Frauenmuseum feiert mit Doppelausstellung 40-jähriges Jubiläum – Mythen weibliche Utopien, Ökologie und Klimadebatte

Marianne Pitzen inmitten ihrer Papiermatronen. Foto: Peter Köster

In diesem Jahr feiert das weltweit erste Frauenmuseum (FM) sein 40-jähriges Jubiläum und beschenkt sich zugleich mit einer Doppelausstellung. Außer den beiden Doppelschauen „Göttinnen im Rheinland“ (Laufzeit: bis 22. Dezember) und „Langeweile im Paradies“ (Laufzeit: bis 31. Oktober) bietet das FM ein informatives Rahmenprogramm. Es reicht von Konzerten über Vorträge, Symposien bis zur Kunstmesse für Künstlerinnen, die vom 12. bis 14. November stattfindet.
Die Wirkungsmacht der uralten Geschichten der Völker ist ungebrochen. Was an Euphrat und Tigris begann, tauchte in „Second World“ wieder auf. Die Rolle der Frauen wurde mit der Vertreibung aus dem Garten Eden für Jahrtausende festgelegt. Die Doppelausstellung im FM befasst sich mit Mythen, weiblichen Utopien, Ökologie und der Klimadebatte. Die Sorge der Menschen der Gegenwart führt, so hofft man, zu Bewusstseinswandel und Umdenken. Mit der Schau, bestehend aus einem üppigen Szenarium aus Installationen zeitgenössischer Künstlerinnen und informativen Bereichen verschiedener Wissenschaftlerinnen (Botanikerinnen, Biochemikerinnen, Matheforscherinnen) soll das Interesse bei Besucherinnen- und Besuchern geweckt werden.

Bonn als Zentrum der Matronenverehrung

Richten wir zunächst den Blick auf die im Erdgeschoss gezeigte Präsentation „Göttinnen im Rheinland“, kuratiert von Marie Luise Kreiß und Marianne Pitzen. Die Leihgaben entstammen dem LVR-Landesmuseum Bonn, den Sammlungen Curt Delander, Marcel Bouziri sowie dem Bestand des Frauenmuseums. Neben Repliken werden einige originale Objekte aus der Römerzeit gezeigt. Große Informationstafeln liefern entsprechende Texte und Abbildungen. Zu Letzterem zählt der begehbare Grundriss des Bonner Münsters mit den Fundstellen der Matronensteine. Der Blick fällt auf kleine Göttinnen, die man dereinst in Manufakturen hergestellt hatte. Außerdem zu sehen Exponate aus dem Alltagsleben der Frauen um die Zeit 150-300 n. Chr. Ergänzend zur Historie entstanden unterschiedliche Positionen der Gegenwart. Alles überstrahlend die thronenden Papiermatronen von Marianne Pitzen (MP). Jede dieser Figuren zeigt einen individuellen Ausdruck. „Matronen sind Zeichen für wundersame Nachhaltigkeit und weiblichen Geist.“ Die Hauben interpretiert ihre Schöpferin – in persona Künstlerin und Museumsdirektorin – „als Speicher für weibliches Wissen und Weisheit.“

Mythische Aspekte im Zeitalter von KI

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts finden sich an den ehemals heiligen Orten im Rheinland, den römischen Matronensteinen, immer wieder Opfergaben. Davon ließ sich die Künstlerin Corinna Heumann für ihren Göttinnen-Zyklus inspirieren. Sie hinterfragt die mythischen Aspekte des Weiblichen im Zeitalter der künstlichen Intelligenz. Bestimmen diese noch unser Bewusstsein? Können Kunst und Kultur heute noch als ethisches Korrektiv bedrohlicher gesellschaftlicher und technischer Entwicklungen wirken? „Die Frage nach dem Verhältnis des Privaten zu staatlichen, wirtschaftlichen und militärischen Gewaltmonopolen ist heute so aktuell wie in der antiken Welt. Der Matronen-Kult stellt eine ursprünglich gallo-germanische Form des Ahnen-, Schutz- und Fruchtbarkeitskultes seit dem ersten Jahrhundert nach Christus dar. Er wurde von den Römern integriert und entwickelte sich durch das Aufeinandertreffen der germanischen, keltischen und römischen Kulturgruppen zu einer Mischform“, so die Künstlerin. Leitmotiv in Kunst und Mythologie des alten Europa sei es, das Leben zu feiern. „Seinen Ausdruck findet es in der Symbolik der Darstellungen der Göttinnen. Diese verkörpern die Kraft der Natur, ihre konstante Transformation und Erneuerung. Mit dem Wiederaufleben einer diesseitigen Natur- und Welterfahrung im 21. Jahrhundert und der Rückkehr zu den natürlichen Wurzeln unserer Existenz kehren auch Göttinnen in unsere Lebenswirklichkeiten zurück“, urteilt Corinna Heumann.

