„Ruth Baumgarte – I Believe in Woman – Frauenbilder 1940–2004“ in Siegburg

Plakat für die Ausstellung Ruth Baumgarte.

Siegburg. Große Ausstellungserfolge feierte Ruth Baumgarte u.a. im Museum Ludwig in Sankt Petersburg und der Albertina in Wien. Das Stadtmuseum Siegburg nimmt das Lebenswerk der Künstlerin nun mit einer sehenswerten Ausstellung in den Blick. „I Believe in Woman – Frauenbilder 1940–2004“, so der Titel der Schau, wird bis zum 7. Juli präsentiert. 

Nachlass aus der Kunststiftung

Mit der deutschen Malerin Ruth Baumgarte (1923 – 2013) präsentiert das Stadtmuseum Siegburg eine herausragende Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts. Baumgarte zählt zweifelsohne zu denspannenden Wiederentdeckungen der jüngsten Zeit. Besonderes Interesse hatte die emanzipierte Künstlerin an der Rolle der Frau, ihren multiplen Aufgaben und den Weiblichkeitstypologien zwischen Selbstbestimmung und Abhängigkeit. Die Einzelausstellung aus dem Nachlass der Kunststiftung Ruth Baumgarte (Bielefeld) mit etwa 50 Ölbildern, Aquarellen und Zeichnungen, rückt erstmals diese besondere Systematik ins Zentrum und folgt den Frauenbildern in Baumgartes Schaffen von 1940 bis 2004. Als Beobachterin ihrer Zeit war die Künstlerin immer auf die sichtbare Wirklichkeit ausgerichtet. Doch wandte sie sich in ihren Bildern mit großem Einfühlungsvermögen schon früh der unsichtbaren Wirklichkeit, dem innerlich Erlebten, zu und spürte dem „Verborgenen“ des Menschen, seinen Ängsten, Zweifeln und Hoffnungen nach.

Impulse für Figuren aus der Theater und Tanzwelt

Wesentliche Impulse für ihre Figurengestaltung erhielt Ruth Baumgarte aus der Theater- und Tanzwelt mit ihren Rollenspielen und Inszenierungen, die sie zu bühnenartigen Kompositionen inspirierte. Frauen erhalten in ihren symbolhaften Bilderserien ab den 1970er-Jahren tragende Rollen. Beispiele sind ihre Bilderserien wie „Wintertod“ von 1982/83 oder „A la recherche du temps perdu“ ab 1984. Hier sind die Frauenfiguren in vieldeutige Räume eingewoben, die symbolhaft für ihre inneren Ausnahmezustände stehen. „Wenn man ihr Werk überblickt, so durchlief Ruth Baumgarte künstlerisch eine künstlerische Selbstemanzipation“, betont Viola Weigel, Kunststiftung Baumgarte, in ihrer Werkeinführung. „Kunst wurde ihre „Rettung“, sie malte sich „die Qualen der Tage von der Seele“ bekannte Ruth Baumgarte 1989 gegenüber einem Künstlerkollegen. Je mehr sie sich von ihren gesellschaftlichen Rollen löste, desto tiefer stieß sie in neue künstlerische Welten vor. In der Kunst setzte sie sich mit sozialen Missständen und Ungerechtigkeiten auseinander, diskutierte in vielerlei Hinsicht Themen wie etwa Umweltverschmutzung und Flüchtlingsbewegungen, die erst viel später gesellschaftliche Brisanz erreichten und die Diskurskultur bestimmten.

