Waldemar Ritter: Nationalfeiertag 25 Jahre Freiheit und Einheit

Waldemar Ritter © Waldemar Ritter

Am 3. Oktober feiert Deutschland 25 Jahre Wiedervereinigung. Bis dahin werden in Frankfurt 1.000 übergroße DDR-Ampelmännchen auf das Fest einstimmen.

Erinnern wir uns: Am 9.November 1989 fiel die Mauer. Im Herbst und im Winter 1989 stürzten die Deutschen in der  DDR die SED-Diktatur mit einer Revolution der Freiheit, welche in die Wiederherstellung der Einheit mündete. Es war in der DDR und Mittel/Osteuropa die größte Revolution seit 1789, die erste erfolgreiche Revolution in Deutschland.

Der Tag der deutschen Einheit ist mit dem Einigungsvertrag  – eine bis heute unterschätzte  „Großtat“ deutscher Geschichte – unser Nationalfeiertag. Gleichzeitig der Jahrestag  der Gründung der fünf „neuen“ Länder.

Es war der Abschluss einer bewegenden Zeit, in der das Volk unmittelbar die Inhalte und bestimmte Ziele, für die ich auf meinen Plätzen mit Leidenschaft und Augenmaß seit meiner Studentenzeit gearbeitet, vor- und nachgedacht, gestritten und gekämpft habe: Die Freiheit und Demokratie in der Freiheit und Demokratie zu gestalten. Und dann die Zeit, vom Aufbruch bis zur Vereinigung, war  für mich die anstrengendste und beglückendste Zeit meines Lebens.

Am 3. Oktober 1990 sagte der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin die umjubelten Worte: „Wir Deutschen sind jetzt das glücklichste Volk auf der Welt.“

Der Freiheitswille des Widerstandes, der Unterdrückten, der Erniedrigten, der Eingesperrten, der Entrechteten, der Ausgebeuteten und Verfolgten, hatte die Diktatur der Unterdrücker entmachtet, nicht nur in der DDR, ebenso in Polen, in den Baltischen Staaten, in der Tschechoslowakei, in Ungarn und nacheinander auf dem Balkan. Was nieder gehalten war stand auf. Und was auseinander gerissen war, das wuchs wieder zusammen. Aus Deutschland wurde wieder eins. Europa überwand  die Spaltung in Ost und West.

Das vereinigte Deutschland kann, wie unser Bundespräsident sagte,  „stolz“ darauf sein, was wir  seitdem erreicht haben: Ostdeutsche, Westdeutsche und Neudeutsche, alle zusammen, zusammen mit Freunden und Partnern in Europa und der ganzen Welt. Wir sind  heute insgesamt wirtschaftlich stark, Deutschland ist weltweit geachtet und gefordert. Unsere Demokratie ist lebendig und stabil. Deutschland hat ein Gesellschaftsmodell entwickelt, das ein hohes Maß an Einverständnis der Bürger mit ihrem Land hervor gebracht hat. Für viele Länder sind wir sogar Vorbild geworden. Seit der Wiedervereinigung sind wir nur von Freunden umgeben. Und heute möchten die meisten Asyl- und schutzsuchenden Menschen am liebsten in dieses Deutschland, in das „gelobte Land“, in dem aber nicht nur „Milch und Honig“ fließen.

In einer Welt voller Kriege, Terror und Umbrüchen wächst Deutschland neue Verantwortung zu. Die Rolle Deutschlands in Europa und in der Welt werden wir noch genauer definieren müssen. Die Debatte, ob Europa mehr sein soll als die Summe  seiner Teile, ist fällig. Auch die digitale Revolution oder der demographische Wandel sind noch lange nicht ausreichend beantwortet. Und bei nicht geringer Kritik, die ich habe an Politik und Politikern  immer wieder äußere, sage auch ich: Unsere Demokratie , unserer Staat,  können  grundsätzlich Ja sagen zu sich selbst. Aber immer mehr Europäer misstrauen der Demokratie. Die Kritik an Politik und Wirtschaftsordnung steigt dramatisch. Soweit ich sehe gibt es tatsächlich einen Teufelskreis zwischen ökonomischer Krise und Misstrauen in die Politik. Je höher das Bruttoinlandsprodukt, desto stärker das Vertrauen in Demokratie und soziale Marktwirtschaft. In Deutschland sind wir eine Republik der Ruhelosen geworden. Das jetzt moderne Leben ist tendenziell ein übermüdetes Leben, welches zu noch mehr sozialer Vereinzelung führt. Besorgt bin ich über die aktuell grassierende Politikverachtung, dass wir uns zu einer Zuschauer-Demokratie entwickeln. Die meisten Politiker und die Verantwortlichen schwitzen am Reck und viele Menschen heben oder senken nur noch den Daumen.

