Kunsthalle Schirn Frankfurt zeigt Videoinstallation „Double Bind“/„Threshold Barriers“ des niederländischen Künstlers Aernout Mik

„Double Bind“, 2018, Filmstill, © Aernout Mik, Courtesy der Künstler und Carlier/|Gebauer.

Frankfurt/Main. In seinen Raum- Und Videoinstallationen untersucht Aernout Mik das Verhalten und die Interaktion von Gruppen in der Gesellschaft. Als Premiere ist in der Schirn Kunsthalle Frankfurt bis zum 3. Oktober seine neue Arbeit „Threshold Barriers“ zu sehen.

Eindringliche Situationen

Die Raum- und Videoinstallationen von Aernout Mik (*1962) schaffen eindringliche Situationen, die dem Verhalten und der Interaktion von Gruppen in oft instabilen gesellschaftlichen Kontexten nachgehen. Der niederländische Künstler rührt mit seinen choreografierten Videoarbeiten an sozialpsychologische Strukturen und inszeniert Räume, die die Position des Einzelnen in widersprüchlichen oder dysfunktionalen Systemen reflektieren.
Die Schirn präsentiert Aernout Miks Videoinstallation „Double Bind“ (2018) sowie die eigens für die Ausstellung konzipierte Arbeit „Threshold Barriers“ (2022) raumgreifend im großen Saal des Museums. Beide Werke gehen den Suggestionen und Dynamiken von Sicherheit und Bedrohung, Macht und Ohnmacht im öffentlichen Raum nach und treten miteinander in Dialog. In „Double Bind“ verhandelt der Künstler die Präsenz von bewaffneten Einheiten des staatlichen Apparats. Isoliert und ohne direkten Kontakt mit den Passantinnen und Passanten bewegen sie sich im städtischen Gefüge und scheinen keine offensichtliche Funktion mehr zu erfüllen.

Fiktive Szenarien

Daran anschließend zeigt das Video „Threshold Barriers“ Menschen nach einer Auseinandersetzung, bei der Gesellschaft und Staatsmacht, Bürger und Polizei direkt aufeinander getroffen sind. Es scheint, als hätten überkommene Strukturen von Autorität und Sicherheit ihre Gültigkeit verloren. Miks fiktive Szenarien bewegen sich zwischen Dokumentation und Performance und wirken zugleich vertraut und befremdlich. Die mehrkanaligen Installationen verfolgen keinen stringenten Erzählstrang, sondern verschachteln einzelne Fragmente zu einer atmosphärischen Inszenierung.

Soziale Paradigmen

Die Videos nehmen Bezug auf Bilder und Berichte von aktuellen Ereignissen wie Antiterrormaßnahmen in europäischen Großstädten, Fehlverhalten innerhalb polizeilicher Spezialeinheiten sowie internationale Proteste oder Polizeigewalt gegen Demonstrantinnen und Demonstranten, die durch ihre mediale Verbreitung ins kollektive Bewusstsein eingegangen sind. Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt, betont: „In einer eindringlichen Präsentation befragt Aernout Mik in der Schirn die oft konflikthafte Begegnung von Gesellschaft und Staatsmacht, Bürger und Polizei. Institutionalisierte Strukturen von Autorität und Sicherheit, ihr Versagen oder ihre Gültigkeit stehen vor dem Hintergrund jüngster Ereignisse immer wieder zur Debatte“. „Aernout Miks Videos sind entlarvend. Mit im ersten Moment schnell einzuordnenden Szenarien, in denen sich irritierende Geschehnisse abspielen, bricht er auf subtile Weise Sehgewohnheiten ebenso wie Erfahrungswerte auf. Seine Arbeiten hinterfragen gesellschaftliche Systeme und deren Machtstrukturen und imaginieren neue Möglichkeiten der Zuordnung. Wir werden so ganz unmittelbar dazu aufgefordert, soziale und gesellschaftliche Paradigmen kritisch zu überdenken“, so Katharina Dohm, Kuratorin der Ausstellung.

Übung oder Ernstfall?

„Double Bind zeigt eine Gruppe von Personen einer Antiterroreinheit in Kampfanzügen. Die Bewegungen der Formation gleichen einer Choreografie, die sich abwechselnd in einem städtischen Raum und einem undefinierten, weißen Innenraum abspielt. Die Einsatzkräfte scheinen weniger als geordnete Einheit einem offensichtlichen Befehl zu folgen, sondern agieren vielmehr als lose verbundene Individuen, sodass offenbleibt, ob es sich hier um eine Übung oder einen Ernstfall handelt. Die unklare Situation, die erschöpft wirkenden Protagonistinnen und Protagonisten und ihre verlangsamten Bewegungen wirken geisterhaft und surreal, wie eine Erinnerung oder ein Echo der Realität. Unterstützt wird dieser Eindruck durch die Akustik des Videos. Es gibt keine verbale Kommunikation, zu hören sind nur Geräusche, die eine erhöhte Sensibilisierung für die Situation erzeugen: Straßenlärm, Atmen, auf dem Asphalt kratzende Helme oder Schritte.

Simultane Präsentation

Die im April 2022 gedrehte Videoarbeit „Threshold Barriers“ wird in der Schirn erstmals präsentiert. Sie schließt inhaltlich an die Arbeit „Double Bind“ an, ist aber wie die meisten Videoarbeiten von Aernout Mik tonlos. Durch die simultane Präsentation im Saal und den raumfüllenden Sound von „Double Bind“ werden beide Werke miteinander verwoben und unmittelbar zueinander in Beziehung gesetzt. „Threshold Barriers“ zeigt den Moment, kurz nachdem das Aufeinandertreffen einer Spezialeinheit der Polizei und einer Gruppe von Demonstrierenden inmitten einer riesigen Straßenbarrikade aufgelöst ist. Auch hier bleiben in den fragmentarischen und widersprüchlichen Szenen die Hintergründe der Ereignisse sowie Handlungen und Ziele der agierenden Gruppen diffus und offen. Verletzte Polizeikräfte oder blutende Demonstrierende erinnern an eine eskalierte Auseinandersetzung. An deren Ende liegt die Kontrolle eher bei den Aktivistinnen und Aktivisten, während die staatlichen Einheiten scheinbar erschöpft aufgegeben haben. pk

„Threshold Barriers“, 2022, Filmstill, © Aernout Mik, Courtesy der Künstler und Carlier/Gebauer.