Prägnante Selbstporträts

Zum Auftakt der Ausstellung veranschaulicht eine Folge äußerst prägnanter Selbstporträts von 1940 bis 1979 diesen Wandel, mit denen sie sich selbstbewusst in eine männliche Künstlergenealogie einreiht. Über ihren einzigartigen, oft vehementen Strich und den explosiven Farbkonstellationen in immer abstrakteren Kompositionen rückte sie die Frau ins Zentrum und verlieh ihr eine entschiedene und eigenbestimmte Kraft. Ruth Baumgartes Frauenbilder spiegeln die „Neue Subjektivität“ der 1970er-Jahre wider, konstatiert Frank Biess und er ergänzt, „die in der heutigen Emotionsgesellschaft der Social Media aktueller denn je erscheinen.“

Freie Grafik und Malerei studiert

Ruth Baumgarte wuchs im weitläufigen Berlin der „Goldenen Zwanziger“ auf, in die die alleinerziehende Margarethe Kellner-Conrady mit der Tochter 1925 gezogen war. Die Mutter gab später ihre Schauspielerinnenkarriere auf, um sich mehr um ihre Tochter kümmern zu können. Der Vater Kurt Rupli, Theaterdirektor, Filmregisseur und späterer UFA-Produktionschef, stand getrennt lebend im Hintergrund. Während Ruths Schulzeit erkannte die Mutter deren zeichnerisches Talent und sorgte dafür, dass sie mit 16 Jahren von der bekannten Privaten Kunstschule des Westens der Malerin Emmy Stalmann aufgenommen wurde. Von dort wechselte sie 1941 zur Staatlichen Hochschule der bildenden Künste in Berlin, um Freie Grafik und Malerei zu studieren.

Humanistische Haltung

Das Zeichnen wurde fortan zum wichtigsten Medium ihrer künstlerischen Karriere und das genaue Beobachten mit Feder, Stift oder Pinsel ein grundlegendes Instrument, um sich ihrer selbst und ihres Umfeldes zu vergewissern. Mit spitzer Feder oder modellierendem Stift zeichnet sie ihre Mutter, ihre Tante, Freundinnen, Bekannte oder anonym bleibende Menschen: ungeschönt, präzise und sachlich. Die Porträts übermitteln sofort eine gewisse Grundstimmung, die das porträtierte Mädchen oder Frau gefangen hält: schwermütig, verhalten, auffordernd. Auch politisch und rassisch Verfolgte wurden zu verbotenen Sujets ihres Frühwerks.

Bald holt sich Ruth Baumgarte Modelle von der Straße, um sich von der konstruierten Modellsituation der Akademie zu lösen und einen engen Bezug zur sozialen Wirklichkeit zu gewinnen. Das Bildnis, die Kunst des Porträts, wird aus einer humanistischen Haltung heraus ihr zentrales Thema“, so Viola Weigel und sie zitiert Ruth Baumgarte: „Ein Bild ohne Menschen gibt es bei mir nicht.“

Transparente Aquarelltechnik

Zunehmend wurde die Künstlerin durch die politischen Bewegungen ihrer Zeit aufgeschreckt und von der „tägliche(n) Angst unserer achtziger Jahre“ (Ingeborg Drewitz, 1983) bewegt. Ruth Baumgarte überdachte ihre Bildgestaltung und ging ab 1985 explizit auf aktuelle politische Debatten zur Anti-Atomkraft-, Umwelt- und Sozialbewegung ein. Ein reduziertes Figurenpersonal vermittelt mit seiner prägnanten Körpersprache Angst, Verzweiflung oder Auflehnung gegenüber dem herrschenden gesellschaftlichen Kanon. Die handwerklich anspruchsvolle, transparente Aquarelltechnik (eine von 74 Techniken, die sie laut Alexander Baumgarte, Sohn und Vorsitzender des Vorstands der Kunststiftung Baumgarte) beherrschte, bot sich der Malerin als ideales Mittel an, die Psyche der Menschen in ihrer modernen Zerrissenheit offenzulegen.

