KI ist nicht mehr wegzudenken und der globale Wettlauf ist in vollem Gange.
Im Oktober brachte ein KI-Industrie-Gipfeltreffen in Aachen eine Reihe hochrangiger Führungspersönlichkeiten der deutschen KI-Industrie. Organisiert wurde dieser Gipfel vom KI-Center der RWTH Aachen.
Das KI-Center hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine wahrnehmbare Präsenz und Mitsprache in politischen, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussionsforen und Entscheidungsgremien zu etablieren und die RWTH Aachen somit als einen der führenden universitären Standorte für KI in Deutschland und weltweit bekannt zu machen: “Wir haben die führende Köpfe der deutschen KI-Industrie im Rahmen des Gipfels zusammengebracht, um gemeinsam herauszufinden, wie wir im Bereich KI noch mehr für Deutschland, Europa und unsere Gesellschaft leisten können”, sagte Alexander-von-Humboldt-Professor und Direktor des KI-Centers der RWTH Aachen Holger Hoos im Rahmen des Industrie-Gipfels Anfang Oktober.
Ziel des KI-Gipfels war es, in Kooperation mit Aleph Alpha, Celonis und Hessian.AI, Chancen und Herausforderungen für die deutsche KI-Industrie sowohl öffentlich als auch in kleinem Kreise zu diskutieren und Empfehlungen an die Bundes- und Landesregierungen zu erarbeiten. Mitorganisator Professor Kristian Kersting von der TU Darmstadt und Gründer von Hessain.AI sieht vor allem die Notwendigkeit, Informatik als eine der wichtigsten Wissenschaftsdisziplinen zu etablieren: “Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, in den Austausch zu kommen; sowohl mit der nächsten Generation, Stakeholdern, der Industrie und auch der Politik. Wir müssen akzeptieren, dass die Informatik, insbesondere die KI, auf demselben Level wie Mathematik und Medizin steht – auch, wenn wir in Sachen KI noch keine so lange Tradition haben.”
Folgende fünf Empfehlungen wurden im Rahmen des Aachener KI-Industrie-Gipfels erarbeitet und ausformuliert:
1.Informatik und KI in den Lehrplänen der Schulen verankern
Künstliche Intelligenz basiert auf verschiedenen Wissensgebieten, wobei besonders die Informatik zu wenig Beachtung im Schulsystem findet. Informatik und KI müssen integraler Teil des Lehrplans und der Schulstunde werden: “Programmieren ist eine Kulturtechnik”.
Wir benötigen dringend eine Modernisierung der bestehenden überholten Lehrpläne, die dem Fach Informatik eine vergleichbare Stellung (als durchgängig unterrichtetes Pflichtfach) verschafft wie allen anderen Grundfächern. Dafür muss ausreichend Zeit geschaffen werden. In der Natur der Sache liegt, dass solche Lehrpläne regelmäßig überarbeitet werden müssen, ausgerichtet an der technologischen Entwicklung und den Anwendungen von morgen. Es ist besser, leicht hinterher zu hinken, als gleich ganz den Anspruch aufgegeben zu haben, hinterherzukommen. Auch wenn es derzeit noch keine hinreichende Anzahl ausgebildeter Lehrkräfte gibt, müssen wir jetzt den Anspruch formulieren. In der Übergangszeit sollte mit Freiwilligen (z.B. erfahrenen Fachkräften), mit “Train the Trainer” Programmen und auch mit “virtuellen” Lehrkräften gearbeitet werden.
2. Auf Stärken und Erfolgsstories konzentrieren
Mit einer klaren Vision, die sowohl wissenschaftliche Exzellenz als auch industrielle Innovation in Berlin und Brüssel vereint, müssen wir auf den Aufbau von Erfolgsstories in Schlüsselbereichen wie beispielsweise die KI-basierte Robotik, Automatisierung- und Produktionstechnik sowie Process Mining und Prozessoptimierung setzen. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Entwicklung einer einheitlichen, an europäischen Stärken und Werten orientierten Industriepolitik mit Fokus auf den Wertschöpfungsfeldern der Zukunft. In diesem Zusammenhang sollten Themen wie ein robustes und nachhaltiges Maschinelles Lernen und eine Edge-AI — KI dorthin bringen, wo sie gebraucht wird: in die Endgeräte — sowie die nächste Generation von digitalen Zwillingen und dem industriellen Metaverse im Mittelpunkt stehen. Ziel muss es sein, durch terminierte Meilensteine und klare KPIs messbare Erfolge zu erzielen und den Nutzen von KI für Wirtschaft und Gesellschaft erfahrbar zu machen. Ob die gewählten Politikansätze tatsächlich Erfolg bringen, sollte über eine Wirkungsmessung auf deutscher und EU-Ebene nachgedacht werden.
Essenziell ist in diesem Zusammenhang die Förderung von Exzellenz und breites Enabling durch gute Rahmenbedingen, ein dynamisches Ökosystem und ein klarer Fokus darauf, neue Märkte zu schaffen und bestehende zu sichern. Nicht zielführend sind Bestrebungen, amerikanische Strategien und Erfolge lediglich zu kopieren; gleichzeitig dürfen Bedenken vor möglichen Misserfolgen nicht zu einer lähmenden Risikovermeidung führen: Mut und Ambition bestehen nicht auf Erfolgsgarantien, sondern lernen aus Erfahrungen.
