„Wir brauchen den großen Wurf.“
Die Ankündigung von US-Präsident Donald Trump, bis zu 500 Milliarden US-Dollar in die weitere Entwicklung Künstlicher Intelligenz zu investieren, hat aufgeschreckt. Professor Holger Hoos, einer der Direktoren des KI-Centers an der RWTH Aachen, rät dringend dazu, mit einer europäischen Strategie dagegen zu halten.
Frage: Was haben Sie gedacht, als Sie von der geplanten US-Investition gehört haben?
Holger Hoos: Ganz schön ambitioniert, erstaunlich, dass es in dieser Größenordnung und so schnell kommt. Aber dass es kommt, überrascht mich nicht.
Frage: Warum nicht?
Hoos: Die USA haben im Bereich KI einen großen Vorsprung aufgebaut und sind sich dessen auch sehr bewusst. Und sie wollen den Vorsprung nicht nur halten, sondern weiter ausbauen. Es gab in den letzten Wochen gleich mehrere Ankündigungen, die erste betraf Exportbeschränkungen bei fortgeschrittener KI-Hardware wie den NVIDIA-Chip, den wir auch in Deutschland verwenden, um unsere KI-Rechenzentren – wie in Jülich – aufzubauen. Auch bei mir am Lehrstuhl nutzen wir diesen Chip. Die zweite Ankündigung ist das Stargate-Projekt mit bis zu 500 Milliarden US-Dollar Finanzumfang und die dritte ist das Aussetzen der KI-Richtlinien auf Bundesebene. Das alles ergibt ein sehr stimmiges Bild.
Frage: Wie muss die europäische Reaktion ausfallen?
Hoos: Gemeinsam mit vielen meiner Kolleginnen und Kollegen habe ich in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die europäische KI-Strategie dringend überarbeitet werden muss. Wir müssen in Europa viel ambitionierter denken als das bislang getan wurde. Das bedeutet insbesondere, dass die Finanzierung gewaltig aufgestockt werden muss – mit öffentlichen Mitteln aber auch durch die Industrie. Seitens CAIRNE – vormals als CLAIRE bekannt –, einer internationalen nicht-staatlichen Organisation der europäischen KI-Community, gibt es schon länger die Vision eines CERN für KI in Europa. Das wäre die richtige Antwort auf das, was die USA angekündigt haben. So würden wir ein ähnliches Level an Ambition formulieren, wir würden Schlagzeilen machen und eine kritische Masse an KI-Talente und -Ressourcen bilden können. Wir wollen in Europa für sichere, verlässliche und nachhaltige KI stehen – das haben wir uns hier in Aachen im KI-Center auf die Fahne geschrieben und in Europa wäre das CERN für KI ein großer Schritt auf dem Weg dorthin.
Frage: Waren wir in Europa bis zur Stargate-Ankündigung auf dem richtigen Weg?
Hoos: Zumindest hatte Ursula von der Leyen in einer vielbeachteten Rede angekündigt, dass Thema KI-Entwicklung entschlossener anzugehen. Aber genau daran mangelt es uns: An Ambition, Mut und Entschlossenheit, den großen Wurf zu wagen. Das haben uns die Amerikaner nun mal wieder vorgemacht, wie man einen großen Wurf wagt. Das ist schon beeindruckend. Davon sollten wir lernen – hoffentlich schnell.
Frage: KI-Einsatz wird zukünftig wohl bestimmen, wie sich Unternehmen und ganze Branchen entwickeln. Droht Europa gesamtwirtschaftlich abgehängt zu werden?
Hoos: Selbstverständlich. Das ist genau das, wovor ich seit einigen Jahren gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen warne. KI ist der Schlüssel zu unserer zukünftigen Konkurrenzfähigkeit. Aus diesem Grund ist das aus USA-Sicht auch eine sehr strategische Investition. Wir können uns daher in Europa nicht auf dem Erreichten ausruhen, unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, wie wir im KI-Bereich mithalten können – auch mit Blick auf die demografische Entwicklung. Um den Arbeits- und Fachkräftemangel abzufangen, um also unseren Lebensstandard zu halten, ist der Einsatz von KI unabdingbar. Irgendwie müssen wir ja mit weniger Menschen eine ähnliche Menge Arbeit schaffen.
Frage: Der verantwortungsvolle Umgang mit KI ist für Sie zentral. Präsident Trump hat die Richtlinien zur Regulierung von KI bereits aufgehoben, wie groß sind denn Ihre Sorgen?
Hoos: Durchaus groß. So hat beispielsweise OpenAI-CEO Sam Altmann erneut klar gemacht, dass die durch Stargate befeuerte Entwicklung in die Richtung geht, den Menschen mit seiner Intelligenz zu ersetzen. Das halte ich für äußerst bedenklich. Das ist nicht die Art von KI, die wir brauchen und auch nicht das, was den europäischen Richtlinien entspricht. Die KI-Systeme und -Dienste, die von amerikanischen Firmen mit Nachdruck entwickelt und auf den Markt gebracht werden, zielen darauf ab, menschliche Intelligenz und Arbeitskräfte vollständig zu ersetzen. Sinnvoller und sicherer ist es jedoch, KI-Systeme zu entwickeln, die menschliche Fähigkeiten sinnvoll ergänzen, nicht ersetzen. Zudem ist KI keine wertneutrale Technologie. Setzen wir KI ein, die woanders entwickelt wurde, bekommen wir auch die Werte, die hinter dieser KI stecken, mitgeliefert. Das ist für uns in Europa nicht unbedingt erstrebenswert, da wir in unserem Aachener Umfeld, in Deutschland und Europa einen ganz anderen Wert auf Sicherheit, Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit legen als beispielsweise Microsoft oder OpenAI.
Frage: Sind wir gerade an einem ganz entscheidenden Punkt?
Hoos: Wir stehen wie nie zuvor an einem Scheideweg. Als Europäerinnen und Europäer müssen wir uns jetzt entscheiden: Wollen wir hier mithalten? Dann müssen wir massiv investieren – und zwar mit einem guten Plan, wie diese Investitionen dann auch die gewünschten Effekte zeigen. Oder wollen wir alles einfach weiterlaufen lassen und riskieren, dass wir in allen Bereichen ins Hintertreffen geraten.
Holger Hoos hat an der RWTH eine Humboldt-Professur inne und leitet den Lehrstuhl für Methodik der Künstlichen Intelligenz. Er ist neben Professor Sebastian Trimpe Direktor des Centers für Künstliche Intelligenz an der RWTH Aachen und zudem Präsident der European Association for Artificial Intelligence (EurAI).