Skulpturenpark von Tony Cragg zeigt Jahrhundert-Künstler Joseph Beuys
Wuppertal. Was haben unser Denken, unser Fühlen und Wollen mit Plastik zu tun? Ist Kunst die einzige revolutionäre Kraft? Ist Zukunft eine Kategorie der Kunst? Sind das überhaupt die richtigen Fragen? 100 Jahre nach der Geburt von Joseph Beuys stellt das Land Nordrhein-Westfalen diese seiner Kunst, wie seinem Denken zugrunde liegenden Fragen neu: Im Rahmen des Jubiläumsprogramms „beuys 2021. 100 Jahre Joseph Beuys“ erkunden eine Vielzahl von Ausstellungen, Aktionen und Performances, Theater-, Musik- und Lehrveranstaltungen die faszinierenden wie umstrittenen Ideen eines der weltweit einflussreichsten bildenden Künstler des 20. Jahrhunderts. Rund 20 Institutionen in zwölf Städten laden dazu ein, mit Beuys ins Gespräch zu treten und seine Bedeutung für die internationale Kunst wie für die Gesellschaft zu ergründen. Vor allem regen sie dazu an, mit, neben, gegen den mythenumwobenen Mann mit Hut zu überlegen, wie Demokratie und Freiheit zu verstehen sind, wie das Verhältnis von Politik und Kunst heute aussehen kann und was aktuell zu tun ist.
Waldfrieden als Auftakt für die Beuys-Festspiele
Den Auftakt für die Beuys-Festspiele macht der Skulpturenpark von Tony Cragg (Waldfrieden) in Wuppertal. Die von Cragg und Dr. Corinna Thierolf kuratierte Ausstellung „Perpetual Motion“ (Ewige Bewegung), die bis zum 20. Juni gezeigt wird, präsentiert in zwei großen Pavillons eine Auswahl von 20 Werken des Jubilars. Der Hausherr ist mächtig stolz auf seine Ausstellung, die „einzigartige Exponate“ beinhaltet, wie Tony Cragg sagt. Das beginnt mit dem Hauptwerk, der berühmten Beuys-Wanne. „Also so eine schöne Riesenarbeit wie die Wanne hier, aber auch die Iphigenie, die Innsbruck-Tafeln, das sind irrsinnige Gaben, die wir hier präsentieren können. Wir sind froh, dass wir die überhaupt bekommen haben. Diese Ausstellung ist ein feines Zusammenkommen von sehr interessanten, bedeutungsvollen, sehr relevanten Arbeiten von Beuys. Und alles ist wichtig“. Fast alle Hauptthemen von Beuys haben wir zu einem guten Anteil abgedeckt, ein überaus zufriedener Tony Cragg.
Was interessiert ihn persönlich an Beuys? „Also ich bin Bildhauer. Was mich an Beuys interessiert sind die Bildhauereien. Wenn ich einfach so dastehe und die Sachen sehe, habe ich eine emotionelle Reaktion. Eine sehr starke emotionelle Reaktion. Das sind Poesien, nicht einfach nur lose Worte, die man so dahin sagt“. Tony Cragg selbst war Beuys erstmals 1972 in der „Whitechapel Gallery“ in London begegnet. Der damals 23-jährige Cragg war von Beuys charismatischem Vortrag seinem enzyklopädischen Wissen, seiner brillanten Assoziationsfähigkeit und dem gesellschaftlichen Anspruch seines Kunstbegriffs tief beeindruckt. „Beuys stand dort vor einer großen schwarzen Tafel und schrieb unermüdlich Ideen und Theorien darauf, “ erinnert sich Cragg. Immer wieder kreuzten sie die Wege von Tony Cragg und Joseph Beuys in den folgenden Jahren. Zuletzt an der Kunstakademie Düsseldorf, wo beide Künstler lehrten und Cragg später dort als Rektor fungierte.
Kultur Impulsgeber für kreativen Wandel
Joseph Beuys hat mit der 1968 formulierten Devise „Jeder Mensch ist ein Künstler“ die Grenzen der Kunst neu definiert. Nicht die Auseinandersetzung mit den starren Formen von Malerei und Skulptur war sein Ziel, nicht das sich Einfinden in die vordefinierten Strukturen von Akademien und Museen. Es ging ihm vielmehr darum, alle kreativen Kräfte auf das Leben und seine Wandelbarkeit zu lenken. In dieser Beweglichkeit erkannte er die Chance für eine kontinuierliche Veränderung von Bewusstsein und die weitere Herausbildung von Freiheit und Kreativität. „Künstlerische Arbeiten hat Beuys als Werkzeuge gesehen“, sagt Corinna Thierolf. „Mit ihrer Hilfe wollte er Ideen in Gang setzen, die über die Betrachter in die ganze Gesellschaft hineinwirken und alle Mitglieder zur verantwortungsvollen Teilnahme an diesem kreativen Prozess einlädt.“ Ausstellungen wünschte er sich als „Werkstatt“ für den produktiven Umbau von zunächst ungerichteten Energien, Museen nicht als Ruhmeshallen, sondern als „permanente Konferenz“, an der jeder zur kritischen Teilhabe aufgefordert ist. Dem Künstler – und damit jedem Menschen – spricht er die Fähigkeit zu, schöpferisch über bestehende Verhältnisse hinauszuwachsen, sich mit seiner archaischen Vergangenheit ebenso zu verbinden wie mit einer visionären Zukunft. In der Kultur sieht er den Impulsgeber für diesen kreativen Wandel. Die dort formulierten Kräfte können schließlich, so Beuys, Wirtschaft und Rechtswesen dynamisieren und die Verbesserung der eigenen wie auch der gesamten Existenz herbeiführen.
„Jeder Griff muss sitzen“
Für die Wuppertaler Ausstellung wurden über 20 Exponate der Jahre 1949 bis 1985 aus den Privatsammlungen der Galeristen Thaddaeus Ropac, Bernd und Verena Klüser und der Sammlung Viehof, ehemals Sammlung Speck, sowie der Journalistin Linde Rohr-Bongard ausgewählt, die alle durch ihre jeweils eigene profunde Geschichte mit Joseph Beuys und seinem Schaffen verbunden sind. Zugleich stehen sie Tony Cragg nahe. Rohr-Bongard hatte übrigens bereits vor zwei Jahren Cragg zu dieser Beuys-Ausstellung angeregt, wie sie gegenüber KABINETT betonte. Die von Tony Cragg ausgewählten Exponate von Wegbegleitern von Joseph Beuys vernetzen sich untereinander dialogisch und sind im Beuys’schen Sinne eine Batterie zur Speicherung von Energie, ein Reservoir an Potential und Ideen. „Joseph Beuys. Perpetual Motion“ ist Anlass zur Neubetrachtung und Diskussion des Werks von Joseph Beuys, der sich als Künstler und politischer Aktivist, als hypersensibler Mensch und scharf-rationaler Denker für die Verwirklichung einer Utopie eingesetzt hat“, sagt Corinna Thierolf. Die Schau wird begleitet von einer Vortragsreihe, die Schlaglichter auf die umfassende Theorie des Künstlers wirft, der für jeden Moment des künstlerischen Wirkens gefordert hat: „Jeder Griff muss sitzen“. Peter Köster

Foto: Peter Köster


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