Ausstellungsprogramm Kunstsammlung NRW 2022

Georges Braque, Landschaft bei La Ciotat, 1907, Öl auf Leinwand 38 × 46,2 × 2,4 cm, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf. © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Von Georges Braque, Lynette Yiadom-Boakye, Lygia Pape über Piet Mondrian, Marcel Odenbach, bis zu Gerhard Richter

Düsseldorf. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen würdigt Georges Braque als „bahnbrechenden Künstler der französischen Avantgarde.“ Die Ausstellung, die bis zum 23. Januar gezeigt wird, konzentriert sich auf die wichtigsten Jahre seines Schaffens, auf das besonders spannende und ereignisreiche Frühwerk zwischen 1906 und 1914.

Landschaften und Stillleben 

Vor dem Ersten Weltkrieg prägt der junge Georges Braque (1882 – 1963) mit seinem Freund Pablo Picasso acht Jahre lang die vielleicht revolutionärste Etappe in der Geschichte der modernen Malerei: den Kubismus. Landschaften und Stillleben sind seine Motive. Die Düsseldorfer Schau macht deutlich, wie Braque in rasanter Abfolge die stilistischen Mittel weiterentwickelt oder neu erfindet. Fauvismus, Vorkubismus, Analytischer Kubismus, „Papiers Collés“ und Synthetischer Kubismus folgen in einzigartiger Verdichtung aufeinander. Tempo und Intensität der Stilwechsel verblüffen bis heute. Am Werk Braques zeigt die Ausstellung „den beispielhaften Weg der modernen Kunst von der gegenständlichen zur abstrahierten Wirklichkeitswiedergabe.“ Rund 60 Meisterwerke aus internationalen Museen, Privatsammlungen und den Beständen der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen wurden zusammengetragen. Filme und dokumentarische Materialien wurden in die Ausstellung mit einbezogen.

Erschafft fiktive Figuren

Weiter geht es im Ausstellungsjahr 2022 mit der Malerin Lynette Yiadom-Boakye. Sie wird bis zum 13. Februar unter dem Titel „Lynette Yiadom-Boakye. Fliegen im Verbund mit der Nacht“ gezeigt. Die Künstlerin (*London 1977) erschafft fiktive Figuren, die sich in rätselhaften, meist unbestimmt bleibenden Räumen bewegen. Die Zeit scheint stillgelegt: Menschen ruhen, gehen, schauen, tanzen, sprechen, lachen und unterhalten sich, so wie es Menschen tun, und immer getan haben. Ihre figurativen Gemälde und Zeichnungen speisen sich aus verschiedenen Quellen: aus dem Studium des Lebens, aus Fotografien und aus Sammlungen gefundener Bilder. Bei ihrer Arbeit in Öl auf Leinwand oder grobem Leinen konzentriert sie sich vor allem auf die Entwicklung einer Sprache der Malerei, auf Zeichnung, Farbe, Maßstab und Komposition. Daneben schreibt Yiadom-Boakye Prosa und Gedichte. Schreiben und Malen sind für sie unterschiedliche Formen der Kreativität, voneinander getrennt und doch verflochten, jede durchzogen von Ideen der Fiktion, Erfindung, Rhythmus und von unendlichen Möglichkeiten. Beide versteht die Künstlerin als Medien der Kommunikation und des

Piet Mondrian, New York City I, 1941, Öl und Papier auf Leinwand, 120 x 115,2 x 2,7 cm © Mondrian/Holtzman Trust, c/o Beeldrecht, Amsterdam, Holland, Kunstsammlung Nordrhein Westfalen, Düsseldorf,
Foto: Walter Klein, Düsseldorf

Verstehens, die über die Zeit und Orte hinausgehen. Die im Henkel-Saal des K20 präsentierte Ausstellung vereint Gemälde aus den Jahren 2003 bis 2020.

