Sarah Kirsch ist tot

Sarah Kirsch

Waldemar Ritter,

Ich danke Dir, meine Freundin, für Gedichte, die mich persönlich  und politisch tief berührt haben und noch immer berühren. Sie sind spröde und stockend, manchmal sanft, fast liedhaft einfach und einprägsam. Es ist jedoch nur eine Seite. Es war und ist für mich deine klare und gelegentlich sehr herbe Stimme in unserem  so lange, viel zu lange geteilt gewesenen Land. Unvergessen, dass du dir  aus Protest gegen  die Massenvernichtung der Juden in der Nazizeit den Vornamen Sarah vor 53 Jahren gegeben hast.

Sehr früh die Genauigkeit deines Blicks beim langen Abschied aus der SED-DDR. In der DDR gab es nur billigen Schnaps und Zigaretten immer und überall zu kaufen. Und so sagte die junge Sarah Kirsch zu ihren Schaffensproblemen nach der sogenannten „technischen Revolution“ gefragt, der entrüsteten SED Presse, „dass der Tag nur 24 Stunden enthält, es in Halle keinen guten Kognak und kein Kohlepapier gibt, es demzufolge ebenso schwer ist wie vor der technischen Revolution, gute Gedichte zu schreiben.“

Ich bin Sarah Kirsch am Rande eines Kulturbesuchs in der DDR das erste Mal begegnet. 1977 bei ihrer ersten Lesung im Rheinischen Landesmuseum  Bonn,  nach  ihrem entschiedenen Protest gegen die  Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR, weswegen sie aus der SED  und dem DDR-Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde.  Sie antwortete auf eine damals gar nicht so seltene , aber dennoch sehr naseweise  Frage , wie ihr Wechsel  in das „Ausland BRD“ auf sie wirke  mit der einfachen Feststellung „Ich bin in Deutschland geblieben.“

Sie sagte:

„Wenn ich in einem Haus bin, das keine Tür hat,
geh ich aus dem Fenster
Mauern, Mauern und nichts als Gardinen
Wo bin ich daß“

Und in einem anderen Gedicht rief sie den

„Freundbruder aus Wolfsland, wir wollen
unsere Blicke anzünden an etwas glauben.“

Das ist Sarah Kirsch nicht bei allen  gelungen. Aber bei denen auf die es ankam. In Ost und West ist inzwischen einigen moralischen Autoritäten, auf die es nicht ankommt, ohnehin der Sockel abhanden gekommen.

Auch ihre Liebesgedichte wirken auf mich bis heute  nicht nur durch ihre Verbindung von der Sehnsucht nach  Liebe, Trauer, einzelnen Augenblicken von Glück und  durch Diskretion mit der beides mit geteilt wird , sondern auch und gerade dadurch, dass viele Gedichte gleichzeitig politische Gedichte sind.

Wenn Sie in Anspielung auf Bettinas Kampfschrift

„… den Königen schreiben,
Denen des Herzens und jenen
Des Staats. Und noch
Erschrickt unser Herz
Wenn auf der anderen Seite des Hauses
Ein Wagen zu hören ist“

Das war die unverstellte Darstellung  der Überwachung und Bedrohung durch Stasi und  DDR Diktatur

Ähnlich in ihrem Gedicht „Datum“

oder nur politisch im“Katzenleben“:

„Aber die Dichter lieben die Katzen
Die nicht kontrollierbaren sanften.“

Nicht alle Dichter, wie wir seit der Revolution in der DDR wissen, aber die Anständigen, die Mutigen, und die Besten mit dem aufrechten Gang..

Der „Sarah-Sound“ war authentisch, demütig und übermütig; „Lieber zu zweit verhungern als Einzeln/ Im goldenen Wagen spazieren fahren.“

Ganz persönlich geschrieben  habe ich  ihr erstes Gedicht  in der Sammlung „Rückenwind“ verstanden. Nach der Wiedervereinigung konnte es so gelesen werden, als hätte sie über die Notwendigkeiten der damaligen Situation in Deutschland nach gedacht:

„Von jetzt ab teil ich mit dir
von jetzt ab teilst du mit mir
jedwede Freude, jedweden Zorn“

Auch die Ablehnung der ihr angetragenen Wahl in die Berliner Akademie der Künste, die sie als  „Schlupfbude“ für ehemalige Staatsdichter und Stasi-Zuträger bezeichnet hat. Dazu gehörte  das Verhalten der Christa Wolf, das sie nicht entschuldigen wollte.

Sarah Kirsch konnte der Droste das Wasser reichen.. Marcel Reich-Ranicki hat sie als   „Drostes jüngere Schwester“ gepriesen: Erotisch ist nicht nur ihr Verhältnis  zu den Menschen, sondern  auch zur Heimat und zur Natur, zum Geist und zur Literatur, ja sogar zur Politik.“ Ihr Werk ist längst ein Klassiker.

Eine Poetin der Schönheit und Bedrohtheit des Lebens.

Streitbar ist diese große Dichterin gewesen, vor allem gegen  die totalitären Diktaturen, wie den Nationalsozialismus und seinen Nachwirkungen und den Kommunismus in der DDR.

Liebe Sarah, sei umarmt und bedankt!

Du hast eine Sammlung deiner Gedichte „Zaubersprüche“ genannt.

Ja, ich hoffe, dass Hexen, gäbe es sie, diese Gedichte als Fachliteratur nutzen könnten.

Dr. Waldemar Ritter hatte am 22. Mai 1992 die Laudatio zur Verleihung des GEDOK- Literaturpreises an Sarah Kirsch im historischen Kaisersaal in Freiburg  gehalten.

Nachdruck Mai 2013

Schreibe einen Kommentar