Gropius Bau Berlin zeigt Nancy Holts umfangreiches Werk „Circles of Light“

„Sun Tunnels“, 1973-76. © Holt/Smithson Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Nancy Holt

Berlin. Der Gropius Bau zeigt vom 22. März bis 21. Juli die bisher umfassendste Präsentation des Werks „Circles of Light“ von Nancy Holt (1938–2014) in Deutschland.  Kuratorinnen der Ausstellung sind Clara Meister und Lisa Le Feuvre.

Was Kunst sein kann

Nancy Holt hat die Möglichkeiten der Kunst, sich mit wesentlichen Fragen zu Natur, Ökologie und der visuellen Wahrnehmung unserer Umwelt auseinanderzusetzen, neu definiert. Über fünf Jahrzehnte schuf sie ein richtungsweisendes Werk aus Text, Poesie, Fotografie, Film, Video und Land Art. Immer wieder experimentierte sie mit Sound, Bild und Objekten, um neu auszuloten, was Kunst sein kann und wo sie zu finden ist.

Eine Reise durch ihr Schaffen

„Circles of Light“ ist eine Reise durch Holts Schaffen, ausgehend von ihrem ersten Werk aus dem Jahr 1966. Die Ausstellung erstreckt sich über das Erdgeschoss und den Lichthof des Gropius Bau und stellt Holts experimentelle Herangehensweise an das Zusammenspiel von Immateriellem und Materiellem in den Mittelpunkt. Sie erforscht Holts Gebrauch von Sprache und Stimme, ihre Aufmerksamkeit für Ökologie und Ressourcen sowie ihre kollaborativen Arbeitsmethoden. Auf diese Weise unterstreicht das Werk die Einzigartigkeit von Holts Oeuvre und demonstriert ihre Vorwegnahme heutiger Diskurse über die Ausbeutung natürlicher Landschaften und den Platz des Menschen in der Umwelt.

Nancy Holt At Walter Kelly Gallery
Nancy Holt mit „Mirrors of Light II“ in Illinois, 1974. © Holt/Smithson Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: John R. Bayalis

Sprache als Material

Nancy Holt wurde 1938 in Massachusetts geboren und wuchs in New Jersey auf. Mitte der 1950er Jahre kehrte sie für ihr Biologiestudium in ihren Heimatstaat zurück, um daraufhin in New York als Künstlerin zu arbeiten. Im Jahr 1966, während sie als Literatur-Redaktionsassistentin für die Zeitschrift „Harper’s Bazaar“ arbeitete, schuf sie ihre ersten Kunstwerke. Diese Konkrete Poesie behandelt die Sprache selbst als Material. Schon bald übertrug sie ihre sprachlichen Experimente vom Papier auf die Landschaft, indem sie ihre Stimme und das Medium der Fotografie einsetzte.

Visuelle Gedichte

Für das multimediale Schlüsselwerk „Stone „Ruin Tour“ (1967) nahm Holt einen Rundgang durch Ruinen in Cedar Grove, New Jersey, auf einem Tonbandgerät auf. Dieses frühe Beispiel der Land Art, bestehend aus Holts Stimme, einer Diashow, Fotografien und einer Transkription, dokumentiert den Weg durch einen, wie sie es nannte, „verfallenen, labyrinthischen Garten mit Steinmauern, Aussichtspunkten und verschwindenden Treppen in den Wäldern des nördlichen New Jersey.“ Holt interessierte sich dafür, wie Menschen einerseits Sprache nutzen, um natürlich in der Umgebung vorhandene Systeme zu erklären, und andererseits Systeme erfinden, um die Natur zu kontrollieren. Dem Einsatz von Stimme und Fotografie in „Stone Ruiun Tour“ folgten bald Film- und Videoarbeiten, die wichtige Beiträge zur Geschichte des experimentellen Films und Videos leisteten. „Circle of Light“ präsentiert eine umfangreiche Auswahl dieser Arbeiten, darunter mehrere Kurzfilme aus den frühen 1970er Jahren, die zum ersten Mal ausgestellt werden, sowie ihre Fotoserien, die wie visuelle Gedichte gelesen werden können.

