Retrospektive Günter Fruhtrunk ist das Ausstellungs-Highlight des Jahres

„Cantus firmus III, Var. I, Acryl, 1965. Foto. Peter Köster

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Das Kunstmuseum Bonn hat sich sein Ausstellungs-Highlight quasi bis zum Jahresende aufgespart. Anlässlich des 100. Geburtstags von Günter Fruhtrunk (1923-1982) zeigt das Haus vom 16. November bis zum 10. März 2024 eine umfassende Retrospektive des führenden bundesrepublikanischen Vertreters der konkreten Kunst. Danach wechselt diese grandiose Schau ins das Kunstmuseum Wiesbaden. Dortige Ausstellungsdauer: 25. April bis 25. August 2024.

Günter Fruhtrunk
Der Meister Gunter Fruhtrunk in Aktion. Foto: Peter Köster

Werkentwicklung in drei Großen Blöcken

Stephan Berg, Intendant, Intendant des Kunstmuseums und gleichzeitig Kurator der Ausstellung zündet mit „Günter Fruhtrunk Retrospektive 1952 – 1982“ ein  Glanzlicht. „Für mich war es eine Herzensangelegenheit, diese Ausstellung über Günter Fruhtrunk zu machen“. Er ergänzt: „Und für uns als Maler-Museum war es ein absolutes Muss.“ Die Schau beleuchtet die Werkentwicklung in drei großen Blöcken: Sie reflektiert das bislang wenig gezeigte Frühwerk Fruhtrunks zwischen 1950 und 1954, mit vorwiegend kleinen Formaten, Der zweite Schwerpunkt beschäftigt sich mit den späten 1950er und 1960er Jahren, in denen der Künstler seine geschichteten Streifenbilder entwickelte. Hier verschmelzen Bild und Motiv miteinander und die Farbe gewinnt immer deutlicher eine eigenständige Bedeutung. Den Abschluss bilden Werke aus den 1970er und frühen 1980er Jahren, in denen sich die Streifenstruktur zu Feldern und Flächen ausbildet und die Emanzipation der Farbe vollständig gelingt.

Bild 2 Fruhtrunk Gemälde
„Hervorkommender Grund“, Acryl, 1980. Foto: Peter Köster

ALDI-Tüte und Rosenthal-Jahresteller

Die mehr als 60 Werke umfassende Fruhtrunk-Werkschau hat Stephan Berg auf sechs Säle verteilt. Der Rundgang durch die Ausstellung startet in der  „Zentrale“, in der sich neben zehn Gemälden auch vier Vitrinen befinden. Diese beherbergen interessante Exponate. Dazu zählt u.a. die berühmte ALDI-Tüte mit dem ikonisch blau-weißen Diagonalmuster, die Günter Fruhtrunk 1970 als Auftragsarbeit für Aldi Nord entwarf.  Für den Künstler war dies „ein kommerzieller Ausflug“, dem vier Jahre später noch ein Weiterer folgen sollte.  Da entwarf er das Streifendekor für einen Rosenthal-Jahresteller. Auch Dieser  wird in der Vitrine gezeigt.

Vorwiegend kleine Formate

Fruhtrunks 50er Jahre sind im wesentlichen geprägt durch seine Zeit in Paris. Dort arbeitet er im Atelier von Ferdinand Legèr und als Assistent bei Hans Arp. Die Beiden sind seine Mentoren. In Paris setzt er alles daran, um inmitten der innovativsten Vertreterinnen und Vertreter einer gegenstandsbefreiten Malerei, seine eigene Handschrift zu entwickeln. Er arbeitet vorwiegend mit kleinen Formaten, auf denen geometrische Formen frei im Bildraum schweben und in denen Bild und Motiv noch getrennte Ebenen darstellen. Stilistisch knüpfen sie an die Tradition des russischen Konstruktivismus an, wie eine spätere Arbeit von Fruhtrunk über Malewisch (schwarzes Quadrat) zeigt. Mit äußerster Präzision und Geduld entwickelt er Bilder, die frei sein sollen von den persönlichen oder interpretatorischen Ansprüchen des Künstlers, die nur „artikulierte chromatische Textur mit höchster Lichtkraft“ darstellen wollen. Es geht ihm um nichts weniger als das „Freisein des Sehens“. Seine ersten Einzelausstellungen finden in Paris, Mailand und Marseille statt, von Frankreich aus erschließt er sich ein deutsches Publikum.

