Waldemar Ritter: Am 12. September schaute die Welt auf Karlsruhe. Das Bundesverfassungsgericht gab seine Entscheidung über den europäischen Fiskalpakt und den „Europäischen Stabilitäts-Meschanismus“ESM bekannt. Als größtes Land Europas ist Deutschland mit 27 Prozent daran beteiligt. Das sind knapp 22 Milliarden Euro, die in das Kapital des ESM fließen und eine Bürgschaft für 168 Milliarden Euro. Bis auf Deutschland haben alle anderen  16 Staaten der Eurozone , deren Geberländer 73 Prozent einbringen, den Vertrag abschließend ratifiziert. Dagegen geklagt hatten  Europaskeptiker, die im Deutschen Bundestag keine Mehrheit für ihre Gegnerschaft gefunden hatten.

Das Bundesverfassungsgericht hat deren Eilanträge gegen den Euro-Rettungschirm abgelehnt, allerdings mit Massgaben, so das die Haftung Deutschlands auf die vereinbarten 190 Mrd. Euro  beschränkt bleibt und darüber hinaus gehende Zahlungen nur mit Zustimmung des Bundestages möglich sind. Ein fürs erste richtiges, ein gutes Urteil!

Zum Vergleich: Für die Rettung einer einzigen deutschen Bank, der „dümmsten“ Bank in Deutschland,  die sogar Addition und Subtraktion  in Höhe von 55 Miiliarden Euro verwechselt hat, der verstaatlichten Münchner Hypo Real Estate, haftet der deutsche Steuerzahler mit insgesamt 270 Milliarden Euro. Das braucht keinen Kommentar. Außer, dass der Staat  sich aus der finanziellen Haftung für die Banken heraus zu nehmen hat. Die sollen gefälligst selber  einen eigenen Banken ESM machen. Seit fast 5 Jahren ist hier die soziale Marktwirtschaft außer Kraft gesetzt. Es ist Zeit, dass auch die Banken wie alle anderen die Gefahr der Insolvenz, der eigenen Pleite spüren, damit sie wieder solide Dienstleister der Wirtschaft werden und keine Spielkasinos, die mit anderer Leute Geld unverantwotliche Risiken wagen: In der einfachen Umgangssprache „zocken„ genannt, wie wir das in Deutschland, besonders bei den staatlichen Landesbanken erlebt haben.

Wir müssen endlich die Größenordnungen, die Proportionen  offenlegen um klar zu machen, dass nicht Krisenstaaten, wie Griechenland den Geberländern und ihren Steuerzahlern in erster Linie Geld kosten, sondern die Banken, die allein in Europa bisher mit 1,6 Billionen  Euro, also  mit 1600 Milliarden Euro  öffentlicher Mittel gestützt wurden. Die noch umstrittene neue Bürgschaft  für Griechenland soll dagegen 31 Milliarden betragen, wenn das Land 11,5 Milliarden Euro im eigenen Haushalt spart. So sehen die Realitäten aus , die mit dem Bild, das uns unsere Medien bisher gemacht haben, nichts zu tun hat.

Manchmal lohnt sich ein Ausflug in die Kultur, zu der auch Geld gehört. In Frankfurt, das ist der Sitz der unabhängigen Europäischen Zentralbank, wird gerade  eine Ausstellung gezeigt über „Goethe und das Geld“ .Und nicht mehr Mephisto, sondern Faust nimmt die Sache in die Hand,  und wenn auch erst im fünften Akt- weiss er, dass man Geld  auch produktiv einsetzen kann und dies dann nicht Inflation , sondern Hilfe und Gutes für alle schafft. Und wenn die Finanzmärkte , das heißt, die Banken, Fonds und Anleger, gegen die Krisenländer wie Griechenland spekulieren und damit ihre finanzmarktkonforme Politik von den Europäern insgesamt erzwingen wollen, dann läuft nicht nur etwas schief, dann müssen Deutschland  und Europa im Interesse aller  mit einer Stimme sprechen.

Ich weiß nicht ob die Richter des  Bundesverfassungsgerichts vor Ihrer Entscheidung im nahegelegenen Frankfurt gewesen sind . Auch  die  Paulskirche mit ihrer ersten demokratisch gesammtstatlichen Verfassung auf dem Weg zur Überwindung der Kleinstaaterei, wäre sicher nicht ohne weitere  Erkenntnis fördernde Wirkung für das Kleingedruckte geblieben.

