Der deutsche Mittelstand gilt als Herzstück der Wirtschaft des Landes und steht für die Kraft von zahlreichen kleinen und mittleren Unternehmen, die in Deutschland über 50 Prozent der Arbeitsplätze stellen.
Wie kann es geht künftig weitergehen?
Stefan Fritz kennt sich als innovativer Macher in der Technologieentwicklung sowie als Unternehmensgründer, Investor, Blogger und Autor aus: „Ein Leitfaden für nachhaltiges Unternehmertum und Social Entrepreneurship“ bringt es im Untertitel seines Buchs „Impact Investing – Investieren in die Zukunft“ (Verlag Haufe) auf den Punkt, besser gesagt auf viele stichhaltige Gedanken und Instrumente, die einen positiven Ertrag für unsere Öko- und Sozialsysteme haben sollen. Jetzt mit Verantwortung investieren, um eine ressourcenschonende und zukunftsfreundliche Welt zu gestalten, fordert der dreifache Familienvater mit Wohnsitz in Aachen. Hier war Synaix sein Unternehmen im Mittelstand, als Manager im Konzern CANCOM hat er erfahren, wie ein großes Unternehmen international tickt. Heute ist Stefan Fritz, Jahrgang 1967, global unterwegs und Partner bei PRIMEPULSE in München, einer Investmentgesellschaft, die sich auf B2B-Geschäftsmodelle für Venture Capital, Mittelstand und gelistete Unternehmen spezialisiert hat.
Zwei Fragen stellen wir ihm, die Antworten fordern die etablierten Unternehmen zu mehr Engagement und Mut hierzulande auf. An der Digitalisierung gehe mit sinnvollem Einsatz letztlich kein Weg vorbei, um Werte für Menschen, Unternehmen und eine zukunftsfähige Gesellschaft zu schaffen.
Entspricht das Märchen vom innovativen Mittelstand Deutschlands noch der Realität?
Auch wenn über 99 Prozent der deutschen Unternehmenslandschaft aus kleinen und mittleren Betrieben besteht, womit sie unter die Kategorie „Mittelstand“ fallen, trugen sie zuletzt nur 30 Prozent zum Wirtschaftsumsatz bei. International gesehen sind aber unsere 70% der Großunternehmen nahezu irrelevant. In Bezug auf ihre Marktkapitalisierung repräsentieren alle an deutschen Börsen gelisteten Unternehmen nur ca. 6% der an US-Börsen gelisteten Unternehmen.
Woran liegt dieser vermeintliche Stolz, dass ein Großteil unserer Unternehmen nicht an Börsen gelistet ist? Warum trauen sich die häufig familiengeführten Unternehmen nicht an die öffentlichen Kapitalmärkte heran? Scheuen sie vielleicht die hohe Transparenz durch Reporting Pflichten im Public und Private Equity Bereich?
Die meisten, vor allem familiengeführten Mittelständler sonnen sich noch im „Hidden-Champion-Glanz“ vergangener Jahrzehnte. Sie ruhen sich aus auf den Zeiten, in denen man sich durch beständige und kontinuierliche Verbesserung im Ingenieurbereich über viele Jahre einen Ruf und eine Position am Weltmarkt in kleinen, von Konzernen noch nicht besetzten Nischen erobern konnte.
Doch in der heutigen Zeit braucht es durch die hohe Innovationsgeschwindigkeit mit einer höheren Skalierung meist große Investitionssummen, die von Mittelständlern schlichtweg nicht mehr gestemmt werden können. So bleiben die meisten deutschen mittelständischen Unternehmen in ihrer meist inhabergeführten Struktur und in ihrem erprobten Modell. Meist nicht sehend, dass dieses Modell wahrscheinlich nicht mehr lange funktionieren wird.
