Meisterwerk bleibt in St.Gallen | Einigung über Ferdinand Hodlers «Thunersee mit Stockhornkette» erzielt

Ferdinand Hodler, "Thunersee mit Stockhornkette", um 1913, Kunstmuseum St. Gallen. Leihgabe der Simon und Charlotte Frick-Stiftung 2011. Foto: Stefan Rohner, 2008

Logo Kunstmuseum St.GallenFerdinand Hodlers berühmtes Gemälde «Thunersee mit Stockhornkette» (um 1913) bleibt der Öffentlichkeit als Dauerleihgabe der Simon und Charlotte Frick-Stiftung im Kunstmuseum St.Gallen erhalten. Der St.Galler Alt-Regierungsrat und seine Gattin hatten das Bild 1985 in einer Auktion der Berner Galerie Kornfeld erworben. Entgegen den Angaben im Katalog, welche infolge einer Verwechslung eine lückenlose Schweizer Provenienz dokumentierten, war einer von mehreren Vorbesitzern der jüdische Sammler Max Silberberg, in dessen Namen das Gemälde 1935 in Berlin verkauft wurde. Max Silberberg und seine Frau Johanna wurden 1942 von den Nationalsozialisten ermordet. 

Obschon die Umstände der Veräusserung und die Zwischenbesitzer bis heute nicht lückenlos geklärt sind, hat die Familie Frick, namentlich die Kinder der Stifter, Elisabeth Frick Tanner und Eugen Frick, nach mehrjährigen Verhandlungen eine abschliessende Einigung erzielt. Zu Hodlers Highlight sind als Dauerleihgabe aus der Simon und Charlotte Frick-Stiftung sieben weitere kunsthistorisch bedeutende Bilder in der Sammlung des Kunstmuseum St.Gallen, welche diese entscheidend bereichern.

Forschungen des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaft (SIK) ergaben, dass die Provenienz 1985 – wohl infolge einer Verwechslung – falsch zugewiesen worden war: Sie gehört zu einer anderen der insgesamt 33 bekannten Versionen der Stockhornkette, die Hodler zwischen 1905 und 1913 gemalt hatte. Die St.Galler Version entstand um 1913 und befand sich spätestens 1930 in der Sammlung des Breslauer Industriellen Max Silberbergs. Der Sammler hatte über Jahre bedeutende Werke des französischen Impressionismus sowie deutscher Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts zusammengetragen. Seine Sammlung genoss europaweite Bekanntheit.

Während Silberberg bereits anfangs der 1930er Jahre eine grössere Anzahl von Bildern aus geschäftlichen Gründen verkauft hatte, musste er ab 1935 bedeutende Teile davon unter dem Druck des nationalsozialistischen Regimes in mehreren Auktionen im Berliner Auktionshaus Paul Graupe veräussern. In der Folge wurden Max und Johanna Silberberg sukzessive entrechtet und enteignet – ihre Spur verliert sich im Konzentrationslager Theresienstadt. Ihrem Sohn Alfred gelang mit seiner Gattin Gerta 1939 die Flucht nach England.

Inwieweit die Veräusserung des Bildes während der NS-Zeit im Zusammenhang mit der NS-Verfolgung oder der geschäftlichen Situation Max Silberbergs und der Wirtschaftskrise stand, oder ob sie beiden Umständen geschuldet war, konnte nicht restlos geklärt werden. Ebenso ungeklärt blieb, wer der Erwerber war und an wen der Erlös floss. Erst ab 1946 ist das Bild schliesslich im Besitz des Berner Mediziners Dr. Bernhard Walthard nachgewiesen. Ob Hodlers Landschaft daher gemäss dem Washingtoner Abkommen von 1998 als Raubkunst zu gelten hat, blieb kontrovers. Die Richtlinien der Washingtoner Konferenz von 1998 in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten konfisziert oder unter Zwang veräussert wurden, regeln international die Aufgaben und Pflichten im Zusammenhang mit geraubten Kunstwerken in öffentlichen Museen. Das Kunstmuseum St.Gallen ist diesen Richtlinien wie jedes andere Museum in der Schweiz verpflichtet und setzte sich als vermittelnde Instanz zwischen der besitzenden Stiftung und dem Nachlass Silberberg nachdrücklich für eine Regelung der Ansprüche ein.

Das Kunstmuseum St.Gallen nimmt auch in Zukunft die Aufgabe wahr, als visuelles Archiv und als Ort der Erinnerung, die Geschichte der ausgestellten Werke zu erforschen, zu dokumentieren und zu vermitteln. Auch Werke mit problematischer Vergangenheit sollen öffentlich gezeigt und ihre Herkunft transparent dargestellt werden. Damit wird an begangenes Unrecht – wie hier im Fall Max Silberberg –, an Sammler und Sammlerinnen und ihr Schicksal erinnert und ihre Geschichte im öffentlichen Gedächtnis wachgehalten. Zugleich verweist Hodlers «Thunersee mit Stockhornkette» auch auf die bedeutende Sammeltätigkeit der Familie Frick und ihr mäzenatisches Engagement für die Bereicherung der öffentlichen Sammlung im Kunstmuseum St.Gallen.

Das Kunstmuseum St.Gallen dankt der Simon und Charlotte Frick-Stiftung und ganz besonders Elisabeth Frick Tanner und Eugen Frick für ihre Geduld und Aufwendungen bei der Lösung dieses komplexen Falls sowie die grosszügige Erhaltung des bedeutenden Gemäldes für das Museum und seine BesucherInnen.