Umfangreiche Ausstellung zur Malerei Chaïm Soutines im K20

Düsseldorf. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (NRW) zeigt vom 02. September bis 14. Januar 2024 im „K20“ in einer umfassenden Ausstellung die Werke des Künstlers Chaïm Soutine (1893 – 1943. Dessen expressive Gemälde reflektieren sein Leben als jüdischer Emigrant und sind zugleich Zeugnisse einer Existenz am Rand der Gesellschaft.

Der kleine Konditor
Chaïm Soutine: Der kleine Konditor, 1922/23 Öl auf Leinwand 73 x 54 cm Musée de l’Orangerie. Grand Palais / Thierry Le Mage

Frühe Meisterwerke

Die Ausstellung im K20 konzentriert sich mit rund 60 Gemälden bewusst auf die frühen Meisterwerke des Künstlers und legt ihren Fokus auf die Serien, die zwischen 1918 und 1928 entstanden sind. Die Schau widmet sich auch der Entwurzelung des Menschen infolge von Flucht und Migration, die damals wie heute eine zutiefst prägende Erfahrung ist. Die Gemälde Soutines sind Farbexplosionen und trotz aller widrigen Umstände Liebeserklärungen an das Leben und an die Menschen, die wie er auf der untersten Stufe der Gesellschaft stehen. Pagen, Zimmermädchen, Köche, Messdiener und Chorknaben sind seine Modelle. Mit ihnen, wie mit den Gemälden von wankenden Landschaften und geschlachteten Tieren schafft er prägnante Bilder für eine ganze Epoche. Einer Generation, die durch Krieg, soziale Missstände und den unerbittlichen Widerstreit religiöser und politischer Weltanschauungen gezeichnet ist.

Dem Bilderverbot widersetzt

Chaïm Soutine wuchs in einem Stadtteil in der Nähe von Minsk in Weißrussland auf. Er war das zehnte von elf Geschwistern. Armut und Diskriminierung prägten die Kindheit. Dem Bilderverbot der jüdischen Tradition widersetzte er sich als er mit 14 Jahren Malunterricht nahm, zunächst in Minsk, dann an der Akademie in Vilnius und ab 1913 in Paris. Die Metropole wurde seine Ersatzheimat, aber Soutine blieb ein Außenseiter, der die Sprache zunächst schlecht beherrschte und dem die gesellschaftlichen Gepflogenheiten fremd blieben. Zu seinen wenigen Freunden zählte der italienische Künstler Amedeo Modigliani. Künstlerinnengruppen und Künstlergruppen ignorierte er ebenso wie die tonangebenden Richtungen des Surrealismus und Kubismus. Die Armut, die seit seiner Jugend den Alltag bestimmte, schien ihn in Paris wieder einzuholen.

Chaim Soutine The Old Actress, 1912 oil on canvas 36.25 x 25.625 inches
Chaïm Soutine: Die alte Schauspielerin, 1922 Öl auf Leinwand, 92,1 x 65,1 cm courtesy of McClain Gallery Paul Hester;

Der Urvater des Abstrakten Expressionismus

Daran änderte sich auch nichts, als im Winter 1922/1923 der US-amerikanische Sammler Albert C. Barnes 52 Gemälde des bis dahin nahezu unbekannten Malers kaufte und sich Soutines finanzielle Situation auf einen Schlag verbesserte. Mit seinem Umzug nach Paris studierte Soutine die alten Meister im Louvre und bezog sich in umfassenden Werkreihen auf Motive von El Greco, Diego Velázquez, Rembrandt van Rijn und Jean Siméon Chardin. Mit aller Leidenschaft widmet er sich der Farbe als Medium und Ausdrucksträger seiner Gemälde. Die von Susanne Meyer-Büser kuratierte Ausstellung zeigt, dass sich Soutine früher als andere Zeitgenossinnen und Zeitgenossen einen individuellen Weg zwischen Abstraktion und Figuration bahnte. War Soutine durch sein Einzelgängertum zu Lebzeiten ein Spezialfall der Moderne, so wurde er nach seinem Tod gleichermaßen zum Urvater des Abstrakten Expressionismus und der Neuen Figuration erhoben. Nachfolgende Malerinnen und Malergenerationen wie Willem de Kooning, Jackson Pollock, Jean Dubuffet und Francis Bacon, Georg Baselitz, Marlene Dumas, Anish Kapoor verehrten ihn und beriefen sich auf ihn als Vorbild und Inspiration.

Während Soutine in Frankreich und Nordamerika zu den zentralen Vertreterinnen und Vertretern der Moderne gehört, ist er in Deutschland vor allem in Künstlerinnen und Künstlerkreisen bekannt. Neben der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen weisen hierzulande nur wenige weitere Museen Gemälde von Soutine in ihrem Bestand auf. Die letzte Museumsausstellung fand 1981 im Westfälischen Landesmuseum in Münster statt. Auch heute noch fällt Soutines Name ungewöhnlich häufig, wenn zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler nach Schlüsselfiguren in ihrer Biografie befragt werden.

Bild 4 Dorfplatz
Chaim Soutine, 1894-1943, Village Square at Céret, 1920, Oil on canvas, 76 x 94 cm, The Israel Museum, Jerusalem, Bequest of Sidney Bernstein, London, On permanent loan from The Jerusalem Foundation, L-B95.052

Faszinierende Zeitlosigkeit

Obwohl bereits vor rund 100 Jahren entstanden, scheint seine Malerei in Technik und Sujet von faszinierender Zeitlosigkeit zu sein. Einer der Dreh- und Angelpunkte dieser Ausstellung ist deshalb die Frage nach der Aktualität der Malerei Soutines. Als Brücke von der Moderne bis in die Gegenwart wurde begleitend zur Ausstellung eigens ein Interviewfilm von Louisiana Channel produziert, der der Frage nachgeht, was die ungebrochene Faszination an den Werken und an der Person dieses besonderen Künstlers bis heute ausmacht. Die Ausstellung ist eine Kooperation zwischen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk (Dänemark) und dem Kunstmuseum Bern. pk

Die H‰user
Chaïm Soutine: Les Maisons Häuser 1920/21 Öl auf Leinwand 58 x 92 cm Musée de l’Orangerie, Grand Palais / Hervé Lewandowski