Startups in Deutschland haben sich in den letzten Jahren enorm professionalisiert, um größere Geldsummen einwerben zu können. Auch gelingt es Ihnen immer häufiger, amerikanische Investoren von sich zu überzeugen. Ob dies wirklich positiv ist, oder nicht letztlich den geringeren Bewertungen geschuldet ist, die amerikanische Investoren für deutsche und europäische Startups gegenüber ähnlichen amerikanischen Unternehmen zahlen müssen, darf bezweifelt werden.
Dazu kommt es vereinzelt zu Rollups, wenn beispielsweise Unternehmen wie 1komma5 deutsche Handwerksbetriebe aufkaufen, um finanziert mit ausländischem Geld einen neuartigen Energiekonzern mit dezentralen Erzeugungsversuchen aufzubauen. Der bayerische Solaranbieter Sonnen hat hier vor einigen Jahren etwas ähnliches probiert, sich dann aber letztlich von einem Konzern aufkaufen lassen. Echte Innovation, mit der wir den Planeten verändern können, lässt sich so nicht entwickeln.
So sind es vor allem amerikanische Konzerne wie Microsoft, Amazon und Apple, die als börsengelistete Innovationsmaschinen in der Lage sind, soviel Kapital und Talent anzuziehen, dass sie damit in größerem Stil wirkliche Innovation mit weltweiter Skalierung über mehrere Technologiegenerationen hinweg anfeuern und aufrechterhalten können.
Ohne Veränderung im Mindset und Eigenanspruch haben wir keine Chance
Wir brauchen hungrige Unternehmer und mutige Investoren, wenn wir den Anschluss nicht verpassen wollen. Unsere Probleme, die dringend aus dem Weg geräumt werden müssen, liegen klar auf der Hand und sie binden besonders drei Gruppen mit ein: Die Mittelständler, die Startups und die Investoren.
- Zu viele Mittelständler sind zufrieden mit einem soliden Geschäft, welches ihre eigene Familie und die der Mitarbeiter ernährt.
- Zu viele Mittelständler sind zufrieden, wenn sie ihr Geschäft irgendwann einmal an einen börsengelisteten Konzern, der sich Geld für sein Wachstum über die Börse beschaffen kann, verkaufen können.
- Zu wenige Mittelständler wollen sich der anspruchsvollen Aufgabe stellen, ihr Unternehmen an die Börse zu bringen und sich der weltweiten Vergleichbarkeit und Kritik auszusetzen.
- Zu wenige Mittelständler haben Erfahrung, sich im internationalen Finanzmarktvergleich zu behaupten.
- Zu wenige Startups wollen mit Deutsch die Welt verändern und durchaus vorhandene Spitzenforschung aus Deutschland weltweit skalieren. Dabei haben wir mit Agenturen wie Spind und Fülling Walls gleich zwei wichtige Initiativen in Deutschland, die Gründern Mut machen, größer zu denken.
- Zu viele Startups rennen noch den digitalen Geschäftsmodellen hinterher und wollen global gesehen Nischen besetzen, die die großen amerikanischen Player noch nicht eingenommen haben. Vielleicht und hoffentlich schafft es ja Celonis einmal, eine moderne Ablösung unseres Veteranen Modells SAP auf internationalem Parkett zu werden.
- Zu wenige Investoren aus Deutschland trauen sich in die DeepTech-Bereiche hinein und fördern und unterstützen weltweit skalierende Modelle.
Wissens-Emigration
Vor allem der letzte Punkt, die fehlenden Investoren, kann dem deutschen Mittelstand zu Verhängnis werden. Denn das Geld nimmt nicht nur die Finanzkraft mit, sondern auch das Wissen und das Knowhow. So sehr wir uns in Deutschland darum bemühen, als Land mit Willkommenskultur zu gelten, so wenig stecken wir an Anstrengungen darein, auch als attraktiver Standort für Entwicklungskompetenz zu gelten.
