Evangelii Gaudium und die Weihnachtsfreude

Papst Franziskus hat immer ein Lächeln auf den Lippen

Ein Interview mit Waldemar Ritter

KABINETT: Herr Dr. Ritter, Sie haben in diesem Jahr über politische und wissenschaftliche Grundsatzfragen geschrieben, deren Bedeutung und Brisanz erst mit Verzögerung in Politik und in veröffentlichter Meinung wahr genommen wurde. Am meisten beeindruckt hat, dass Sie Papst Franziskus, am Tag seiner Wahl als ihren Genossen Papst bezeichnet haben für den Sie beten wollen. Das konnten damals manche Kommentatoren nicht verstehen.

Ritter: Einige haben das bis heute nicht begriffen, am allerwenigsten seine  konkrete, nicht akademische  Kapitalismuskritik, wie er sie jetzt mit seinem Schreiben  „Evangelii gaudium“  für jedermann durchbuchstabiert.

K.: Was möchte der Papst verändern?

Ritter: Nicht nur die katholische Kirche auf allen Ebenen, sondern ebenso Gesellschaft und Wirtschaft. „Diese  Wirtschaftsform tötet“, sagt er, denn hier herrscht das Gesetz des Stärkeren. Seine Radialkritik an der Gesellschaft und seine Kritik am aktuell dominierenden ökonomischen System, sein entschiedener Aufruf und  Kampf gegen Armut und Ungleichheit,  können Wirkungen erreichen, die sich Mächte und Mächtige noch nicht vorstellen wollen. Und an uns alle ist sein Satz gerichtet, er sei selbst dazu  „berufen … zu leben, was ich von anderen verlange“. Es ist nicht das Thema des anderen, sondern auch meiner persönlichen Lebensweise, das bescheidene  Leben, der  Geschmack am guten, bescheidenen, freudigen  Lebensstil, der uns glücklicher macht, der uns selbst, dem Nächsten, der Umwelt und der Schöpfung dient. Lebensfreude und Hoffnung am durchaus revolutionären  Evangelium und seiner Soziallehre.

K.: Muss man das alles nicht differenzieren?

Ritter: Das hat der Papst selbst gemacht. Sein Schreiben hat 180 Seiten. Verantwortliche in Staat und Gesellschaft, Christen und Soziale Demokraten, auch  die veröffentlichte Meinung und die politische Bildung sollten den ganzen Text aufmerksam lesen. Das ist keine Ideologie des Marxismus, wie das Kritisierte und das Kommentariat gern hätten. Ebenso ist das keine wohlfeile und billige Kapitalismuskritik, auf die gerade die beiden deutschen Kardinäle Lehmann und Marx hingewiesen haben: Das Papstschreiben kennt durchaus „noble“ Fortschritte  und Verbesserungen des sozialen Zusammenlebens der Menschen.  Aber dieser Papst  geht mit bestimmten gesellschaftlichen Tendenzen sehr deutlich  ins Gericht; Es gibt eine  steigende Ungleichheit in der Verteilung der Güter, die Wohlstandkultur betäubt, oft wird das Geld vergöttert, es gibt eine „absolute Autonomie der Märkte“, die Finanzspekulation verstärkt dies alles, eine Gier nach Macht und Geld ist unverkennbar, doch „das Geld muss dienen und nicht regieren“, wir leben in einer Wegwerfkultur, in der ein außerordentlicher Konsumdruck vorherrscht; die Vernichtung von vielen Nahrungsmitteln, der Hunger in der Welt, eine auch in fortgeschrittenen Ländern bestehende Korruption und  hohe Steuerhinterziehung sind genannt. Für Papst Franziskus ist es ein Skandal, wie viele Menschen aus einer solchen Welt ausgeschlossen werden und nicht nur als ausgebeutete, sondern als „Müll“ als „Abfall“ gelten. Der Mensch an sich wird wie ein Konsumgut betrachtet, das man gebrauchen und dann wegwerfen kann. Dieser Papst beschränkt sich nicht auf die Erneuerung einer auf sich selbst konzentrierten Kirche, er legt überaus deutlich den Finger auf nicht hinnehmbare Entwicklungen und Schädigungen in unseren Sozialsystemen. Er fordert von der Politik in der ganzen Welt, dass sie ihren Bürgern eine würdige Arbeit, Bildung und Gesundheitsfürsorge garantiert.