Drei Werke aus dem „Göttinnen-Zyklus“ von Corinna Heumann.
Foto: Peter Köster

Aufanische Matronen der Keltischen Religion

Diese Göttinnen (Aufanische Matronen) wurden beispielsweise unter dem Bonner Münster ausgegraben. Funde wurden darüber hinaus in den Dünen der Holländischen Küste gemacht. Dort werden die Aufanischen Matronen Nehalennia genannt. Diese Matronen (lateinisch Matrona Famillienmutter, gehobene Dame) sind die Muttergottheiten der germanischen und keltischen Religion. Über 800 den Matronen gewidmete Steine sind auf dem Gebiet der ehemaligen römischen Provinz Niedergermanien gefunden worden und bezeugen die Bedeutung der Muttergottheiten vom (1. bis 3. Jahrhundert n. Chr.) Auf vielen Steinen sind drei Frauen unterschiedlichen Alters abgebildet, sie verkörpern die Natur als die alles Leben erzeugende Kraft.

Golden Traces stehen für vier Jahrzehnte Kulturarbeit

Der zweite Teil des Ausstellungsblocks ist überschrieben „Langeweile im Paradies“. Dieses Projekt hat durch Corona die Frage aufgeworfen, was ist Langweile, ein Leiden, eine Qual womöglich wegen Fantasielosigkeit? Nur durch Evas Interesse an Grenzüberschreitung wurde das Dasein für die Menschen interessant. Von Evas geistigem Höhenflug profitierte dann aber nur Adam. Erst nach Jahrtausenden haben Evas Töchter diese Geschichte abgeschüttelt, heute bringen sie ihre Ideen in Beziehungen, Politik und jedes gesellschaftliche relevante Thema ein. Über 40 Künstlerinnen hinterfragen auf einem längeren Parcours im Obergeschoss auf recht unterschiedliche Weise das Thema „Langeweile im Paradies“. So schufen beispielsweise Marlies Obier, Sandra Riche und Annette von der Bey „Räume mit grünen Werken“. Ellen Sinzig (Bodeninstallation) Maresa Jung (Fotos) und Nele Ströbel (Gemälde) setzen ihrerseits die Akzente, währenddessen Cynthia Rühmekorf, Regina Hellweg-Schmidt, Monika Ortmann in ihren Darstellungen das „Verlorene Paradies“ festhalten.

Bodeninstallation „Erdarbeit“ von Ellen Sinzig. Peter Köster

Stadtmodell von Ulrike Reutlinger

Sehr viel Raum geben Consuelo Mendez und Ulrike Reutlinger ihren Werken. Sie präsentieren unterschiedliche und zukunftsweisende Stadt- und Gartenmodelle. So schuf Consuelo Mendez ein Modell, das die künftige Gestaltung des FM-Dachgartens als integrativer Bestandteil des Museums zeigt. Wie denkt man über so etwas Kompliziertes wie das Wohnen in einer Stadt nach? Diese Frage bewegte Ulrike Reutlinger bei ihrem Projekt „4 Generationen GrünWeiler“ (4GGW). Ihre Arbeit behandelt die städtische Wohnsituation der Zukunft. „Bei 4GGW handelt es sich um Wahl-Großfamilien. Die Weiler-Großfamilie setzt sich zusammen aus zwei Familien mit Kindern, zwei älteren Parteien Singles oder Paaren, und zwei ca. 16-36 jährigen Parteien, Singles oder Paaren. Die Familien, die Älteren wie auch die Jüngeren haben jeweils eine abgeschlossene Wohnung. Alle Wohnungs-Eingänge liegen zum Garten hin und führen dann zum gemeinsamen Treppen-Aufgang und je nach Geschosshöhe, auch zum Lift“, erläutert Ulrike Reutlinger ihr Wohnkonzept und fügt hinzu: „Die Weiler sind im Prinzip zweigeschossig angelegt, um jedem Garten genügend Lichteinfall zu ermöglichen. Älteren und Behinderten sollte jeweils das Parterre vorbehalten sein.“