Die Väter unseres Grundgesetzes hatten unsere und die europäische Geschichte und Zukunft, den Frieden des Kontinents und dessen Wirtschaft und  Kultur vor Augen als sie unsere Verfassung geschaffen haben. Die Zielsetzung in der Präambel des Grundgesetzes heißt deshalb auch , dass „das deutsche  Volk von dem Willen beseelt“ sei, „als gleichberechtigtes  Glied in einem vereinten Europa“ zu dienen. Eines der ersten Integrationsprojekte mit dem wir ein Stück Souveränität an Europa abgaben  war schon die Montanunion, die euröpaische Wirtschaftsgemeinschaft und  1953 die Europäische Verteidigungsgemeinschaft. Der Bundestag hatte zugestimmt , das Bundesverfassungsgericht nichts dagegen einzuwenden.

Warum sollte die Aufgabe der D Mark und die Schaffung der europäischen Währungsunion zulässig gewesen sein – die Maßnahmen zu deren Erhaltung jetzt aber verfassungswidrig?

Wenn viele in unseren Medien  sagen oder schreiben, das alles kann man nicht erklären, sollten sie nicht von man, sondern  von sich sprechen. Das könnte man verstehen.

Natürlich können und sollen wir streiten, und Mehrheiten suchen, welche Wege zur Gestaltung und politischen Veränderung Europas dafür die besten sind. Aber das ist nicht Sache der Juristerei , sondern der Parlamente, insbesondere des direkt und frei gewählten Europäischen Parlaments , des Europäischen Rates und der 17 gewählten Regierungen in der europäischen Kommssion, die ebenso demokratisch  ist wie unser aus 16 Bundesländern zusammengesetzter Bundesrat. Wo ist der Unterschied zwischen Bremen und Nordrhein-Westfalen einerseits und Luxemburg versus Deutschland andererseits.

Auch ein imperatives Mandat des Bundestages oder generelle Vorbehalte bei internationalen Verträgen gegenüber der deutschen Regierung würden in wichtigen europäischen Fragen nicht nur den Handlungsspielraum,   und die Durchsetzung deutscher Interessen in Europa schwächen, es wäre auch ein Missachtung der Gewaltenteilung in unserem Staat. Allerdings muss  bei der Verwirklichung der Wirtschafts- und Finanzunion  das von allen Bürgern direkt gewählte Europäische Parlament  die notwendigen Kompetenzen erhalten, um demokratische Kontrolle auszuüben.

Auch welche Souveränitsrechte und Pflichten wir, wie alle europäischen Staaten, zu gemeinsamen Lösungen an Europa abgeben. Wir können das grundgesetzkonform entweder auf dem ganz normalen parlamentarischen Weg in Deutschland machen oder durch eine Volksabstimmung, in dem wir sie gemäß Artikel 20 GG generell zulassen. Oder nach Artikel 146 zur Verwirklichung einer Politischen Union in Europa, zu den vereinigten Staaten von Europa: Denn unser „Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage , an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutsc hen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.“

Wir brauchen mehr Macht für Europa über den nationalen Haushalten , mehr Kontrolle und Aufsicht über das europäische Bankensystem und mehr Kraft für die Europäische Union durch eine gemeinsame Finanz-,Steuer-, Außen- und Sicherheitspolitik. Wir brauchen den eurpäischen Mehrwert. Dabei geht es zunächst um die Demokratisierung der EU, etwa durch eine Stärkung des Europäischen Parlaments. Auch dazu müssten die Mitgliedstaaten einen Teil ihrer Souveränität abgeben. Vergessen wir nicht: Europa ist eine Wetegemeinschaft, deren Fundament aus der kulturhistorisch gewachsenen Synthese antiker, griechischer Wissenschaft und Kunst, dem römischen Rechts- und Staatsgedanken, dem Christentum, dem Dialog und der noch unvollendeten Aufklärung besteht.

