Verschmäht, Verboten, Verehrt | Die Anfänge des Lippenstiftes

Berliner Lippenstiftmuseum | Quelle: René Koch

Niemand konnte ahnen, dass der in Seidenpapier eingewickelte rote Winzling, vorgestellt im Mai 1883 auf der Weltausstellung in Amsterdam, sich zum meistverkauften Beautyprodukt der Welt entwickeln würde: „Der Lippenstift!“ Zwei französische Parfümeure hatten die Idee, aus der bis dahin roten Tiegel-Pomade, vermischt mit Rizinusöl, Bienenwachs und Hirschtalg, einen Stift zu formen.

Die damals berühmte Schauspielerin Sarah Bernhardt soll so begeistert gewesen sein, dass sie ihm den erotischen Beinamen „Stylo d‘ Amour“ verpasste. Die Bürgerwelt war schockiert und der Lippenstift erstmal ein Flop.

Für Clarins 1
René Koch in seinem Berliner Lippenstiftmuseum | Quelle: René Koch

Vom Bienenstichmund zum Schmollmund

Erst durch den Siegeszug des Kintopps, gewann der weiterentwickelte Lippenstift, jetzt mit Schiebe-Mechanik, an Popularität. Viele Kinogängerinnen wollten genauso aussehen wie ihre bewunderten Idole auf der Leinwand des Stumm- und späteren Tonfilms. Damals total in, die Filmdiva Pola Negri mit weißgepudertem Teint und mit Läuseblut eingefärbtem dunkelrotem „Bienenstichmund“, klein und kurvig; auf keinen Fall breiter als die Nase. Deutlich zu sehen bei der berühmt/berüchtigten Tänzerin Anita Berber, 1925 gemalt von Otto Dix.

Größer und üppiger geschminkt wird die Lippenform in den 40er Jahren. Vorbilder dafür waren die berühmten amerikanischen „Pin-ups“. In Nazi-Deutschland jedoch nicht, da hier die Devise herrschte: Eine deutsche Frau schminkt sich nicht! Lippenstifte gab es allerdings auf dem Schwarzmarkt.

Sofort nach dem Krieg malten sich die „Frolleins“ die Lippen wieder rot. Lippenstifte und passende Nagellacke lassen die Kassen klingeln. Hildegard Knef propagiert den Volkslippenstift „VL“ für 1,50 Mark. Passend dazu der Konturenstift, sagt René Koch. Zum Anheben der Mundwinkel, um zu signalisieren, es geht wieder aufwärts.

Wirtschaftsfaktor Lippenstift

Elegante Drehhülsen mit Edelsteinen besetzt oder Quasten verziert, erobern den Markt. Das Wirtschaftswunder tut sein Übriges. Doch die Jugend rebelliert gegen den Luxuskonsum und greift in den 70er Jahren zu preiswerten, bunten Lippenstifthülsen, aus Plastik neu entwickelt, und läutet die Hippiezeit ein.

In den 80ern flimmern die TV-Serien „Denver“ und „Dallas“ in unsere Wohnzimmer, wo Stars wie Joan Collins und Linda Gray den neuen opulenten Lip-Style präsentieren. Protzig und üppig wird der Mund in Szene gesetzt. Teure Lippenstiftexponate mit passenden Puderdosen sind der Renner bis der „Nude-Look“ in den 90er Jahren Mode wird. Natürliches Lippen-Make-up in schlichten, meist schwarzen Hülsen sind angesagt: „Weniger ist mehr“.

René Koch Und Katy Karrenbauer
René Koch schminkt Schauspielerin Katy Karrenbauer für einen großen Auftritt | Quelle: René Koch

Schlauchbootlippen tauchen auf

Nach dem Millennium ist die Devise „Mehr ist Mehr“. Dank Botox, Hyaluronsäure, Eigenfett & Co. lässt sich das Lippenvolumen bis hin zum Entenschnabel aufspritzen. Allerdings ist dieser XXL-Lippen-Look schon wieder auf dem Rückzug. „frau“ sollte somit gut überlegen, ob sie solch eine Lippe riskieren möchte. Wenn ja, ist eine gute Beratung bei einem Schönheits-Doc. unumgänglich. Kleine optische Lippenvergrößerungen lassen sich mit einem Lippenkonturenstift zeichnen und testen, rät der Visagist.

Der Lippenstift feiert sein großes Comeback

Durch Corona und die damit verbundene Pandemie verschwand der Lippenstift kurzfristig hinter der Maske. Jetzt ist er wieder da. Die Verkaufszahlen schnellen hoch und „frau“ kann ihre geschminkten Lippen zeigen. Dabei haben Sozialwissenschaftler festgestellt, dass rot geschminkte Münder 7 Sekunden länger angesehen werden als Lippen-Nackedeis. Ja, rote Lippen bringen Aufmerksamkeit. Neuerdings auch mit umweltfreundlichen Lippenstiften zum Nachfüllen, Bio, Vegan und ohne Tierversuche. Einige Kosmetikhersteller haben sich darauf eingestellt und bieten sogar Papp-Hülsen an, die in der Papiertonne entsorgt werden können. Klimaschutz und Lippenstift- geht doch! Also, ganz en vogue, erklärt der Schönheitsexperte René Koch und ergänzt, Event-Führungen durch das Lippenstiftmuseum sind möglich: Jeden Samstag von 15:00 Uhr bis ca. 17:00. Anmeldung erforderlich. Sein Credo: Jede Frau sollte Lippenstift tragen, denn roter Mund macht schmale Taille, lenkt von überschüssigen Pfündchen ab.

Mehr dazu im Lippenstiftmuseum Berlin (030 854 28 29) und im Internet:

Lippenstiftmuseum

René Koch Berlin

Von dem Popduo „Schwarzblond“ gibt es dazu
den Song „Mein Lippenstift, ein süßes Gift“.

Viel Spaß beim Reinhören.

Buch zum Thema: „Ne‘ Lippe riskieren‘ von René Koch im Buchverlag für die Frau.