Ausstellung Nevin Aladağ „Interlocking“ im Max Ernst Museum Brühl

Nevin Aladağ vor ihrer Arbeit „Social Fabric, Floating Leaves“, 2023. Ensemble aus vier organischen Formen. Foto: Peter Köster

Kunst soll für jeden spielerisch erfahrbar und zugänglich gemacht werden

Brühl. „Interlocking“, was so viel bedeutet wie Ineinandergreifen, ist die Ausstellung überschrieben, die das Max Ernst Museum der international renommierten Künstlerin Nevin Aladağ  widmet. Die wahrlich sehenswerte Schau kann bis zum 30. Juni in Brühl besucht werden.

Gehäckelte Basketbälle

Sie ist Künstlerin, Musikerin, Tänzerin. Das Werk der Installations- und Performancekünstlerin Nevin Aladağ ist in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Das bewies sie bereits im letzen Jahr in der  Bundeskunsthalle. Dort überzog sie mit ihrer Installation „Interaction“ bestehend aus Teppichen, Basketballkörben und handgearbeiteten Bällen, die zum Spiel und zur Kommunikation einluden, das Dach der Kunsthalle. Mit ihrer Installation „Teppichballspiel“ im Max Ernst Museum lädt sie auch hier das Publikum zum Mitmachen ein. So hat sie im hinteren Bereich der Halle ein Basketballfeld aufgebaut. Die Basketbälle unterscheiden sich aber von original Basketbällen dadurch, dass sie umhäckelt sind. Das betrifft übrigens auch ihre Medizinbälle im Videoraum des Museums.

Bild 2 Basketballspiel
Die Künstlerin versucht, den „Häckel-Ball“ in den Korb zu befördern.
Foto. Peter Köster

„Musikzimmer“

Nevin Aladağ ist bekannt für ihre Arbeiten, die Menschen zum Mitmachen anregen und zusammenbringen. Das beweist sie auch mit ihrem sogenannten „Musikzimmer“. Dort präsentiert sie in ihrer Skulpturenserie „Resonator“ jüngste, surreal anmutende verschiedene Arbeiten aus der Werkreihe „Resonating Spaces.“ Die Klang-Skulpturen bestehen aus verschiedenen Instrumenten bzw. deren Mundstücken. Musikerinnen und Musiker können Trompete, Tuba oder auf Trommeln, einer Cabasa, Glocken spielen. Die ursprünglichen Instrumente stammen aus unterschiedlichen kulturellen und geographischen Zusammenhängen. Aladağ sensibilisiert spielerisch unsere Wahrnehmung für die Bedingungen eines Zusammenseins jenseits kultureller Grenzen: „Was beeinflusst wen wie, und ab wann beginnt eine Kakophonie?“

Nevin Aladağ (geboren 1972 in Van, Türkei), lebt und arbeitet in Berlin. Sie besuchte die Akademie der Bildenden Künste in München, wo sie 2000 ihr Studium der Bildhauerei abschloss. Aladağs Arbeiten wurden unter anderem an folgenden Orten ausgestellt: Museum of Modern Art, San Francisco/US (2020); Hayward Gallery, London/UK (2020); Mönchehaus Museum, Goslar/DE (2019); Schirn Kunsthalle, Frankfurt/DE (2019); Martin-Gropius-Bau, Berlin/DE (2019); Bundeskunsthalle, Bonn/DE (2018); 57. Biennale Venedig, Venedig/IT (2017); documenta 14, Athen und Kassel/GR/DE (2017).

