„Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschichte“ – Von Heintje bis Helene Fischer – Neue Ausstellung im Haus der Geschichte

Wolf Biermanns Harmonium © Peter Köster

Den Opener liefert Heintjes „Mama“. Aus einer anderen Lautsprecherbox ertönt der Ohrwurm „99 Luftballons“ von Nena. Eine Lautsprecherbox entfernt dringt Bill Haleys, „Rock Around the Clock“ in die Gehörgänge, die dann noch einmal richtig gefordert sind bei „Satisfaction“ von den Rolling Stones. Was haben all diese Songs gemein? Sie schrieben Musikgeschichte. Das Haus der Geschichte hinterfragt mit seiner neuen Ausstellung „Hits & Hymnen. Klang der Zeitgeschichte“ (bis 10. Oktober) die Verbindung von Musik, Emotion und Politik. Das ganze beispielhaft als Hör- und Seherlebnis dargeboten von annähernd 500 Exponaten, darunter Videos, Dokumente, Zeitungsausschnitte, Porträts und Objekten.
Man ist, was man hört? Fast jeder hat einen Musiktitel, der ihn in seiner Jugend geprägt hat. Abhängig vom Geburtsjahr kann das Chuck Berrys Aufruf „Roll over Beethoven“, die Friedenshymne „99 Luftballons“ von Nena oder der Song zum Mauerfall „Wind of Chance“ von den „Scorpions“ sein. Wie bestimmte Lieder zu Hits wurden, zeigt sich auch am Beispiel von Helene Fischer, deren Song „Atemlos“ sich zu einem wahren Ohrwurm entwickelte. Diese Titel begeistern auf unterschiedliche Art. Sie bleiben lebenslang im Gedächtnis, weil sie das Emotionale berühren. Gleichzeitig spiegeln sie Zeitgeschichte wider: Oft genügen nur wenige Takte, um ein unvergessliches gesellschaftspolitisches Ereignis oder das jeweils dominante Lebensgefühl in Erinnerung zu rufen.

„Kippenboogie“

Gleich zu Beginn der Ausstellung wird der Blick auf ein ungewöhnliches Werk gelenkt. Titel: „Kippenboogie“. „Das ist der Kippen-Boogie, Kämel oder Lucki, die Länge ist egal, wir kippen noch einmal.“ So geht einer der ersten Hits der deutschen Nachkriegszeit. Vor allem Frauen sammelten Zigarettenstummel vom Boden auf. Und damit ihnen das die Laune nicht verdarb, sangen sie den Kippen-Boogie. So eine Kippensammlerin ist hier als Porträt abgebildet. Als Bild, zusammengeklebt aus unzähligen Zigarettenstummeln. Wenn man kurz die Maske lüftet, steigt einem noch der Tabakgeruch in die Nase.

Ein aus Zigarettenstummeln gefertigtes Porträt © Peter Köster

Deutscher Hip-Hop

Seit den 60er Jahren artikulierte Musik zunehmend politische Botschaften. Dabei hatten die Liedtexte eine tragende Bedeutung und waren ein wichtiges Medium für den Protest. Politrockbands wie „Ton Steine Scherben“ um Rio Reiser, damals übrigens gemanagt von der grünen Politikerin Claudia Roth, verfolgten hingegen mit ihrer Musik eine agitatorische Haltung. „Ein Lied hat Schlagkraft, wenn es viele Leute singen können“. In Deutschland etabliert sich zunehmend eine Liedermacherszene, die Protest gegen das Establishment artikuliert und es sich zur Aufgabe macht, Missstände in Töne zu fassen. Die Musik von Migrantinnen und Migranten thematisiert die gesellschaftlichen Zustände in ihrer neuen Heimat. Der deutsche Hip-Hop wird das Sprachrohr einer neuen Generation von Jugendlichen, begleitet von einer Debatte über ethische und künstlerische Grenzen. Musikfestivals wie „Rock gegen rechts“ oder, „Arsch huh, Zäng ussenander!“ Richten sich gegen Musik mit rechtsradikalen Ideologien und Inhalten.

Udo Lindenberg überreicht Gitarre an Erich Honecker © Peter Köster

„Playlist“ zur deutschen Geschichte

Wie könnte eigentlich eine „Playlist“ zur deutschen Geschichte ausschauen und vor allem welche Hits gehören da rein? Vielleicht „99 Luftballons“, „Wind of Change“ oder weniger Bekanntes, wie die „Eingeborenen von Trizonesien“? Lieder wie diese erinnern uns an historische Ereignisse oder ein bestimmtes Lebensgefühl. Wir denken an Studentenrevolte und Kalten Krieg, Mauerfall und Fußballweltmeisterschaft. Diese Songs eroberten die Hitlisten und ein breites Publikum – sie haben sich als Spiegel ihrer Zeit in unser Gedächtnis eingeprägt und sind Teil unseres „Soundtracks“ der Zeitgeschichte geworden. Viele Interpreten schrieben oder spiegelten mit ihrem Instrument Geschichte – etwa die weiße Gitarre von Grand-Prix-Gewinnerin Nicole, oder die Original-Notizen zur Wiedervereinigungshymne „Wind of Change“, Wolf Biermanns Harmonium vom Kölner Ausbürgerungskonzert 1976, Udo Lindenbergs „Gitarren-statt-Knarren-Geschenk“ an Erich Honecker 1987. Solche Objekte und Musikstücke versuchen auf die Frage, wie Zeitgeschichte denn nun klingt, Antworten zu liefern.
Deutsche Musikgeschichte wurde aber nicht nur im Westen geschrieben, sondern auch im Osten, nur hier sehr restriktiv. Das SED-Regime schwankt zwischen Zugeständnissen an den Musikgeschmack der Jugendlichen und gleichermaßen mit Repressionen vor allem gegen Liedermacher wie Wolf Biermann, der 1976 ausgebürgert wird. Dennoch erreichen Künstler aus der Bundesrepublik wie Udo Lindenberg trotz erheblicher Beschränkungen ihr Publikum in der DDR. Mit Konzerten angloamerikanischer Künstler wie Bruce Springsteen oder Bob Dylan versucht die SED Ende der 1980er Jahre Offenheit zu signalisieren. Sie unterschätzt jedoch die musikalische Botschaft zu Freiheit und Selbstbestimmung.

Originaltext von „Wind of Change“ Foto © Peter Köster

Musik macht Staat

Wenig präsent im Alltag der Bundesbürger ist die Nationalhymne. Ihr größtes Publikum findet sie im Fußballstadion. Der schwierige Umgang mit der Hymne wirft bereits ein Schlaglicht auf die junge Bundesrepublik und die DDR: Während die SED-Führung „Auferstanden aus Ruinen“ als Staatshymne festlegt, setzt sich im öffentlich ausgetragenen „Hymnenstreit“ in der Bundesrepublik letztlich Bundeskanzler Konrad Adenauer mit der dritten Strophe des Deutschlandliedes durch.
Musik überwindet Grenzen

Die Ausstellung nimmt im erweiterten Beethoven-Jubiläumsjahr an ausgewählten Stellen auch Bezug zum Werk des Komponisten, dessen Stücke in der Popkultur immer wieder neu rezipiert werden. Dass Beethoven viele seiner Werke schrieb, als er schon längst schwer hörgeschädigt war, ist für das Haus der Geschichte ein Anlass, Musik in dieser Ausstellung mit allen Sinnen erfahrbar zu machen. An Multimedia-Stationen können die Besucher Musik nicht nur hören, sondern – über Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetscher – auch sehen. Peter Köster