Aufrecht bis zum Schafott. Willi Graf und die “Weiße Rose”

Der damalige Bundespräsidenten Johannes Rau (1931-2006) hielt am Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus am 26. Januar 2001 vor dem deutschen Bundestag fest: “Gewiss: es hat damals sehr viel weniger Widerstand und Hilfe für Verfolgte gegeben, als wir uns das im Nachhinein wünschen. Es hat aber mehr gegeben, als wir lange gewusst haben.” Viele von denen, die es nicht zu vergessen gilt, waren bereit, für den Widerstand mit dem Preis ihres Lebens zu bezahlen. Wie Leuchttürme ragen diejenigen heraus, die als Menschen aus der Kraft Gottes von der katholischen Kirche zur Selig- und Heiligsprechung geführt wurden. Heiliggesprochen wurde 1982 der Minoritenpater Maximilian Maria (Rajmund) Kolbe (1894-1941), er bot sein Leben im KZ Auschwitz für einen schon zum Tode bestimmten Familienvater an; im Jahr 1998 die Philosophin und Karmelitin Teresa Benedicta a Cruce, bekannt als Edith Stein (1891-1942), als geschätzte Vortragsrednerin vor allem zu Frauenfragen starb sie in den Gaskammern des KZ Auschwitz; im Jahre 2022 Karmelitenpater und Professor für Philosophie und Geschichte der Mystik Titus (Anno Sjoerd) Brandsma (1881-1942), er unterstützte den Widerstand der niederländischen Bischöfe. Als Selige wurden unter anderen aufgenommen im Jahr 1987 der französische Drucker Marcel Callo (1921-1945), der Zwangsarbeiter unter seinen Arbeitskollegen missionierte; im Jahr 1996 der Münsteraner Neupriester Karl Leisner (1915-1945), der im KZ Dachau zum Priester geweiht wurde; ebenfalls im Jahr 1996 der Berliner Dompropst Bernhard Lichtenberg (1875-1943), sein öffentliches tägliches Abendgebet in der Berliner Hedwigskathedrale, in dem er für die verfolgten Juden betete, wurde ihm zum Verhängnis; im Jahre 1996 der Innsbrucker Diözesanpriester Pfarrer Otto Neururer (1882-1940), er warnte eine Frau vor der Hochzeit mit einem überzeugten Nationalsozialisten; am gleichen Tag der österreichische Marianistenpater Jakob Gapp (1897-1943), der die Unvereinbarkeit zwischen katholischer Kirche und Nationalsozialismus betont hatte; im Jahre 1998 die österreichische Krankenschwester Maria Restituta (Helene) Kafka (1894-1943), sie war nicht bereit, die Kruzifixe aus den Krankenzimmern des Hospitals zu entfernen; im Jahre 2001 der in der katholische Arbeiterbewegung verantwortliche Familienvater und Redakteur Nikolaus Groß (1898-1945); im Jahre 2007 der österreichische Familienvater und Landwirt Franz Jägerstätter (1907-1943), der den Kriegsdienst Hitlers ablehnte; im Jahre 2010 der schlesische Kaplan Gerhard Hirschfelder (1907-1942), der mit seiner Predigt: „Wer der Jugend den Glauben an Christus aus dem Herzen reißt, ist ein Verbrecher!“ verurteilt wurde; im Jahre 2011 der Würzburger Pfarrer Georg Häfner (1900-1942), der konsequent den Hitlergruß auch in der Öffentlichkeit verweigerte; im gleichen Jahr der sorbische Kaplan Aloys Andritzki (1914-1943), der an der Katholischen Hofkirche zu Dresden sich gegen die Ideologie des Nationalsozialismus stemmte; im gleich Jahr die Martyrer des Lübecker Christenprozesses Vikar Hermann Lange (1912-1943), Kaplan Johannes Prassek (1911-1943) und Adjunkt Eduard Müller (1911-1943), die zusammen mit ihren evangelischen Pastor Karl-Friedrich Stellbrink (1894-1943) im Hamburger Gefängnis unter dem Schafott starben; im gleichen Jahr der österreichische Provikar Dr. Carl Lampert (1894-1944), der im Zuchthaus Halle ermordet wurde; im Jahre 2016 der Mariannhiller Missionar Pater Engelmar (Hubert) Unzeitig (1911-1945), der bereit war, im KZ Dachau sich der Typhuskranken anzunehmen; im Jahre 2017 der den Wehrdienst verweigernde Südtiroler Josef Mayr-Nusser (1910-1945), der in Erlangen elendig verhungerte; im Jahre 2019 Pallottinerpater Richard Henkes (1900-1945), der gegen die Ideologie des Nationalsozialismus auftrat und predigte; im Jahre 2022 die Elisabethschwester Maria Paschalis (Magdalena) Jahn (1916-1945) und ihre neun Gefährtinnen, die sich ihrer Vergewaltigung durch marodierende russische Soldaten widersetzten und ihren Widerstand mit dem Leben bezahlten.