Bild 3 Lampe
Deckenskulptur „Color Floating“. Foto: Peter Köster

Skulpturale Interventionen

Nevin Aladağ erkundet die Grenzen von Objekten und Formen, indem sie mit traditionellen Materialien und Techniken arbeitet. Fragen nach Herkunft und Identität stehen in Zentrum ihrer skulpturalen Interventionen, Performances, Video- und Soundinstallationen. Madeleine Frey, Direktorin des Max Ernst Museums und gleichzeitig Kuratorin der Ausstellung, beschreibt das Werk von Nevin Aladağ wie folgt: „Die Ausstellung ist ein Parcours für alle Sinne. Nevin Aladağ verbindet in ihren Arbeiten Alltagsgegenstände und Ornamente, Musik, Klang und Tanz und stellt damit kulturelle Bezüge her. Sie lädt uns dazu ein, die Ausstellung zu aktivieren.“

Atelier nur für Teppiche

Eigens für die Brühler Ausstellung fertigte Nevin Aladağ neue Arbeiten, darunter u.a. zwei Werke der Reihe „Color Floating, in der sie Lampen mit farbigen Nylonstrümpfen bespannt und damit überraschende Effekte erzielt. In der Serie „Social Fabric, Floating Leaves“ collagiert die Künstlerin Teppichfragmente aus aller Welt zu fantasievollen Gebilden. Apropos: Teppiche. Im Werk der Künstlerin spielt diese  Auslegeware eine zentrale Rolle. „Seit 2010 besteht meine Liebe zu Teppichen. Ich habe ein Atelier nur für Teppiche“, sagt Nevin Aladağ. Mit ihren Collagen aus Teppichen unterschiedlichster Herkunft als „Social Fabric“ bezeichnet, spannt sie ein weites Feld der Assoziationen und Bezüge auf.

Bild 4 Musikzimmer
Blick in das „Musikzimmer“. Foto. Peter Köster

Faszinierende Ordnung

Die vielfältig geformten, farblich differenzierten und gemusterten Teile von geknoteten Kelims, geknüpften oder gewebten Woll- und Seidenteppichen, maschinell produziertem Sisal oder Tretford bis hin zur einfachen Auslegeware nutzt sie wie Splitter, die sich zu einem neuen Ganzen fügen. Die Grenzen, oder Nähte, zwischen den Teilen sind durch eine einheitliche Farbe markiert und betonen die Konturen der Teppichstücke. Es ist eine faszinierende Ordnung, die sich aus der verwirrenden Buntheit herauskristallisiert: das Geviert des Bildformats, die große Formen umschreibenden Linien, die diesen zugeordneten kleineren Formen und schließlich die einzelnen Farb- und Musterformen selbst. Grenzen werden gesetzt und überschritten.

Hybride Objekte

Die Wandteppiche erscheinen zudem als hybride Objekte, die an Reliefs und malerische Musikkompositionen erinnern. Die Vermischung hochwertiger Textilien und industriell gefertigter Massenware spiegelt komplexe gesellschaftliche Kulturtechniken wider und verweist auf religiöse und gesellschaftliche Vielfalt. Aladağ nimmt die Grenzen von Objekten und die Identität der Formen als Ausgangspunkt, um gesellschaftliche Diversität, Identität und Gemeinschaft zu beleuchten. Der Pfeil von „Social Fabric, pink arrow“ und „pink bow“ zielt also weit über die materielle Collage hinaus. Insofern sind sie ein zeitgenössischer Kommentar, der anknüpft an die facettenreiche Geschichte der (Material-)Collage (Kurt Schwitters, Max Ernst), und eine aktuelle künstlerische Position an der Schnittstelle verschiedener Kulturen. Aladağ zieht mit textilen Collagen, Klangskulpturen, Installationen und Videos Verbindungslinien zwischen verschiedenen Bereichen künstlerischen Schaffens und deren soziokulturellen Hintergründen. Das Herstellen solcher Zusammenhänge ist ein Hauptthema in Nevin Aladağs vielgestaltigem, oft mit viel Humor ausgestatteten Werk, das die Gemeinsamkeiten im Formenspiel ganz unterschiedlicher Kulturen sinnlich erfahrbar macht.

Mit der Ausstellung gelingt es dem Max Ernst Museum, die Kunst für jeden erfahrbar und zugänglich zu machen, in dem die Besucherinnen und Besucher  Teil des Kunstwerkes werden. Durch das Eintauchen in das Kunstwerk und das Berühren der Kunst kann so erreicht werden, die normalerweise in Museen herrschende Distanz zu den Kunstwerken zu verringern. Peter Köster