Was war vor dem Urknall? Theorien und Erklärungen zum Ursprung des Universums

Professor Achim Stahl | Bild: Heike Lachmann

Rwth Logo

Über leuchtendes Plasma, Antimaterie und das dunkle Zeitalter | Professor Achim Stahl über Theorien der Erdentstehung.

In der Interviewreihe „Große Fragen“ beantworten Expertinnen und Experten der RWTH Fragen, die die Welt bewegen. Professor Achim Stahl ist Experimentalphysiker und hat sich im Laufe seiner Karriere mit unterschiedlichen Gebieten beschäftigt, von der Atomphysik über die Elementarteilchenphysik an den großen Beschleunigern des CERN bis hin zu Neutrinophysik und schließlich Gravitationswellen in der Astrophysik, immer auch mit Blick auf gesellschaftliche Anwendungen zum Beispiel in der Medizinphysik. Er hat in Tübingen studiert, in Heidelberg promoviert und in Bonn habilitiert. Seine Karriere führte ihn über Auslandsaufenthalte am CERN in Genf, Stanford/USA und Victoria/Kanada schließlich 2004 auf einen Lehrstuhl an der RWTH.

Sind wir Teil eines Multiuniversums, also nicht alleine?

Professor Achim Stahl: Die Idee gibt es. Wir wissen aber nicht, ob es verschiedene Universen wirklich gibt. Das alles hängt mit Einsteins Relativitätstheorie und der Verkrümmung des Raumes zusammen. In dieser Theorie kann man sich durchaus Wurmlöcher vorstellen, durch die man reisen könnte, parallel in einem abstrakten Raum. Dass ein Mensch nicht in einem Stück auf der anderen Seite ankommen würde, ist eine andere Sache.

Wir würden diese Reise nicht überleben…

Stahl: Die Kräfte darin sind so enorm, sie würden einen Menschen völlig zerreißen. Es wurde auch noch nie ein Wurmloch gefunden. Die Theorie lässt diese Möglichkeit zu, aber das heißt nicht, dass es sie wirklich gibt.

Die Urknalltheorie besagt, dass unser Universum mit einem lauten „Peng“ entstanden ist. Wie hat man sich das vorzustellen?

Stahl: Der Urknall lässt sich durch Beobachtungen des heutigen Universums nachweisen. Durch den Doppler-Effekt können wir die Bewegung von Sternen messen – ähnlich wie bei Autos, wo ein näherkommendes Auto einen hohen Ton erzeugt und ein wegfahrendes einen tiefen Ton. Bei Sternen wird sich näherndes Licht blauer und sich entfernendes Licht roter. Beobachtungen zeigen, dass sich fast alle weiter entfernten Objekte im Universum von uns wegbewegen, und je weiter die Objekte entfernt sind, desto schneller ist diese Bewegung. Wenn man diese Expansion zeitlich zurückrechnet, war früher alles näher beieinander. Mathematisch lässt sich der Zeitpunkt berechnen, an dem alles an einem Punkt war. Dieser Moment vor etwa 13,8 Milliarden Jahren war der Urknall.

Warum heißt es „Knall“?

Stahl: Damit ist kein akustischer Knall gemeint, es war niemand da, der das hätte hören können. Es war alles in einem Punkt und es gab eine riesige Explosion, weil auf einmal alles wegfliegt und sich voneinander entfernt. Man stellt sich vor, dass es auch geknallt haben muss, aber es war keine Luft da, in der sich eine Schallwelle hätte ausbreiten können.

Was war davor, vor dem Urknall?

Stahl: Als Wissenschaftler beginnen mit dem Urknall erst Raum und Zeit. Die Frage, was vorher war, bevor es Zeit gegeben hat, ist wissenschaftlich sinnlos.

Inwiefern?

Stahl: Das ist eher eine philosophische Frage. Welchen Sinn macht es, über einen Raum zu sprechen, der leer ist? Heutzutage sagt man, der Raum definiert sich erst durch das, was darin ist.

Wenn man aber annimmt, dass es ein davor gab und davor noch ein davor… Aber so denken Sie gar nicht, oder?