Wir müssen uns auch der Frage stellen: Woher kommt der ungebremste Hass im Netz. Die Beleidigungen, Verleumdungen, der sogenannte Shitstorm und organisierte Desinformation? Der Links- und Rechtsextremismus, der Rassismus, Antisemitismus sind Alltag im Internet. Die digitale Revolution wird alle Teile unseres Lebens erfassen. Demokratie  braucht Meinungsfreiheit und Öffentlichkeit – vielfältig, transparent, erfahrbar. Die digitale Welt kann eine Chance  zu mehr Demokratie sein und wird  das politische Handeln aller Beteiligten verändern: Auch und gerade die Medienöffentlichkeit, politisches agieren und Partizipation. Entscheidend ist: Im Rechtsstaat Deutschland darf es keine rechtsfreien Räume geben. Warum schaffen es Deutschland und Europa nicht ein mindestens vergleichsfähiges „Google“ oder … zu schaffen?

Als Nation, die alles in allem das ihr mögliche und ihr zugewachsene tut, wollen wir solidarisch sein im Inneren wie nach außen. Allerdings erscheint mir das Vertrauen der Bundesbürger zu ihren Mitmenschen weniger stark, auch wenn Hilfsbereitschaft und Fairness recht gut ausgeprägt sind. Wir sind handlungsfähig, wenn  wir Verantwortung annehmen, mit dem was wir jetzt wissen, jetzt können und gestaltend eingreifen. Ohne arrogante Töne einiger Politiker und in Medien gegenüber unseren europäischen Nachbarn, die andere Auffassungen von Europa, andere Möglichkeiten und Interessen haben als wir. Die Solidarität in Europa leidet auch wegen Deutschland. Die „Führungsnation“ muss aufpassen, dass sie da nicht alleine steht. Wenn Deutschland sich wieder nicht an die Regeln hält, besteht die Gefahr, dass die europäische Union de facto auseinanderfällt. Es fehlt an Union in der europäischen Union. Es ist zu viel Gagaismus in unserem Land Deutschland gibt sich im Moment als „Hippie Staat“, der von Gefühlen geleitet ist. Statt nur mit dem Herz müssen wir auch mit Hirn und Verstand handeln, sonst sind nach innen und außen nicht verantwortbare Folgen, Konflikte und Schlimmeres  vorprogrammiert. Schon jetzt ist sogar in der Union erkennbar, dass die krassen Fehlentscheidungen „verheerende Spätfolgen“ haben werden. 800.000 können wir „stemmen“ heißt es in der Regierung. Was ist, wenn zwei oder gar drei Millionen kommen?“ Mutter Merkel“ als der Zauberlehrling bei Johann Wolfgang von Goethe.

Wenn Europa  dem Terror und Grauen in Syrien weiter zusieht, wenn wir alle Flüchtlinge aufnehmen, hat der Menschen schlachtende, der Weltkulturerbe zerstörende  „Islamische Staat“,  (ISIS) gewonnen. Die Lage ist ernst. Wir helfen. Wir wollen und müssen helfen! Den tatsächlich Asylsuchenden und den tatsächlich Schutzbedürftigen, und wir müssen helfen die Ursachen der invasionären Flucht zu beseitigen.

Die „Gottessstaaten“ tun weder das eine nach das andere.

(Saudiarabien, dass ISIS unterstützt, möchte in Deutschland 200 Moscheen für Flüchtlinge finanzieren, aber keinen Flüchtling in sein Land lassen.)

Nur wer die Geschichte kennt, kann aus ihr die richtigen Lehren ziehen. Wer sich seiner Geschichte bewusst ist, wer den Weg zur Einheit in Freiheit und die 25 Jahre danach betrachtet, hat zumindest einen Anhaltspunkt dafür, wo er gestanden hat und wo er steht, wo wir gestanden haben  und heute stehen.

Zwischen dem Gedanken und der Tat  gibt es vor dem Hintergrund der zeitgeschichtlichen Wirklichkeit eine fruchtbare Wechselwirkung. In Heines Wintermärchen bringt sie sein Doppelgänger auf den Begriff:

Ich raste nicht, bis ich verwandle

in Wirklichkeit, was du gedacht;

du denkst, und ich, ich handle.

Erinnern wir uns: Auf dem Weg zur Freiheit und Einheit Deutschlands war das lange Zeit Millimeterarbeit, die Politik der kleinen Schritte. Die Vertrags- und Friedenspolitik, die richtige Deutschland- und Ostpolitik und der große Schritt mit Korb 3 – der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit mit dem  Helsinkiprozess. Der polnische Papst und Solidarnosc, die klare Haltung der Amerikaner, Glasnost und Perestroika führten zur Aufweichung  der über vierzig Jahre verfestigten Frontstellung des „Ostblocks. Es zog allmählich ein konstruktiverer Geist in die Ost-West Beziehungen ein, der Honeckers SED-DDR zwar nicht erfasste, aber immerhin zu beachtlichen Zugeständnissen nötigte. Die innerdeutschen Beziehungen kamen wieder in Bewegung. Die Verhandlungen mit der DDR erfuhren auf zahlreichen Gebieten mehr als eine Wiederbelebung.