Bild 3 Pinebarrens
Pine Barrens (Still),1975. © Holt/Smithson Foundation / VG Bild-Kunst, Bonn 2023.

Raumfüllende Installationen

Mit der Zeit erforschte die Künstlerin die vielen natürlichen und artifiziellen Systeme, die die menschliche Erfahrung der Welt bestimmen. Immer wieder nutzte Nancy Holt das Licht, sowohl natürliches als auch elektrisch erzeugtes,  zur Untersuchung unserer Wahrnehmung. Die Form des Kreises und das Medium Licht waren bereits in ihren frühesten Werken präsent und ziehen sich durch ihr fast fünfzigjähriges künstlerisches Schaffen. Die Grundlage für diese Experimente gehen auf ihre Werke aus den 1970er Jahren zurück, die zunächst mit Sprache, dann mit raumfüllenden Installationen arbeiteten. Arbeiten wie „Mirrors of Light“ (1974) entfalten skulpturale Qualitäten durch die Nutzung immaterieller Elemente wie Licht, Zeit und Spiegelung.

Lichtlandschaft

Der historische Lichthof des Gropius Bau wird von „Electrical System“ (1982) erleuchtet – einem Werk, das noch nie in dieser Größe gezeigt wurde. Diese immersive Installation war die erste von Holts systembasierten Arbeiten, die sich mit Energieinfrastrukturen befassen und ihr Interesse an der Offenlegung der inneren „Organe“ alltäglicher technischer Strukturen zum Ausdruck bringen.

„Electrical Sstem“ erschafft aus leuchtenden Glühbirnen und gewölbten Leitungen eine Lichtlandschaft, durch die sich Betrachtende hindurch bewegen können.

Schlüssel zu Skulpturen

Einen künstlerischen Wendepunkt bedeutete für Nancy Holt die 1971 begonnene Serie „Locators“, die entstand, nachdem sie sich mit Techniken der fotografischen Beobachtung auseinandergesetzt hatte. Diese „Sehhilfen“ aus aneinander geschweißten Industrierohren waren konzipiert, um – wie durch den Sucher einer Kamera – mit nur einem Auge hindurch zu schauen. Sie lenkten die Aufmerksamkeit auf die Subjektivität der menschlichen Beobachtung in der natürlichen und gebauten Umwelt. „Ich hatte das Gefühl, mit den Locators den Schlüssel zu meinen späteren Skulpturen gefunden zu haben“, so Nancy Holt.

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Nancy Holt, „Sunlight in Sun Tunnels“, 1976 © Holt/Smithson Foundation, VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Courtesy: Sprüth Magers

Natur des Sehens

Die „Locators“ sind Skulpturen, mit denen man eher schaut, statt sie zu betrachten. Die ersten Locators waren durch die Fenster von Holts New Yorker Studio auf die umliegende Stadtlandschaft gerichtet und nahmen beiläufige Details wie ein zerbrochenes Fenster oder ein Auspuffrohr in den Fokus. Holt experimentierte so mit der Natur des Sehens. Bei anderen Locators konzentrierte sie sich auf das, was sie „loci“ nannte, Ellipsen, die sich nur dann in perfekte Kreise auflösen, wenn sie durch den Locator betrachtet werden.

„Sun Tunnels“

Im Jahr 1972 übertrug Holt das Konzept der Locators mit dem Werk „Missoula Ranch Locators: Vision Encompassed“ auf eine ländliche Umgebung. Ein Jahr später begann sie mit der Arbeit an den „Sun Tunnels“ (1973–1976), ihrer bekanntesten Land Art Installation, über die sie schrieb: „Das Werk wird zum menschlichen Fluchtpunkt und in dieser Hinsicht bringt es die weite Landschaft wieder in eine menschliche Proportion. Die Idee konkretisierte sich, als ich die Sonnenauf- und -untergänge in der Wüste beobachtete, die den irdischen Lauf der Zeit markieren. Sun Tunnels kann nur an diesem besonderen Ort existieren – das Werk hat sich aus dem Ort heraus entwickelt.“ pk