Es muss allerdings auch eine Debatte geben über den staatlichen Monopolkapitalismus (China) und den Pumpkapitalismus der Staaten (Westen), bis hin zu der Steuer und Abgabenungerechtigkeit gegenüber den arbeitenden Menschen.

K.: Und die Kirche selbst?

Ritter: Sein Credo ist: Lieber eine „verbeulte Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist“, als eine, „die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist.“ Zwei zentrale Worte fassen die Grundhaltung, die der Pontifex von seiner Kirche wünscht: Armut und Dialog. Er wünscht sich eine arme Kirche für die Armen, die nicht in „spiritueller Weltlichkeit“ aufgeht, sondern eine Kirche, die sich in Bewegung setzt. Auch mit Blick auf den Dialog, mit Blick auf andere Konfessionen und Religionen ebenso wie im Bezug auf Politik, Wirtschaft und soziale Gruppen im Ringen um Gerechtigkeit

K.: Geht der Papst nicht dennoch zu weit?

Ritter: Der Appell und der notwendige Dialog über den Kapitalismus hinaus zu denken, ist kein Kampf gegen die soziale Marktwirtschaft, wie das besonders in Deutschland häufig verwechselt wird. Im Gegenteil: Die Welt kann doch nicht akzeptieren, dass Völker, Gruppen und Einzelne ausgeschlossen werden. Zu Recht kritisiert der Papst besonders die Ökonomisierung aller Lebensbereiche. Die materiellen Güter sind Mittel zum Zweck aber nicht das Leben und schon gar nicht der Sinn des Lebens. Papst Franziskus verfolgt eine ganzheitliches Ziel, auf dem Fundament einer ganzheitlichen Betrachtungsweise, welche Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft mit einschließt. Seine Reformen und Zielsetzungen sind nicht nur struktureller Natur, sie  könnten der Beginn einer demokratischen Revolution zärtlicher Liebe werden.

K.: Glauben Sie, dass sich der Papst durchsetzen kann?

Ritter: Das ist offen. In der Weltkirche ebenso wie in der Welt. Soweit ich sehe ist es entgegen einer weit verbreiteten Meinung keineswegs so, dass wenn der Papst winkt, sagen nicht gleich eine Milliarde Katholiken, Jawohl, Heiliger Vater. Christen und Nichtchristen, Gläubige und Ungläubige sollten für diesen Papst und seine Schritte auf seinem Weg beten, worum er selbst gebeten hat.

K.: Wie viel Gegner, wie viel Feinde?

Ritter: Das weiß ich nicht.  Die einen wollen, dass Franziskus gebremst und neutralisiert werden soll. Und wenn die anderen, die Mafiabosse ihm ein Bein stellen könnten, werden sie nicht zögern es zu tun. Der Papst ist längst im Fadenkreuz der Mafia als ein mögliches Opfer der Unterwelt.

K.: Welche Zuversicht haben Sie?

Ritter: Das New Yorker „Time Magazine“ hat Papst Franziskus  zum „Mann des Jahres“ gekürt und verlinkte auch eine Würdigung: Darin heißt es, in nur neun Monaten im Amt habe sich der neue Papst „ins Zentrum der wichtigsten Debatten unserer Zeit“ gesetzt: um „Wohlstand und Armut, Fairness und Gerechtigkeit, Transparenz, Modernität, Globalisierung, die Rolle von Frauen, die Natur der Ehe und die Versuchungen der Macht.“ Ich füge hinzu, Franziskus will mit geistiger Kraft, mit Güte und Barmherzigkeit  die Welt nicht reparieren, er will die unmenschlichen Zustände überwinden, er will die Welt verändern. Das ist notwendig, das ist mehr als Hoffnung, das ist auch Weihnachtsfreude, das ist einfach gut so.

Das Interview mit Waldemar Ritter führte die Chefredakteuren vom KABINETT Verlag: Elke Dagmar Schneider

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