Afrika Zyklus als fulminantes Spätwerk

Im Mittelpunkt der Schau steht Baumgartes umfassender Werkkorpus, dem Reisen der Künstlerin in afrikanische Länder wie Ägypten, Südafrika, Kenia, Tansania, Uganda, Äthiopien, Sudan und Simbabwe zugrunde liegen. Ihre Ölgemälde, Aquarelle und Graphiken entfalten bei ihrer  Betrachtung eine nahezu magische Qualität. Der simbabwische Dichter Chirikure Chirikure sagte über die Künstlerin: „Die Länder Afrikas und seine Völker waren für sie keine Modelle, die es auf der Leinwand festzuhalten galt, sondern ein integraler Bestandteil ihrer Lebensreise.“ Ab den 1950er-Jahren bis ins hohe Alter reiste die Künstlerin über vierzig Mal nach Afrika, wo sie die Menschen aufmerksam beobachtete, sich empathisch in sie einfühlte. Vor allem das durch die  Apartheid geprägte Südafrika lag ihr dabei besonders am Herzen. „In Afrika entwickelte sie einen einzigartig expressiven Stil, in dem sich ihre Werke zu teils apokalyptisch anmutenden Visionen verdichten“, erzählt Alexander Baumgarte, der seine Mutter einige Male auf ihren Reisen begleitete. „Meine Mutter war eine Menschenbeobachterin. Die meisten Afrika-Bilder entstanden dabei nicht direkt vor Ort, sondern in ihrem Atelier in Bielefeld.“ Der schwarze Kontinent mit seiner Kraft, aber auch seinen großen sozialen und politischen Veränderungen, wurde zum Mittelpunkt ihres fulminanten Spätwerks, das die internationale Rezeption ihres Werks einleitete. Ihr „Afrika-Zyklus“ entstand zu  einer Zeit, in der die heute öffentlichkeitswirksamen postkolonialen Diskurse gerade erst einsetzten. Ihre vibrierenden Farbkompositionen waren vom besonderen Licht des Kontinents inspiriert und wiesen bereits auf die dortigen großen politischen Unruhen und Bewegungen hin, die auch das Leben der Frauen neu gestalteten.

Ruth Baumgarte
„African“ Vision, 1998-99, Öl auf Leinwand, 120 x 140 cm (© Kunststiftung Ruth Baumgarte.

Hauptmotiv der Ausstellung

In ihren Ölgemälden und Zeichnungen stellt Ruth Baumgarte die Frau auf den Feldern, im Dorf, in der Wüste, am Straßenrand oder bei der Arbeit dar. Ihre weibliche Figur rückt fast immer in den Vordergrund der Komposition, während der Mann im Hintergrund verharrt. Fest eingebunden in einer sozialen Gemeinschaft kontrolliert sie nicht nur das soziale Gefüge, sondern auch die Blickbeziehungen zu Außenstehenden. „Im Ölbild African Vision, das Hauptmotiv der Ausstellung, trifft uns der lange Blick der Sitzenden mit einer landestypischen Kopfbedeckung, während uns eine weitere Frau entgegenkommt. Die unscharfe Darstellung erweckt den Eindruck einer zufälligen Bewegung, so als würde die Szene im Hier-und-Jetzt stattfinden“, so Viola Weigel führt weiter aus: „Mit ihrer robusten Körperlichkeit und den kurzen Haaren sind die afrikanischen Frauen oft nicht als Frau zu erkennen. Es ist nun die kontrastreiche Farbgebung in gelb und violett, rot und grün, blau und orange, die das ungelöste Spannungsverhältnis zwischen den Geschlechtern energetisch auflädt“ oder wie die renommierte afro-amerikanische Kunsthistorikerin Renée Gadsden bemerkt: „Mit diesen lebensnahen Darstellungen könnte (man) die Malerin gewissermaßen eine ‚schwarze Frau „honoris causa“ nennen“. „Ihre Frauenfiguren stehen inmitten moderner Umbrüche, zeigen sich verletzlich oder widerständig, sich kümmernd oder sinnend, doch nie so, dass wir sie mit unserem Blick vereinnahmen könnten. Die Künstlerin rückt die Frauen im Bild zwar nah an uns heran, doch entziehen sich diese gleichzeitig wieder, indem die Dargestellten abgerückt in ihrer eigenen Welt leben.“ Peter Köster