3. Kräfte bündeln
Wir plädieren für die Einrichtung eines europäischen wissenschaftlich-industriellen KI-Kompetenzzentrums zur Stärkung des KI-Ökosystems und -Transfers. Eine Option hierfür wäre eine geeignete Realisierung des von Kommissionspräsidentin von der Leyen unlängst erwähnten „CERN für KI„. Öffentliche und private Mittel müssen in schnellen, messbaren und dauerhaft kompetitiven Verfahren auf KI-Vorhaben gebündelt werden, die unsere Souveränität sichern, die Lebensqualität verbessern und europäische KI-Champions schaffen. Dieses Vorhaben sollte hinreichend ambitioniert sein, um globalen Impact erzeugen zu können. Einhergehend mit der damit verbundenen starken Fokussierung sollte das europäische und deutsche KI-Ökosystem auch weiterhin in der Breite gefördert werden.
4. Souveränität gewährleisten
Von wesentlicher Bedeutung ist der Auf- und Ausbau von technologischer Souveränität in KI-Schlüsseltechnologien. Dabei sollten Fokusthemen von strategischer Bedeutung für Deutschland und Europa durch hinreichend ambitionierte Investitionen nach folgenden Gesichtspunkten abgedeckt werden: 1. Unterstützung des Aufbaus von Datenökonomien und Datensätzen, einschließlich einer kritischen Überprüfung der europäischen Datengesetzgebung; 2. Sicherstellung von kritischem Know-how in der Wertschöpfung, von Chipfabrikation bis zu KI-Anwendungen; 3. bei KI-Basismodellen Fokussierung auf strategische Wertschöpfungsfelder der Zukunft, z.B. industrielle Anwendungen, und Förderung von Basisforschung im Bereich der nächsten Generation großer generativer Modelle unter Safety- und Trustworthiness-Aspekten; 4. Sicherstellung eines „Level Playing Fields“ im Marktzugang zwischen europäischen und nicht-europäischen Spielern, beispielsweise im Bezug auf Zugang zu Daten und Recheninfrastruktur; 5. Umsetzung des EU AI Act auf eine Art und Weise, die Innovation fördert und stärkt und keinesfalls verhindert. Ein entscheidender Faktor ist hierbei eine Budgetbereitstellung für qualifiziertes Fachpersonal in allen umsetzenden Behörden.
5. Zeitnahe Priorisierung, Bündelung und Unterstützung durch Experten sicherstellen
Als zielführende Maßnahme zur Umsetzung dieser Empfehlungen und zum Reagieren auf zukünftige Entwicklungen regen wir die zeitnahe Priorisierung und Bündelung bspw. in einem Bundesministerium für Digitalisierung und KI mit eigenem Budget an. So können Kompetenzen, Verantwortlichkeiten und die Digitalbudgets gebündelt und Synergien geschaffen werden und eine zentrale strategische Ausrichtung sichergestellt werden. Weiterhin sollte dieses Ministerium durch einen ständigen, hochrangigen KI-Expertenrat mit starker, klar ausgewiesener technischer Kompetenz im Bereich KI-Grundlagen und -Anwendungen unterstützt werden. Ein europäisches wissenschaftlich-industrielles KI-Kompetenzzentrum könnte maßgeblich von einem solchen Ministerium profitieren.
Die folgenden Führungspersönlichkeiten aus der deutschen KI- und KI-nahen Industrie haben, im Rahmen des KI-Industrie-Gipfels am 07. und 08. Oktober in Aachen, initiiert und organisiert von Alexander-von-Humboldt-Professor Holger Hoos (RWTH Aachen) und Professor Kristian Kersting (TU Darmstadt und Hessian.AI), diese Empfehlungen erarbeitet und unterstützt:
Jonas Andrulis, CEO, Aleph Alpha
Stephan Behle, Director Saint-Gobain Research Germany
Michael Drass, Chief Expert AI, Deutsche Bahn AG
Alexander Engels, CEO, aiXbrain GmbH
Jörg Herbers, CEO, INFORM GmbH
Jan Moritz Joseph, CEO, Roofline AI GmbH
Nico Kelling, Head of CoE AI, Infineon Technologies AG
Elma Kerz, CEO, Exaia Technologies GmbH
Lena Kurzmann, CEO, Dialego AG
Bastian Nominacher, Co-CEO, Celonis SE
Hergen Schultze, Head of Data Analytics, BASF SE
Volker Steinbiss, Geschäftsführer, AppTek GmbH
Björn Viebrock, Geschäftsführer, PwC WpG GmbH
Franziska Weindauer, CEO TÜV AI.LAb
Rückblick 2023:
Bereits im vergangenen Jahr waren 19 der herausragendsten KI-Forscherinnen und -Forscher Deutschlands in Aachen zusammengekommen und haben sieben Empfehlungen zur KI-Forschung an die Bundesregierung formuliert. Die Schirmherrschaft für diesen Aachener KI-Forschungsgipfel lag bei der Alexander-von-Humboldt-Stiftung. Weitere Informationen finden Sie hier.