Europa ist ein großes Buch . Wer es auf die Staatsschuldenkrise reduziert, sieht nur eine Seite davon.  Aber die andauerende Staatsschuldenkrise ( wir befinden uns allenfalls in ihrer Halbzeit), der sich immer mehr verstärkende Prozeß der Globalisierung, und die sich prozentual   rapide verändernde Demografie in Deutschland und Europa auf der einen Seite, und der übrigen Welt auf der anderen Seite, stellen eine dreidimensionale Herausforderung für Europa dar,  der kein Einzelstaat auf unserem Kontinent gewachsen ist. Wir müssen ihr europäisch gerecht werden, wenn wir eine gute Zukunft für Deutschland und Europa wollen.

Ich stimme mit der Initiative deutscher Stiftungen, mit deren Schrmherrn  Bundespräsident Gauck  und dem Altkanzler Helmut Schmidt voll überein: Wir Europäer können im globalisierten Weltgefüge nur gemeinsam bestehen, nur gemeinsam werden wir unsere Werte  von Freiheit, Frieden, Demokratie und Gerechtigkeit behaupten. Die europäische Integration ist im ureigenen  deutschen Interesse , sie ist im Interesse aller europäischen Völker. Deshalb müssen wir für Europa kämpfen. Mit Herz, Verstand und dem notwendigen Respekt voreinander. Und ich weiß:  Europa ist die beste Investition, die beste Perspektive in unserer aller Zukunft.

Mit einem klaren Kurs können wir auch die politische Vertrauenskrise überwinden, obwohl wir bis jetzt noch immer keinen fertigen Masterplan, keinen Fahrplan zur Lösung dieser Krise haben. Die Politik muss vor allem weiter auf Reformen als Vorbedingung zu Hilfen bestehen. Und diese Hilfe darf nicht mehr den Banken zugute kommen. Gerade in den Krisenländern darf keine soziale Schieflage entstehen. Nicht nur diejenigen, deren Einkommen ebenso transparent wie niedrig sind, müssen ihren Beitrag leisten. Auch hierauf müssen die Geberländer bestehen! Die Griechen und Spanier, sind ebenso wie die Franzosen und Polen unsere europäischen Brüder. Auch deshalb soll Europa nicht nur eine Wirtschaftsunion sein, sondern ebenso eine sozial und politische Union.

Ich verstehe, dass Politiker manchmal die souveräne Unschärfe brauchen.  Aber der Satz des Bundesverfassungsgerichts : „Die Prüfung hat ergeben, dass die angegriffenen Gesetze  die Verfassung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht verletzen“ ist eher Politiker-deutsch als die Sprache des Rechts. Auch sonst sollte sich das Bundesverfassungsgericht davor hüten Schiedsrichter und Spieler zugleich zu sein.

Das Mandat der Europäischen Zentralbank, deren Unabhängigkeit Deutschland durchgesetzt hat, schließt eine Staatsfinanzierung durch die Banknotenpresse aus. Sollte die EZB diese Linie überschreiten was einige  wohl Interesse geleiteten Kritiker behaupten, würden gerade die Europäische Kommission die erste sein, die dagegen vor dem Europäischen Gerichtshof klagte, damit die Verträge respektiert werden. Es ist heilsam für alle Beteiligten, wenn die harten Bedingungen des Rettungsschirm von der EZB übernommen werden. Was komplex ist braucht klare Ziele und einfache Regeln. Die EZB hat das gemacht , selbst wenn Inflation nur solange niedrig bleibt, wie das Wirtschaftswachstum in der Eurozone schwach ist. Erst danach muss sie gegen steuern, neu justieren.

Die Zeit drängt, Bis zur nächsten Konferenz der Euro-Regierungschefs , am 8. Oktober sollte Deutschland den Europäischen Stabilitätsmeschanismus  ratifizieren.. Es ist höchste Zeit, dass unsere Politik klare Kante zeigt: Kompetent, gradlinig und vertrauenswürdig. Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble haben das große Format. Und sie wissen  worüber sie reden.  Mehr Europa , mehr Demokratie, mehr Solidarität und politische Qualität und ohne Vorbehalte die offensive Stärkung des Euro.  Das kann und darf kein Gericht, das muss  von allen Europäern und der Politik entschieden werden. Euruopa heißt weithin blickend. Europa sollte sich nicht vor sich selbst verstecken.

Ergänzte Erstfassung vom 13. September 2012

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