Wir alle kennen die Geschichte der „goldenen Zeiten“, in denen Unternehmen wie Würth, Siemens und Daimler aus eigenem Knowhow eine Produkt-Idee entwickelt haben und damit ihre Erfolge feiern konnten. Die gesamten Anfangsschritte von der Forschung über die Konstruktion bis hin zur Produktion lagen in Deutschland. Diese Zeiten sind lange vorbei und es gibt außer SAP quasi kein deutsches Unternehmen aus den letzten 30 Jahren, die sich im Technologiebereich eine Weltposition aufgebaut haben.
Stattdessen haben wir vor etwas mehr als 20 Jahren angefangen, globale Supply Chains in Billiglohnländern im Osten aufzubauen und einzubinden, um Wettbewerbsfähigkeit herzustellen. Fast ausschließlich mit der in die Jahre gekommenen Automobilbranche konnten wir mit einigen Unternehmen weltweite Consumer Brands aufbauen. Beispiele aus jüngerer Zeit, wo es uns mit börsennotierten Unternehmen gelungen wäre, weltweite (Consumer)-Brands aufzubauen und zu technologischen Innovationsmaschinen zu entwickeln, gibt es nicht.
Die Firma BioNTech ist wohl eines der aktuellsten Beispiele, welches zeigt, wie schwer wir uns tun, Innovation aus Deutschland für den Weltmarkt zu entwickeln. Das deutsche Unternehmen mit Sitz in Mainz hat Anfang des Jahres verkündet, in ein neues Forschungs- und Entwicklungszentrum in Cambridge zu investieren, ebenso wie in einen regionalen Hauptsitz in London. Darüber hinaus verstärkt das Unternehmen aktuell seine Präsenz in den USA. Über eine Verstärkung der Niederlassungen in Deutschland wird hingegen nicht nachgedacht – auch hier sollten wir uns dringend die Frage stellen, warum.
Impact Unternehmertum als neuer Anspruch und Ansporn
Wir müssen wieder mehr wollen, uns ambitioniertere Ziele stecken. Impact Unternehmertum, also der Anspruch, auf weltweiter Ebene eine Wirkung für brennende Probleme erzielen zu wollen, muss wieder ein klares Ziel für viele sein.
Wir müssen begreifen, realisieren und anerkennen, dass uns ein einfaches Ignorieren der angelsächsischen Finanzlogik von öffentlichen Börsen und Privat Equity finanzierten Modellen einfach nur weiter abhängt und letztlich lediglich dazu führt, dass wir mit unserem deutschen Mittelstand die US-Modelle füttern. Wenn wir uns nicht aktiv auf das weltweite Finanzspiel einlassen, verfüttern wir Startups und den deutschen Mittelstand an weltweit operierende Konzerne, die unsere Innovationen preiswert aufkaufen und in ihre dann nicht mehr deutschen oder europäischen Wertschöpfungssysteme einbauen.
Man muss eben ein wenig verrückt, besessen und letztlich auch opferbereit sein, um sich nicht nur im Technologieumfeld, sondern eben auch in der Finanzlogik international messen zu wollen.
Noch können wir wählen, wie der deutsche Mittelstand untergehen wird:
- indem wir ihm in systematischer Form das Geld für Innovation verwehren, weil wir uns dem internationalen Finanzsystem durch eine zu einseitige Familienorientierung entziehen,
- indem wir Unternehmen für Unternehmen an Konzerne verkaufen,
- oder indem wir aufwachen und sich auch in diesem Land mehr Unternehmer trauen, groß zu denken. Sie müssen sich aktiv an finanzmarktorientierten Modellen auf internationalem Niveau orientieren und damit in positiver Form das erfolgreiche Modell Mittelstand an die aktuelle Situation anpassen.
Egal wie wir uns entscheiden: Der deutsche Mittelstand mit meist familiengeführten Unternehmen, die über Generationen existieren, sich in steter Form weiterentwickeln und eine starke Position am Weltmarkt haben, wird mehr und mehr zum Auslaufmodell. Doch noch können wir das Modell positiv weiterentwickeln und genau diese Chance sollten wir jetzt nutzen, betont Stefan Fritz.
(Frank Fäller)