„Gesundheitsförderung ist eine strategische Aufgabe“

Die Krankschreibungen nehmen zu, und die deutsche Gesellschaft ist gestresst: Ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) könnte Abhilfe schaffen. Doch nutzen Unternehmen dies nach Ansicht des gemeinnützigen Unternehmensnetzwerks ddn zu wenig und oft nur unsystematisch. Obwohl die Digitalisierung und künstliche Intelligenz vielfältige neue Möglichkeiten für die ganzheitliche Gesundheitsförderung eröffnen.

Das „kranke Land“ Europas? Das ist Deutschland derzeit wohl auch im Wortsinn. Bereits im Januar meldete die Techniker Krankenkasse rückblickend auf 2022 einen Höchststand an Krankschreibungen. Jetzt legte die KKH Kaufmännische Krankenkasse mit Blick auf die psychischen Belastungen nach. Zwischen Januar und Juni 2023 registrierte sie schon fast so viele psychisch bedingte Krankheitstage wie im ganzen Jahr 2022. Das sei ein alarmierender Anstieg, so die KKH. Michael Vogel, Bereichsleiter Unternehmensentwicklung der Volksbank Ulm-Biberach und Vorstand des Demographie Netzwerks (ddn), sieht daher mehr denn je Handlungsbedarf und rät seinen Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen zu einem ganzheitlichen betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM).

„Die Menschen verbringen 40 und mehr Stunden die Woche am Arbeitsplatz. Arbeitgeber können einen entscheidenden Beitrag leisten, dass Beschäftigte körperlich und seelisch gesund bleiben“, betont Vogel. „Mehr noch: Physisch wie psychisch gesunde Mitarbeitende sind eine wesentliche Voraussetzung für eine gesunde, leistungs- und zukunftsfähige Organisation. Ein aktives Gesundheitsmanagement ist nicht nur ein Ausdruck von Fürsorge, sondern auch eine wesentliche strategische Aufgabe. Unternehmen sollten Gesundheit bei allen Entscheidungen mitdenken.“

Die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, die Angst vor einer Neuauflage, der Krieg in der Ukraine, die damit einhergehenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme, die Klima- und Umweltkrise und nicht zuletzt die sich massiv verändernde Arbeitswelt – all das stresst die Menschen. Viele kommen den Anforderungen nicht mehr nach, werden krank. Derzeit bietet jedoch nur rund ein Viertel der Unternehmen in Deutschland ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement an. Stattdessen würden aktionistisch Einzelmaßnahmen installiert, so eine aktuelle Studie der Techniker Krankenkasse, des Instituts für Betriebliche Gesundheitsberatung (IFBG) und des Personalmagazins der Haufe-Gruppe.

„Kümmern sich Unternehmen nicht über die gesetzlichen Pflichten wie Arbeitsschutz, Arbeitssicherheit oder Betriebliches Eingliederungsmanagement hinaus um die Gesundheit ihrer Beschäftigten und das zielgruppengerecht, systematisch und umfassend, vergeben sie betriebswirtschaftliche Potenziale“, sagt Vogel. 

Denn wenn Mitarbeitende ausfallen oder auch nur unkonzentriert oder unmotiviert arbeiten, führt das zu sinkender Produktivität, also höheren Kosten. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin baua meldete für das Jahr 2021 einen durch Krankheitstage bedingten Bruttowertschöpfungsverlust von 153 Milliarden Euro.

„Jeder in betriebliches Gesundheitsmanagement investierte Euro rechnet sich. Der Return on Investment liegt bei rund 1 zu mindestens 2,5 – somit gibt es kaum ein besseres betriebswirtschaftliches Investment als BGM“, betont Vogel. „Zudem fördert der Staat betriebliches Gesundheitsmanagement steuerlich. Unternehmen können 600 Euro pro Jahr und Mitarbeitenden in die Gesundheit investieren.“ Er beklagt: „Die Förderung zu nutzen ist allerdings aufwändig. Das sollte der Gesetzgeber vereinfachen.“ 

Die Volksbank Ulm-Biberach selbst gibt mit ihrer Gesundheitsmarke „powerbanking“ ein gutes Beispiel. Dabei organisiert sie ihr Gesundheitsmanagement inzwischen vor allem digital. Zentral ist die Online-Plattform „machfit“. Sie wurde betriebsintern intensiv beworben. So registrierten sich in den ersten sechs Monaten bereits rund 66 Prozent der Beschäftigten. Über die Plattform werden alle Angebote gespielt: Vorsorge, Ernährungsberatung, Ergonomieschulungen, Betriebssport oder Angebote zur psychischen Resilienz. Zudem schickt die Plattform den Registrierten individuelle Pushnachrichten zur Motivation.

„Wir leben in einer digitalen Arbeitswelt – also nutzen wir auch digitale spielerische Tools, um unsere Belegschaft fit zu halten. Zugleich erlaubt uns dieser Ansatz, Gesundheitsangebote individuell und bedarfsorientiert zu gestalten, sie mit Kennzahlen zu hinterlegen, die Erfolge zu messen. So sinkt die Zahl der Ausfalltage. Digital gelingt Gesundheitsförderung besser.“ 

Zur Gesundheitsvorsorge tragen, so Vogel, aber flankierend auch eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Familie/Pflege oder New-Work-Ansätze bei. Eltern fördert er durch flexible Arbeitszeiten oder Online-Bastelkurse zur virtuellen Kindernotbetreuung. Digitale Tools und perspektivisch KI richtig eingesetzt, können den Arbeitsalltag auf vielen Ebenen entstressen, so Vogels Credo.

„Und auch für den demografischen Wandel und die EU-Vorgaben zu Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung (ESG) wappnet BGM die Unternehmen. Denn dafür ist Gesundheit ebenfalls ein entscheidender Baustein: Die Führungskultur gewinnt, alle bleiben fitter, Ältere bleiben länger an Bord, Eltern und Pflegende sind entspannter – und so ist das Unternehmen dann auch ein attraktiverer Arbeitgeber.“

Über Das Demographie Netzwerk e.V. (ddn):  
Das Demographie Netzwerk e. V. (ddn) ist ein gemeinnütziges Netzwerk von Unternehmen und Institutionen, die den demographischen Wandel als Chance begreifen und aktiv gestalten wollen. ddn wurde 2006 auf Initiative des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und im Kontext der Initiative neue Qualität der Arbeit (INQA) gegründet. Die Mitglieder engagieren sich mit dem Anspruch „gemeinsam Wirken“ und in kollaborativer Zusammenarbeit. In regionalen und überregionalen Foren, in digitalen und persönlichen Treffen bearbeitet das Netzwerk Themen wie Qualifizierung, Digitalisierung, Führung und Diversity. ddn initiiert, leitet und unterstützt Förder- und Forschungsprojekte zu seinen Themen. Seit 2020 verleiht ddn den Deutschen Demografie Preis ddp.