„Der Katalysator. Joseph Beuys und Demokratie heute“ Bühne frei für den Jahrhundert-Künstler im Museum Morsbroich

Transparent für die Ausstellung. Foto: Peter Köster

Leverkusen. Bühne frei für den Jahrhundert-Künstler im Museum Morsbroich in Leverkusen: Mit seiner Lebensgeschichte und Vita als Kunstprofessor, Künstler und Mensch sorgt Joseph Beuys bis heute in der Kunstwelt und nicht nur dort für Gesprächsstoff. Die Ausstellung „Der Katalysator. Joseph Beuys und Demokratie heute“, zeigt Beuys als Impulsgeber und Influencer, als politischen Wegweiser und Visionär. Und sie schlägt einen Bogen in die Gegenwart – zu 20 Künstlerinnen und Künstlern, die die Koalition aus Kunst und Politik neu ausloten. Die Präsentation wird bis zum 29. August gezeigt.

Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Politik

In den Naturwissenschaften werden mit dem Begriff Katalysator Stoffe bezeichnet, die eine chemische Reaktion verstärken und beschleunigen, ohne dabei selbst verbraucht zu werden. Bezieht man diese Aussage auf die Kunst, wird sie zu einem kulturellen Werkzeug, das gesellschaftliche Entwicklungen befeuert. Davon ausgehend beleuchtet die Ausstellung „Der Katalysator. Joseph Beuys und Demokratie heute“ zum einen die vielschichtigen Wechselbeziehungen zwischen Kunst und Politik, zum anderen zeigt sie die zahlreichen Verbindungslinien auf, die sich von Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen- und Künstler zur politisch engagierten Kunst von Joseph Beuys (1921-1986) ziehen lassen.
Die Grundidee zur Ausstellung entstand nach Angaben von Fritz Emslander, stellvertretender Direktor und Kurator der grafischen Sammlung des Museums Morsbroich, durch die beiden gezeigten Installationen „Eine Straßenaktion“ (1971) und „Halbzeit“ (1984). Diese bilden als Dauerleihgaben aus Privatbesitz neben einigen grafischen Arbeiten den Kern des Sammlungsbestandes an Werken von Joseph Beuys im Museum Morsbroich. „Ziel war es, diese Objekte neu zu würdigen und die Frage im Dialog mit zeitgenössischen Positionen neu zu bewerten: Wie kann das Verhältnis von Kunst und Politik heute aussehen?“, so Emsländer.

Joseph Beuys skizzierte im Oktober 1974 im Museum Morsbroich mit Schulkreide seine „Denklandschaft“ auf dieser Tafel und entwarf dabei das Bild einer auf den Begriffen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gründenden Landschaft. Foto: Peter Köster

Kampf für die direkte Demokratie

Politik und Kunst waren für Joseph Beuys (Meisterschüler von Ewald Mataré) keine Gegensätze. Im Gegenteil. Die Gestaltung der Gesellschaft war für ihn wie die Kunst ein schöpferischer Akt. Zeitlebens kämpfte er für direkte Demokratie, engagierte sich für Umweltschutz und ökonomische Solidarität. Legendär sein Projekt „Eine Straßenaktion“, mit dem er 1971 mitten in Köln bei den Passanten für Volksabstimmungen warb. Mit Halbzeit (1984) wurden wiederum drei Projekte dokumentiert, an denen unterschiedliche Personengruppen beteiligt waren und die zum Zeitpunkt der Zusammenstellungen des Materials angetrieben oder durchgeführt wurden. Beide Arbeiten spiegeln Beuys’ Interesse für Prozess, Kollektivität und Aktivismus sowie die Idee eines erweiterten Kunstbegriffs im Sinne der Sozialen Plastik wider. Durch die zeitgenössischen Positionen, die im zweiten Stockwerk präsentiert werden und einen gleichwertigen Gegenpol zu den beiden Beuys-Installationen bilden, wird die künstlerische Praxis von Beuys aus einer gegenwärtigen Perspektive reflektiert.

Herausgekommen ist eine von Ania Czerlitzki kuratierte Präsentation. Sie ist nicht zuletzt als Würdigung des in Krefeld geborenen und 1986 in Düsseldorf verstorbenen Ausnahmekünstlers konzipiert, der mit seiner politisch-künstlerischen Agenda zweifellos bis heute hohe Wellen schlägt. „Vor allem, da die explizite Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Fragestellungen in den letzten Jahren wieder verstärkt in den Ausstellungshäusern Einzug gehalten hat“, so die Kuratorin. Nach wie vor könne Beuys als Orientierungspunkt für Künstler angesehen werden, die sich einerseits als Teil eines progressiven Kunstdiskurses betrachteten, andererseits bewusst innerhalb gesellschaftlicher Entwicklungen verorten und in diesem Sinne den Anspruch erheben würden, „revolutionär“ zu sein.

Joseph Beuys hat als Katalysator bei vielen der 20 beteiligten Künstlerinnen und Künstlern etwas in Bewegung gesetzt, das aber nicht immer nur Positives zeitigt, wie der Beitrag „Kryptofaschistischer Verblendungszusammenhang“ von Zuzanna Czebatul zeigt: Die Künstlerin hat für ihre Arbeit den durch Beuys berühmt gewordenen Filz verwendet. Sie hat einen Abdruck ihres eigenen Körpers genommen und daraus eine Filzskulptur modelliert. Der verschnürte Körper signalisiert ihr Unbehagen mit der Kunst von Beuys.
Dennoch gilt der Mann mit dem Hut weltweit als einer der bedeutendsten Aktionskünstler des 20. Jahrhunderts. Als Verfechter aktionistischer Eingriffe und als Vordenker kollektiver Gestaltungsprozesse im demokratischen Sinne war Joseph Beuys im Wesentlichen ein politischer Künstler, dessen politisches Denken und Handeln auf spätere Künstlergenerationen auch fortan entschieden nachwirken dürfte. Peter Köster

Zuzanna Czebatul: „Kryptofaschistischer Verblendungszusammenhang“,
2021Polyethylen, Filz, Hanf, Metall, Zeichnungen auf Papier, 174 x 30 x 40 cm Foto: Peter Köster