„Open Space. Nichts als Zukunft

Ebenfalls bis zum 13. Februar läuft die Ausstellung „Open Space. Nichts als Zukunft“. Eigens für dieses Projekt  hat die Kunstsammlung NRW eine Ausstellungshalle in einen überdachten öffentlichen Raum verwandelt. „Nichts als Zukunft“ steht für das jetzige Erdzeitalter, in dem der Mensch selbst zur Naturgewalt geworden ist. In Zusammenarbeit mit lokalen und internationalen Partnerinnen und Partner wurde ein transdisziplinäres Programm entwickelt, das den „Open Space“ zu einem Verhandlungsraum für Fragen zur Gegenwart und Zukunft macht. Deutlicher als je zu vor zeigt der ungeheure Einfluss menschlichen Handelns auf den Planeten seine Auswirkungen. Die Klimakrise und ihre lebensbedrohlichen Folgen in Form von Hitze oder Überschwemmungen, die maßlose Vergeudung von Ressourcen, das Erbe des Kolonialismus und die wachsende soziale und ökonomische Ungleichheit stellen die Menschheit vor neue Herausforderungen. Die Frage lautet: Wie können wir gemeinsam eine gerechte und lebenswerte Zukunft denken und gestalten?

Unbändige Experimentierfreude

Die Kunstsammlung NRW widmet der brasilianischen Modernistin Lygia Pape (1927 – 2004) (vom 19. März bis 17. Juli 2022) die erste Einzelausstellung in Deutschland. Unter dem Titel „The Skin of All“ wird das vielseitige, grenzüberschreitende Werk der Künstlerin vorgestellt, „das sie auf der Basis von ihrer unbändigen Experimentierfreude“ über fünf Jahrzehnte fortwährend weiterentwickelte. Es umfasst neben abstrakt-geometrischen Gemälden, Zeichnungen, Reliefs, unikale Holzschnitte, zwei Ballettkompositionen, Skulpturen, Gedichte genauso wie experimentelle Filme, immersive Rauminstallationen oder kollektive Performances und Erkundungen des öffentlichen Raums.

„Das Deutschlandgerät“

Reinhard Muchas gilt mit seiner Neubestimmung von Skulptur, Fotografie und Installation als eine der bedeutendsten Positionen der Gegenwartskunst. Mit der vom 3. September bis zum 22. Januar 2023 geplanten Ausstellung des 1950 in Düsseldorf geborenen Künstlers vereint die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen an ihren beiden Standorten, K20 und K21, lange nicht gesehene Installationen mit Werken aus allen Schaffensphasen und entwirft so ein Panorama, das sich auf über 40 Jahre künstlerischer Arbeit erstreckt. Neben der seit 2002 in K21 rekonstruierten Installation „Das Deutschlandgerät“, (2002) 1990, die ursprünglich für den deutschen Pavillon auf der Biennale di Venezia von 1990 entstand, wird das frühe Hauptwerk „Wartesaal“, (1997), (1986) 1979 – 1982, zu sehen sein, das seit der documenta X, 1997 nicht mehr öffentlich gezeigt wurde.

Selbstporträt: Marcel Odenbach, 2017, Collage, Fotokopien, Bleistift, Tinte auf Papier, 151 × 260 cm, Sammlung Claudia & Bernard Huppert © VG Bild-Kunst, Bonn 2021 Foto: Andreas Endermann

Balance aller Bildelemente

Vom 29. Oktober bis zum 12. Februar schließt sich die Ausstellung „Evolution“ von Piet Mondrian an. Viele kennen den Maler Piet Mondrian (1872 – 1944) als Schöpfer von strengen geometrischen Kompositionen in Schwarzweiß mit ausgewählten Feldern in Rot, Blau oder Gelb. Dass der Niederländer in seinen ersten Jahrzehnten Landschaften und andere gegenständliche Motive wählte und diese oft mit überraschender Farbigkeit inszenierte, ist kaum bekannt. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zeigt Mondrians künstlerischen Weg vom frühen Schaffen bis zu den vollständig abstrakten Arbeiten und spürt den Zusammenhängen zwischen den unterschiedlichen Bildgruppen nach. Von Beginn seiner künstlerischen Laufbahn an war Mondrian auf der Suche nach der idealen Komposition. Sie bestand seiner Auffassung nach in der vollkommenen Balance aller Bildelemente. Motive wie die Windmühle, der Leuchtturm, die Dünen am Meer und das Wasser, in dem sich Bauernhöfe und Baumreihen spiegeln, fand der Künstler in seiner Heimat. Die Auswahl der Werke gibt Einblick in seine Arbeit im Atelier und das autonome Spiel mit Farben und Formen, dass er mit Hilfe kubistischer Stilelemente erprobte, bevor er sich zu Beginn der 1920er Jahre der vollständigen Abstraktion zuwandte.

