Textil als künstlerisches Medium

Im Eupener ikob – Museum für Zeitgenössische Kunst  zeigt die in Berlin lebende Künstlerin Isa Melsheimer Werke unter dem Begriff „Synapsen“.

Für die letzte Ausstellung in der Themenreihe Fata Morgana präsentiert „Synapsen“ eine originelle Reihe von Werken  – Vorhänge und Tücher  – der deutschen Künstlerin Isa Melsheimer.  Gekleidet mit einer Vielzahl von Grenzen, Begrenzungen und Schwellen, die wie unzählige bewegliche Trennwände den Raum füllen, wird das ikob somit von vielen Stimuli durchzogen.  Gleich Zellhäuten, auf denen das nahe wie ferne, räumlich wie installative Bild haftet,  spielen die Vorhänge von Isa Melsheimer mit der Durchsichtigkeit und Opazität, öffnen und schließen Räume und enthüllen jenes, was uns die Oberfläche über die Tiefe verrät.  Dabei sind die auf Stoff genähten, gestickten, geflickten oder aufgebügelten Bilder weit mehr als bloße Ornamente, entstammen sie doch der ständigen Flut an Bildern aus den Medien,  die oft von einer gewissen Gewalt gefärbt sind,  oder sind architektonischen Topografien entlehnt. 


„Raum“, 2003, Detail. Stoff, Stickgarn, Nähgarn, Stoffbahn, 300 x 150 cm (7 Stück). © ikob

Die Nähe der Bilder erzählt von unserem alltäglichen, prekären Umfeld und von dessen Anachronismus, während das Ferne der Bilder uns die Dringlichkeit der Katastrophen und Schluchten aufweist,  die sich auf der Erdoberfläche auftun:  Dolinen (sogenannte sinkholes) wie beim Einsturz einer Straße,  perlenumsäumte Löcher,  Bootsflüchtlinge,  die auf einem Meer aus Stoff dahintreiben,  ein von Autobahnzubringern umringtes Geisterhaus,  das sich in die Ecke einer Matratze zurückgezogen hat … Die Bilder,  die wie auf Spinnennetzen auf Vorhängen und Tüchern angebracht sind,  zeugen tatsächlich von einer vorübergehenden Qualität und einer beunruhigenden Aktualität,  sind zugleich vertraut und fremd.  Schatten und Spuren sind im „gestickten“  Werk von Isa Melsheimer allgegenwärtig.  Überhaupt ist jeder Vorhang eine Welt für sich,  ein Mikrokosmos,  wenn nicht ein Universum,  das von Wesen bevölkert wird,  die in Transparenz,   Lichtspielen,  in Stoffeffekten und  –falten wohnen.  Und diese Welt,  diese synaptische Kontaktzone per se,  lässt sich nicht so leicht erschließen.  Denn wortwörtlich im Raum gespannt und überzogen von einer Vielzahl von Signalen,  die zu beiden Seiten ihrer Oberfläche hin Informationen abgeben,  ist diese Welt in ständiger Bewegung und wird somit zu einem offenen und unbeständigen Raum.

Die Vorhänge von Isa Melsheimer sind weit mehr als bloße Schleier  –  so wie Walter Benjamin sie für den Begriff der Aura umschreibt  –  denn sie verschleiern nicht nur ein Objekt,  das jenseits liegt,  sondern sie sind zugleich der Schleier und das Objekt selbst.  Durch seine visuelle und kognitive Komplexität führt uns diese Werkreihe an das grundsätzliche Aufbrechen von Kategorien und Gattungen in der zeitgenössischen Kunst heran.  Die Werke sind weder Gemälde,  noch Skulptur, Objekt oder Raum,  sondern alles gleichzeitig.  Sie sind Gemälde,  da sie tatsächlich eine farbliche Komposition auf Leinwand bilden;  Skulpturen,  da sie dreidimensional sind;  Objekte,  da sie aus bestickten,  gefärbten,  zusammengeflickten und oftmals auf Stangen befestigten Stoffen bestehen und somit als Vorhänge zu erkennen sind.  Und letztendlich sind sie Räume,  da sie wie Trennwände agieren und deren Umrisse zeichnen.  Der Betrachter befindet sich demnach nicht vor einem Gemälde,  einer Skulptur oder einem Objekt,  sondern inmitten eines sich bewegenden Raums. Betrachtet man Textil als ein künstlerisches Medium  (mit dem Isa Melsheimer seit 2008 regelmäßig arbeitet),  das eine lange Geschichte mit der Stickerei,  der Weberei und der Mode teilt,  so wird deutlich,  dass es hier weniger um die Idee der  Einheit von populärer und angewandter Kunst mit den Schönen Künsten geht als vielmehr um die Erweiterung,  gar Explosion des künstlerischen Feldes in der zeitgenössischen Kunst.  (Dr. Maïté Vissault)

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