Burn-out und Wege aus der Krise

Der Anforderungsdruck und die Bewältigungskompetenz gehen immer weiter auseinander“ – KABINETT sprach mit Dr. Manfred Nelting über sein neues Buch zum Burn-out-Syndrom und über Wege aus der Krise

Mit „großer Freude, aber auch mit gespannter Erwartung“ sah Manfred Nelting vor wenigen Wochen der Präsentation seines Buches „Burn-out: Wenn die Maske zerbricht“ auf der Frankfurter Buchmesse entgegen. Der seit Jahrzehnten mit Depressionen und Erschöpfungszuständen befasste Allgemeinmediziner, Naturheilkundler, Psychotherapeut und ärztliche Leiter der Gezeiten Haus Klinik in Bad Godesberg ist ein ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet und benennt in seinem Buch die Symptome des gefürchteten Burn-out-Syndroms wie etwa das kardiale Risiko oder die Selbsttäuschung.

Vor allem aber beschreibt er Wege zur Prophylaxe und zum Ausstieg aus der Krise von Seele, Geist und Körper, die längst nicht mehr nur Manager und aufopfernde hilflose Helfer befällt, sondern als Volkskrankheit immer mehr um sich greift.

Nelting nennt mehrere Gründe: „Die Zeit der sicheren Arbeitsplätze und gefestigten zwischenmenschlichen Beziehungen schwindet zusehends. Der Anforderungsdruck und die Bewältigungskompetenz gehen immer weiter auseinander. In den virtuellen Welten der Banken zählt nur noch das Geld. Wenn der Börsenwert eines Unternehmens durch Massenentlassungen steigt, wo bleibt da die Wertschöpfung?“

Er vermisst die Solidarität, die Anerkennung, das freundliche Wort, das gemeinsame Lachen als zwischenmenschliche Nahrung: „Wir investieren nicht mehr in etwas, das uns wertvoll ist. Wir beurteilen und messen nur noch“. Dem engagierten Arzt fehlt im zwischenmenschlichen Miteinander die Kultur der „Lebenspflege“: „Wir müssen Sprachlosigkeit überwinden“.

Doch Burn-out ist für Manfred Nelting keine Krankheit nur des Individuums, sondern einer  zunehmend unmenschlichen Gesellschaft:
„Wir haben zwar Redefreiheit, aber keine echte Freiheit in wirtschaftlichen Belangen mehr, eher eine Lobbykratie. Das macht es den Menschen vielfach unmöglich, im Lot zu bleiben. Sie empfinden sich als unzulänglich, weil Forderungen insbesondere in der Arbeitswelt immer höher geschraubt und so häufig unerfüllbar werden“.

Oft ist dieses Lebensgefühl der Auslöser einer Depression. „Man muss schon sehr festen Boden unter sich haben, um da nicht unter die Räder zu kommen“, erklärt Manfred Nelting die weniger individuell-genetisch, denn gesellschaftlich bedingte Grundlage von Burn-out und Depression.

Seine These: Burn-out wird aktuell massenhaft „produziert“ durch den weitersteigenden Anforderungsdruck im privaten und Arbeits-Alltag. Das medikamentenhörige deutsche Gesundheitssystem ist dabei zur wirksamen Hilfe nicht geeignet:
„Wo jetzt das Medikament ist, da muss der Mensch hin: In den Mittelpunkt. Die Unternehmen brauchen für ihre Produktivität gesündere Menschen. Sie sind unsere echte Ressource“.

Er ist überzeugt, dass auch die Pharmaunternehmen aus diesen gesamtwirtschaftlichen Gründen und Zwängen über kurz oder lang umdenken werden. Allerdings müssen die Bürger das auch einfordern.
Das 416 Seiten starke, in den letzten drei Jahren vor dem Hintergrund auch persönlicher Betroffenheit in der Finanzkrise entwickelte Buch von Manfred Nelting ist mehr als ein nützlicher Ratgeber. Aus der Kompetenz reicher Erfahrung in der Behandlung einiger tausend Patienten entwickelt der Arzt interessante Thesen zur Philosophie, Medizin und verwandten Gebiete. „Es ist ein Ideengeber, den jeder prüfen soll, ob er ihn vom Herzen her annehmen kann“.

Er selbst ist der Burn-down-Spirale entkommen. Geblieben ist sein Zorn auf politische Interessen, die billigend in Kauf nehmen, dass Ärzte zunehmend als Reparateure wirtschaftlicher Ungereimtheiten missbraucht werden, die dazu führen, dass Arbeitnehmer sich quasi in neuer Weise „versklaven“ lassen müssen. Entschieden plädiert er für einen humaneren Alltag. Der gesellschaftliche Anteil an den Volkskrankheiten des 21. Jahrhunderts liegt ihm am Herzen.

„Wir sind als Menschen nicht wirklich vorbereitet auf die Anforderungen der globalisierten Welt. Vielleicht sind wir auch nicht vollständig dafür geeignet“. Die Rückbesinnung auf die „Gebrauchsanleitung“ des Menschen und die Achtsamkeit für sich selbst tut not.
Ein neues Nelting-Buch zu diesem Thema wird nicht lange auf sich warten lassen.

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