Bild 4 Fruhtrunk Streifen
„Cantus firmus“, Acryl, 1968. Foto. Peter Köster

Streifen, die bis an die Ränder reichen

In den 1960er Jahren spezialisiert sich Günter Fruhtrunk auf Gitterstrukturen, mit denen er die Hierarchie zwischen Figur und Grund und jeglichen Illusionismus aufgab. Später konzentriert er sich auf Streifen, die häufig diagonal verlaufen und die Bildfläche rhythmisieren. Bis an die Ränder reichend vermitteln sie den Eindruck einer Entgrenzung des Gemalten über die Leinwand hinaus. Fruhtrunks Einsatz von grellen, sich oftmals beißenden Farben verstärkt diese Bewegung. In seinem Œuvre finden sich zahlreiche Motive, die der Künstler immer wieder aufgriff und variierte. Er kategorisierte seine Bildfindungen nach Begriffen wie „Etüde“, „Variation“ oder „Endgültige Lösung“. Mit dieser seriellen Methode strebt Fruhtrunk nach möglichst spannungsgeladenen Farb- und Form-Beziehungen in seiner Malerei.

Bild 5 Fruhtrunk Streifen
„Vert excentrique“, Acryl, 1968. Foto. Peter Köster

Eigene abstrakte Bildsprache

Fruhtrunks Arbeiten zeichnen sich durch klare Linien, geometrische Formen und kontrastreiche Farben aus. Wie kaum ein anderer Künstler seiner Zeit entwickelte er mit großer Präzision und faszinierender Beharrlichkeit eine eigene abstrakte Bildsprache, die er über die Jahre in vielfältigen Variationen perfektionierte. Durch den Einsatz mathematischer Methoden wie geometrischer Berechnungen und Verhältnisgleichungen erzeugte er optische Täuschungen und ein Gefühl von Bewegung, Vibration und Flimmern in seinen Werken. Es entstanden enorm verdichtete, leuchtende Bilder, die sich der passiven Betrachtung entziehen und den Sehvorgang permanent herausfordern.

Bild 6 Fruhtrunk Diagonale
„Widerspruch“, Acryl, 1980. Foto. Peter Köster

Quiet Room für die UNO

Günter Fruhtrunk, der 1968 an der documenta IV und der Biennale von Venedig teilnahm, schuf darüber hinaus architekturgebundene Werke. Darunter das Farbleitsystem der Ruhr-Universität, das er mit entwickelte. Ferner gestaltete er den Quiet Room des Sicherheitsrates im UNO-Hauptquartier in New York. 1981 erscheint eine berühmt gewordene Karikatur im Magazin „Stern“: Diese zeigt Bundeskanzler Helmut Schmidt, der mitten im Ost-West-Konflikt zwischen Wodka und Cola im Kanzlerbungalow auf dem Sofa unter einem Gemälde von Günter Fruhtrunk sitzt. Nur ein Jahr später nahm sich der unter Depressionen leidende Künstler in seinem Münchner Atelier das Leben. Fruhtrunk litt unter einer schweren Kopfverletzung, die er sich im 2. Weltkrieg zugezogen hatte und permanenter Migräne. Sein letztes großes Werk, das Fruhtrunk in seinem Todesjahr schuf, ist das überaus dynamische Gemälde „Orpheus“. „Mit diesem Bild“, so Stephan Berg, „geht buchstäblich das Licht aus. Die grauen und fast schwarzen Bahnen, die diagonal das drei Meter breite Bildfeld durchziehen, strahlen eine melancholische Düsternis aus.“

Das Kunstmuseum Bonn zeigt mit der Retrospektive über den 59-jährigen Kunstprofessor und abstrakten Maler Günter Fruhtrunk eine der brilliantesten Ausstellungen der letzten Jahre. Ein wahrer Genuss für Alle, die konkrete Kunst lieben. Peter Köster