Aachener Ingenieurspreis 2022 – „Komisch, alles chemisch“

Ausgezeichnete Kommunikation: Mai-Thi Nguyen-Kim erhält Aachener Ingenieurspreis 2022 (v.l.nr.) Dr. Markus Steilemann, CEO von Covestro, Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Volker Kefer, Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), Mai-Thi Nguyen-Kim, Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen, RWTH-Rektor Prof. Dr. Ulrich Rüdiger, Laudator Ranga Yogeshwar. © Heike Lachmann

Ladies first: Das soll nicht abgedroschen klingen, sondern Respekt für die Leistung und ein Plädoyer für die Wissenschaftskommunikation sein. Ein frischer Wind wehte durch den Krönungssaal, als kürzlich bereits zum achten Mal der Aachener Ingenieurpreis im Krönungssaal des Rathauses verliehen wurde. Denn in diesem Jahr ging die gemeinsame Auszeichnung von RWTH und Stadt Aachen an die Wissenschaftsjournalistin, Moderatorin und Bestsellerautorin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim für ihre Leistung, Wissenschaft verständlich und unterhaltsam zu vermitteln.

Anfeindungen unbelehrbarer Ignoranten muss die smarte Dame manchmal im Netzt über sich ergehen lassen, nicht so in Aachen. Die Preisträgerin überraschte mit einer sehr persönlichen Geschichte über ihre Beweggründe, Chemie zu studieren (ihr Vater ist Chemiker) und dann doch den Weg der Wissenschaftskommunikatorin einzuschlagen. „Am Abendbrottisch ging es bei uns nie um Politik, sondern eher um Chemie. Politisch wurde ich erst, als ich in den USA lebte und den Wahlkampf Trump gegen Clinton verfolgte. ‚Alternative facts‘, ‚fake news‘ und die Informationskrise sind meine größte Sorge.“

Genau deshalb sollte Wissenschaftskommunikation als „Prestige-Skill“ etabliert werden und mehr Forschende sollten dazu ermutigt werden, „authentisch und glaubhaft“ gegen „Scharlatane“ anzutreten. Auch wenn die Freude über die Aachener Auszeichnung groß gewesen sei, hätte Nguyen-Kim vor der Verleihung Sorge gehabt, dass „der Jury noch auffällt, dass ich keine Ingenieurin bin“, scherzte sie. Daher sehe sie den Preis als eine „Wertschätzung der Wissenschaftskommunikation“.

Eine inspirierende Laudatio auf die Preisträgerin hielt Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, der eine Zeit lang gemeinsam mit Nguyen-Kim die WDR-Wissenssendung „Quarks und Co“ moderierte. Nguyen-Kim sei eine „Orientierungshilfe“ mit der „authentischen Gabe, Dinge mit Witz, Schärfe und Kompetenz zu hinterfragen“. RWTH-Alumnus Yogeshwar erklärte: „Im Gegensatz zu Talkshows, in denen über Themen diskutiert wird, die keiner so richtig verstanden hat, vermittelt Mai-Thi in ihren Videos richtige Informationen.“
Yogeshwar wies allerdings auch daraufhin, dass der Grund für Nguyen-Kims Ehrung auf Eigenleistung beruht: „Insider-Sprache und Fachjargon der Wissenschaftler sind die abgrenzende Mauer zu den Menschen. Selbst innerhalb der Wissenschaft ist es ein Benefit, wenn man verständlich erklären kann. Aber das muss man lernen; am besten im Studium.“

Junge Doktorandin spricht online über Wissenschaft

Angefangen hat Mai Thi Nguyen-Kim ihre Karriere als Wissenschaftkommunikatorin mit dem YouTube-Kanal „maiLab“, den die ehemalige RWTH-Doktorandin der Chemie 2016 eröffnete. Was als Experiment startete – eine junge Doktorandin spricht online über Wissenschaft –, sollte Nguyen-Kim zur bekanntesten Wissenschaftsvermittlerin der Generation Social Media machen. Egal, ob naturwissenschaftliches Experiment oder verschwörungs-mythische Corona-Leugnung: Es gibt kein wissenschaftliches Thema, das die frisch ausgezeichnete Preisträgerin nicht aufgreift. Als Moderatorin von „Quarks und Co“ und „TerraX“ wurde sie einem breiten Publikum auch außerhalb der Sozialen Medien bekannt. Seit Herbst 2021 moderiert Nguyen-Kim ihre eigene Wissenschaftsshow „MAITHINK X – Die Show“ bei ZDFneo. Darüber hinaus schrieb sie zwei Bücher, „Komisch alles chemisch“ sowie „Die kleinste gemeinsame Wirklichkeit“, und landete damit in den Bestsellerlisten ganz vorne.

Die Verleihung des Aachener Ingenieurpreises an Dr. Mai Thi Nguyen-Kim wurde zu einem klaren Bekenntnis für gute Wissenschaftskommunikation. „Die Universität ist signifikanter Teil der Stadt, und wir wollen auch dazugehören. Die RWTH kann in diesen besonderen Zeiten, die von Krisen geprägt sind, Beiträge zur Lösung liefern“, stellte Professor Ulrich Rüdiger, Rektor der RWTH Aachen, fest. Auch für Oberbürgermeisterin Keupen gehören Stadt und Wissenschaft eng zusammen: „Wenn man sich nicht versteht, kann man auch nichts zusammen auf die Beine stellen.“

Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, nutze den Aachener Ingenieurpreis, um sich bei Nguyen-Kim für ihr Corona-Video „Corona geht gerade erst los“ aus dem Frühjahr 2020 zu bedanken. Damals war die Ministerin noch Geschäftsführerin eines Unternehmens und nutze das bis heute 6,6 Millionen Mal angeklickte Video, um ihre Beschäftigten über die Pandemie zu informieren: „Ich bin froh, dass ich Ihnen heute Abend für dieses Video danken kann. Es braucht Wissenschaftlerinnen wie Sie, um junge Menschen für Wissenschaft und Forschung zu begeistern“, erklärte die Ministerin. Und Volker Kefer, Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI), betonte: „Das, was Sie machen, fundierte Kommunikation komplexer Sachverhalte, ist extrem wichtig. Wenn wir Sie nicht hätten, müssten wir Sie erfinden.“

INFO: Der Aachener Ingenieurpreis ist eine gemeinschaftliche Auszeichnung der RWTH und der Stadt Aachen – mit freundlicher Unterstützung des Vereins Deutscher Ingenieure VDI als Preisstifter. Jährlich ausgezeichnet wird eine Persönlichkeit, die mit ihrem Schaffen einen maßgeblichen Beitrag zur positiven Wahrnehmung oder Weiterentwicklung des Ingenieurwesens beziehungsweise der Wissenschaften geleistet hat. Die Auszeichnung wird bereits zum achten Mal verliehen. Erster Preisträger war Professor Berthold Leibinger (gestorben 2018), Gesellschafter der TRUMPF GmbH + Co. KG. Es folgten Professor Franz Pischinger, Gründer der Aachener FEV Motorentechnik GmbH, der Astronaut Thomas Reiter, der langjährige Direktor am Werkzeugmaschinenlabor WZL der RWTH Aachen, Professor Manfred Weck, Professorin Emmanuelle Charpentier als Mikrobiologin und Miterfinderin der Gen-Schere CRISPR-Cas9, der Unternehmer Hans Peter Stihl und im vergangenen Jahr der Technologie-Pionier Sebastian Thrun.