Stahl: Früher war unklar, wie schnell sich das Universum tatsächlich ausdehnt. Die Sterne ziehen sich durch Gravitation gegenseitig an, ähnlich wie die Sonne die Erde festhält, und bewegen sich in der Milchstraße um das Zentrum. Diese Gravitation bremst die Expansion des Universums ab, weshalb man annahm, die Ausdehnung könnte irgendwann zum Stillstand kommen und sich in einem Rückwärts-Urknall umkehren. Man stellte sich vor, dass dies ein periodischer Prozess sein könnte, mit immer wiederkehrenden Universen. Heute weiß man jedoch, dass die Expansion des Universums so schnell ist, dass es sich für immer weiter ausdehnen wird und diese pulsierende Theorie nicht zutrifft.

Weiß man, was unmittelbar nach dem Urknall war?

Stahl: Es gibt wenige experimentelle Hinweise. Berechnungen, wie viel leichte Elemente wie Helium, Wasserstoff, Lithium oder Beryllium erzeugt wurden. Man kann ausrechnen, wie viel man erwartet und es passt, aber das ist nicht der Urknall, sondern Minuten danach passiert.

Können wir jemals wissen, ob es vor unserem Universum ein anderes gab?

Stahl: Es ist wissenschaftlich nicht verboten zu sagen, dass es vor unserem Urknall ein anderes Universum gegeben hat. Es gibt Kollegen, die über Quanteneffekte nachdenken, dass es in der Quantentheorie keine wirklichen Punkte gegeben hat, alles habe eine gewisse Ausdehnung. Man könne durch eine Quantenfluktuation hindurch irgendetwas von dem sehen, was vielleicht doch davor noch war. Aber das ist sehr abgedreht und experimentell gibt es keinerlei Hinweise darauf. Dann geht es um Glaubensfragen.

Für Sie als Wissenschaftler macht ein „davor“ keinen Sinn. Was denken Sie als Mensch?

Stahl: Das sind Fragen, die man nicht wissenschaftlich angehen kann. Ich glaube schon, dass es irgendetwas wie einen Schöpfer gegeben hat, aber das ist eine Glaubensfrage. Das muss man sehr klar trennen und Wissenschaft nicht mit Glauben vermischen.

Das Einstein-Teleskop ist eines Ihrer aktuellen Projekte. Wie könnte es neue Erkenntnisse zum Thema Urknall liefern?

Stahl: Mit Teleskopen auf der Erde und dem James-Webb-Teleskop im Weltall beobachten wir das Universum, wobei uns weit entfernte Objekte Einblicke in die Vergangenheit liefern, wir blicken zurück in der Zeit, da ihr Licht Hunderte Millionen oder sogar Milliarden Jahre zu uns unterwegs war. Diese Beobachtungen basieren auf elektromagnetischer Strahlung in verschiedenen Formen. In der frühesten Phase des Universums existierte ein dichtes, leuchtendes Plasma, das den heute messbaren Drei-Kelvin-Hintergrund erzeugte.

Als das Universum abkühlte, wandelte sich das ursprünglich undurchdringliche Plasma in neutrales Gas um, wodurch elektromagnetische Wellen erstmals frei reisen konnten. Nach dieser Phase begann „das dunkle Zeitalter“, in dem das neutrale Gas keine elektromagnetischen Signale mehr aussandte. Durch Gravitationseffekte entstanden allmählich Verdichtungen in der Gasverteilung, die sich zu den ersten Sternen entwickelten und wieder elektromagnetisch sichtbar wurden. Das Einstein-Teleskop wird, anders als bisherige Teleskope, Gravitationswellen beobachten können. Da diese durch Massenbewegungen auch während des dunklen Zeitalters entstanden, ermöglicht es Einblicke in die frühe Phase und bringt uns in der Beobachtung näher an den Urknall heran als jemals zuvor.

Das dunkle Zeitalter“ – klingt wie eine Kunstrichtung oder ein Buchtitel…

Stahl: 300.000 Jahre nach dem Urknall ist das Plasma abgekühlt. Eine knappe Milliarde Jahre nach dem Urknall entstehen die ersten Sterne und fangen an zu leuchten. Und in der Zeit dazwischen ist im Universum nichts gewesen, was geleuchtet hätte.