45 Jahre Zeitgenossenschaft

Noch bis zum 6. Februar 2022 läuft die Ausstellung „So oder so“ von Marcel Odenbach. Künstler (* 1953) .Der in Köln, Berlin und zeitweise in Biriwa, Ghana, lebende Odenbach arbeitet seit 1976 mit Video. Seine filmischen Collagen, Installationen und Performances haben dazu beigetragen, dass Videokunst heute zentrales Medium der internationalen Gegenwartskunst ist. Parallel dazu ist in über vier Jahrzehnten ein umfangreiches Konvolut an Papierarbeiten entstanden, das von Zeichnungen über Konzeptpläne hin zu großen bildmächtigen Collagen reicht. Die Ausstellung im K21 gibt mit einer Auswahl von etwa 60 Arbeiten einen repräsentativen Überblick über das facettenreiche Werk von Marcel Odenbach, das auf 45 Jahre Zeitgenossenschaft zurückblickt.

„Birkenau“-Zyklus

„Gerhard Richter. Birkenau-Zyklus“: Bis zum 24. April 2022 zeigt das

K 21 Zeichnungen, übermalte Fotos. In seinem sechs Jahrzehnte umfassenden Schaffen hat sich Gerhard Richter (*1932) mehrmals mit dem Thema Holocaust und der Darstellbarkeit der Verbrechen des Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Erst in seinem „Birkenau“-Zyklus, der 2014 entstanden ist, fand der Künstler einen Umgang mit und eine Form für das Thema. Dem Werk liegen vier Fotografien zugrunde, die von Häftlingen des KZ Auschwitz-Birkenau heimlich und unter Lebensgefahr aufgenommen wurden. Im ersten Schritt hat Gerhard Richter die Fotos in vergrößertem Maßstab auf Leinwände übertragen. Als das Ergebnis nicht seinen Erwartungen entsprach, begann er sie zu übermalen, bis schließlich die Figuration verschwand. Gezeigt werden diese vier abstrakten Bilder zusammen mit vier grauen Spiegeln, die den Gemälden gegenüber hängen und den Abzügen der vier Fotos aus dem Konzentrationslager in einer Installation, die von Spiegelungen, Referenzen und Bezügen geprägt ist. In seinem „Birkenau“-Zyklus stellt Richter grundsätzliche Fragen nach den Möglichkeiten und Grenzen der Malerei und der Repräsentation. Er schafft einen Raum für Reflexion und Erinnerung.

„Look at Me“, Fotografie aus „The Walther Collection“, vom 9. Apri zum 25. September wird ebenfalls im K21 gezeigt. „Look at Me“ stellt wegweisende fotografische Werke aus Afrika und der globalen Diaspora vor, die exemplarisch für die Konzeption und Geschichte des fotografischen Mediums im Zentrum der umfangreichen „The Walther Collection“ (Neu Ulm und NewYork) stehen. Als gemeinnützige Stiftung widmet diese sich seit Beginn der 2000er Jahre der kritischen Erforschung von Fotografie und Medienkunst in weltweiten Ausstellungen und wissenschaftlichen Publikationen. Ausgehend von dieser Ausstellung bilden die seriell angelegten Werkzyklen von Fotografinnen und Fotografen wie u.a. Yto Barrada, Samuel Fosso, David Goldblatt, Seydou Keïta, den Kern von „Look at Me“: pk

Piet Mondrian, Baum, 1912, Öl auf Leinwand, 74,9 x 111,8 cm, Utica, Munson-Williams-Proctor Arts Institute © bpk / Munson-Williams-Proctor Arts Institute / Art Resource, NY