Ulrike Reutlinger und ihr wegweisendes Stadtmodell „4 Generationen GrünWeiler“. Foto: Peter Köster

Fluxusreihe mit Yoko Ono

Mit diesen beiden besonderen Schauen beweist das Frauenmuseum einmal mehr seine Ausstellungsvielfalt, die sich nunmehr wie ein roter Faden durch die 40-jährige Historie des Hauses zieht. „Wir haben seit dem ersten Tag der Eröffnung immer auf themenbezogene Projekte gesetzt wie Mythen, weibliche Utopien, Ökologie“, betont Marianne Pitzen im Gespräch mit KABINETT. Es seien die „Lieblingsthemen des Museums der Frauen“. Welche Ausstellungen und Projekte sind ihr dabei in den zurückliegenden vier Jahrzehnten am nachhaltigsten in Erinnerung geblieben? „Die Bonnerinnen“, antwortet MP spontan. „Wir machten die Ausstellung 1989 anlässlich des Jubiläums der Stadt Bonn.“ Es habe das Haus überregional bekannt gemacht. „Danach waren wir präsent“. Diese Ausstellung habe Historisches in Verbindung mit der Kunst verknüpft. Nicht minder bedeutsam war für Pitzen „Ruhm“ 1997. In dieser Ausstellung ging es um den Umgang mit öffentlichen Kunstsammlungen. Die Schau versammelte Beiträge aus „sämtlichen NRW-Museen“ und sorgte wiederum für ein großes Medienecho. Dieses war dem FM zudem beschieden mit der „Fluxusreihe“ stellvertretend für die nationale und internationale Künstlerinnenriege, die sich ein Stelldichein gab, soll der Name Yoko Ono stehen. Zeugnisse der Lennon-Witwe sind auf der 2. Etage des FM zu sehen. Für nicht minder große Aufmerksamkeit sorgte das mehrteilige Ausstellungsprojekt „Rationale“, das nicht zuletzt das Thema „100 Jahre Bauhaus“ aufgriff.

Der renommierte Münter-Preis

Nicht zu vergessen ist der „Münter-Preis“, einer der renommiertesten Auszeichnungen für Künstlerinnen ab 40 Jahre, der seine Geburtsstunde im FM erlebte und mittlerweile sieben Mal vergeben wurde. Berühmte Künstlerinnen wie Thea Richter und Gudrun Wassermann (1994), Valie Export (1997), Rune Miels (2000), Ulrike Rosenbach und Cornelia Schleime (2004), Leni Hoffmann (2007), Christiane Möbus (2010) und Beate Passow (2017) gehörten zu den Preisträgerinnen. Übrigens erfolgte die erste Preisvergabe an Thea Richter und Gudrun Wassermann 1994 durch die damalige Ministerin für Frauen und Jugend, (heutige Bundeskanzlerin) Angela Merkel. Ein Museum lebt natürlich auch von Kooperationen: Hierzu seien u.a. genannt der LVR (Landschaftsverband Rheinland), ferner das Werksmuseum Berlin, das Osthaus Museum Hagen, das Mittelrhein Museum Koblenz, die Kunstakademie Düsseldorf, die Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft.

In einem umfangreichen Archiv, das von Horst Pitzen, seit Jahrzehnten mit viel Akribie verwaltet und gestaltet wird sowie in über 400 opulenten Katalogen und Publikationen ist die Historie des Frauenmuseums hinlänglich dokumentiert.

Peter Köster