Das Kulturabkommen, federführend vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, in jahrelangem Bemühen ausgehandelt, bildete 1986 den sinnfälligen Höhepunkt eines deutschlandpolitischen Abschnitts, dessen kreative Folgen eine Vorstufe zur Einheit in Freiheit gewesen sind.

Die Freiheit in der DDR und die Einheit Deutschlands waren die friedliche Revolution mit dem Mauersturz am 9. November 1989. Der Einigungsvertrag, der von der ersten und letzten freigewählten Volkskammer und dem Deutschen Bundestag mit verfassungsgleicher Mehrheit verabschiedet wurde. Mit ihm wurde der 3. Oktober zum Nationalfeiertag der Deutschen. Kein 3. Oktober ohne 9. November, kein 9. November ohne 9. Oktober. Vor der Einheit kam die Freiheit.

Mauerfall © boskap

Der 9. November 1989 und der 9. Oktober 1989 in Leipzig sind die Leuchttürme der   Revolution des Volkes gewesen, dass die Mauer in Berlin gestürzt hat, der 3. Oktober 1990 ist mit dem Einigungsvertrag die Vollendung der staatlichen Einheit auch ein Tag der Besten in der gesamtdeutschen Exekutive, in der Ministerialbürokratie der Bundesrepublik und der Politik.   Jürgen Sudhoff bemerkt in einer Zeitzeugenbefragung zur Auswärtigen Politik und Diplomatie, dass die Aushandlung der deutschen Einheit in wenigen Monaten trotz ihrer Komplexität „ein Paradebeispiel dafür sei, „zu welchen Glanzleistungen die häufig geschmähte Ministerialbürokratie fähig sei, wenn sie entsprechend gefordert  und den nötigen Handlungsspielraum besitze.“

An diesen historischen Bogen sollten wir uns an einem festen Ort erinnern können. Heute hat man Mühe zu erkennen, wo die Mauer stand. Es ist schon viel zu viel Zeit vergangen für ein „Denk mal“ unserer Erinnerungskultur. Es ist unglaublich: Der Bundestag hatte schon 2007 den Bau eines Einheitsdenkmal beschlossen. Es soll an die friedliche Revolution  in der DDR 1989, an die Wiedergewinnung der deutschen Einheit erinnern. Ähnlich wie beim Bau des Berliner Flughafens eine unendliche Geschichte: Zuerst verzögerte sich der Bau eines Freiheits- und Einheits-Denkmals am Berliner Stadtschloss wegen unklarer Baupläne, dann wegen Fledermäusen und nun sind es schützenswerte Mosaike im Sockel. Das Denkmal sollte schon 2013 eröffnet werden. Dann hoffte man auf dieses Jahr. Jetzt wird es nicht vor 2016 fertig. Ein solcher Umgang mit der eigenen Geschichte, mit der eigenen Selbstvergewisserung ist eine Schande für unser Land.

Wir können nur hoffen  dass mit der Errichtung eines Mahnmals für die Opfer der Gewaltherrschaft des Kommunismus in Deutschland nicht ebenso umgegangen wird, zumal dazu auch deutsche Kommunisten gehören, die von Stalin liquidiert worden sind.  Der Bundestag hat das Mahnmal bis heute noch nicht einmal beschlossen.

Beschlossen hat  2009 das europäische Parlament, dass der 23.August als europäischer Tag des Gedenkens an die Opfer des Kommunismus und des Nationalsozialismus begangen werden sollte. Aber in Deutschland herrscht noch immer Verdrängen und verdrucktes Schweigen.

(Der 23. August  ist der Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, der 1939 die Aufteilung Polens und der baltischen Staaten zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion besiegelte. Auf dieser Grundlage konnte Hitler den Aggressionskrieg gegen Polen beginnen, der den 2. Weltkrieg ausgelöst hat. Der deutschen Aggression schloss sich Stalin am 17. September an. Die durch den geheimen Freundschaftsvertrag Verbündeten trafen sich in der Mitte und feierten eine gemeinsame Siegesparade.)

Wenn wir nicht vergessen, Auschwitz, den 27. Januar als Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, den 8/9.Mai 1945 als den Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus und den 23. August 1939, den Tag des Gedenkens an die Opfer des Kommunismus und des Nationalsozialismus, den Hitler- Stalin- Pakt, können wir uns  und unsere Freiheit feiern und unsere Demokratie. Und dass wir ein einiges solidarisches Deutschland in unser aller Europa sind. Wir Deutschen haben großen Grund zur Freude und zur Verantwortung, die uns die Geschichte insgesamt aufgegeben hat.

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