Angesichts der lange Reihe der Zeugen/innen erhob sich die Frage, ob nicht auch ein Mitglied aus der jungen Widerstandsgruppe der „Weißen Rose“ auf den Weg zur Seligsprechung geführt werden sollte. Der Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955), im Exil in Kalifornien lebend, ehrte sie 1943: „Brave, herrliche junge Leute! Ihr seid nicht umsonst gestorben, sollt nicht vergessen sein“. Die Russisch -Orthodoxe Auslandskirche mit Sitz in München hatte 2012 bereits das orthodoxe Mitglied der Gruppe, Alexander Schmorell (1917-1943), in einem Festakt als Neumärtyrer verherrlicht und zum Heiligen erklärt. Das Erzbistum München und Freising leitete in der Folge dankenswerterweise die ersten Schritte zur Eröffnung des Seligsprechungsverfahrens für Willi Graf (1918-1943) ein. Neben der Ernennung des Postulators vereidigte der Erzbischof Reinhard Kardinal Marx am 2. Mai 2022 die drei historischen und die drei theologischen Gutachter.

Der vorliegenden Biografie erfreut sich daher hoher Aktualität zur rechten Zeit. Thomas Alber eröffnet sie einer breiten Öffentlichkeit. Was diese Biografie anstrebt, ist die Freilegung von bislang verhüllten Spuren, die Willi Graf auf seinem Lebensweg leiteten, auch wenn Lücken bleiben. Die Arbeit des Autors verleiht der Lebensbotschaft Willi Grafs in seiner gereiften Besonnenheit eine unverkennbare Stimme. Totalitäre Bedrohungen und Einschüchterungen des Lebens, denen sich Willi Graf entgegenstellte, wiederholen sich heute in erschreckend gleicher Gestalt. Mit akribischer Sorgfalt sichtete der Autor das Material zahlreicher Archive. Er befragte Verwandte und noch lebende Zeitzeugen/innen, die ihre Erinnerungen und die vom Hörensagen aufgenommenen Erzählungen ihm bereitwillig zur Verfügung stellten. Nicht zuletzt erarbeitete sich der Autor umfangreiches Bildmaterial, dass die Umstände der verschiedenen Lebensetappen veranschaulicht. Dem vorliegenden Band ist eine weite Verbreitung und interessierte Leserschaft zu wünschen. Er möge auch gerade der jungen Generation einen glaubhaften Zeugen ihres Alters vor Augen führen. Dass in diesem Leben Willi Grafs der christliche Glaube in seinen Werten und Überzeugungen als selbstverständliches und verlässliches Lebensfundament erscheint, hat seinen eigenen Wert.

Prälat Prof. Dr. Helmut Moll
Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz
für das deutsche Martyrologium des 20. Jahrhunderts

Am kommenden Sonntag, 21. Mai 2023, sind Sie Sie herzlich zu dem Gottesdienst in Bonn-Poppelsdorf St. Sebastian um 10.45 Uhr eingeladen. Dort erwartet Sie im Anschluss ein Vortrag von Helmut Moll.

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St. Sebastian (Bonn-Poppelsdorf), Lizenz CC BY-SA 3.0