Es war dunkel.

Stahl: Genau.

Ich möchte noch mal kurz auf das Einstein-Teleskop zu sprechen kommen. Wie stehen die Chancen, dass es hier in der Region gebaut wird?

Stahl: Das ist keine wissenschaftliche Frage.

Aber eine interessante…

Stahl: Ich habe in dieses Projekt Jahre investiert. Das würde ich nicht machen, wenn ich nicht Optimist wäre. Ich glaube, es sieht gut aus und dass es kommen wird. Es ist aber nicht garantiert, dass es überhaupt gebaut wird. Es könnte auch sein, dass es zu teuer ist.

Zwei Milliarden Euro Baukosten stehen im Raum…

Stahl: Es gibt noch Konkurrenzstandorte in Sardinien und Sachsen. Wir haben ein paar große Vorteile hier und ein starkes europäisches Argument. Es ist das erste Mal, dass ein Projekt dieser Dimension von mehreren Ländern gemeinsam getragen wird. Jetzt hängt es an der Bundesregierung. Die Niederländer und Belgier haben bereits hohe Summen genehmigt beziehungsweise zumindest in Aussicht gestellt. Die Entscheidung soll im Mai bekannt gegeben werden. Wir haben zur Zeit leider das kleine Problem, dass wir keine Bundesregierung haben, die das entscheiden könnte.

Ich drücke Ihnen die Daumen. Das wäre toll für die Region.

Stahl: Für die Region und auch für die RWTH, weil es ein Projekt mit vielen technologischen Facetten ist, das keineswegs nur die Astrophysik abdeckt. Viele Ingenieursbereiche, Geologie, Geophysik, Wirtschaftswissenschaften, Industrieansiedlung und Regionalplanung sind daran beteiligt, aktuell ungefähr 20 Institute der RWTH.

Gibt es andere interessante Experimente, die Sie in Ihrer Karriere betreut haben?

Stahl: Einige Forschungsergebnisse sind durchaus bedeutsam. Mein Hauptinteresse gilt der Frage nach dem Verbleib der Antimaterie. Beim Urknall hätten eigentlich gleiche Mengen Materie und Antimaterie entstehen müssen. Ich untersuche, warum die Antimaterie verschwunden ist. Warum ist dabei nicht die gesamte Materie zerstrahlt? Um den Unterschied zwischen den beiden aufzuspüren, habe ich zahlreiche Experimente durchgeführt und arbeite auch aktuell daran, in internationalen Teams mit mehreren hundert Beteiligten.

Was ist das Schönste an Ihrem Beruf?

Stahl: Die Vielseitigkeit. Vor zwei Jahren ploppte im Zusammenhang mit dem Einstein-Teleskop das Thema Windturbinen auf, also habe ich angefangen, mich in dieses Thema einzudenken. Wie funktionieren sie? Wie kann man verhindern, dass sie so wackeln? Es ist toll, dass man eine ganz neue Thematik hat, man interessante neue Dinge lernt, die auch eine gewisse Relevanz haben. Ich versuche gerade die Stadt zu überreden, dass wir eine Prototypturbine aus Holz bauen. Das wäre sehr viel besser als eine aus Stahl, denn sie wackelt sehr viel weniger.

Bei dem Thema denkt man gar nicht an Holz…

Stahl: Es ist erstaunlich, was man heute schon alles daraus machen kann. Mein Beruf ist aber nicht nur wissenschaftlich breit gefächert, es geht auch darum, Mitarbeiter zu motivieren, ein Institut führen, viele Ingenieursfragen zu klären. Auch die Lobbyarbeit ist durchaus spannend, weil man viele beeindruckende Leute kennenlernt und sich mit ihnen austauschen kann. Es ist nicht jeden Tag das Gleiche.

Finden Sie die Themen oder finden die Themen Sie? 

Stahl: Bei den Windturbinen beispielsweise tauchte das Problem in den Messungen der Vibrationen am Boden auf. Als diese etwas genauer wurden, sah man relativ deutlich, dass ein nicht unerheblicher Anteil von den Windturbinen kommt. Es wird dann zu einer politischen Diskussion. Die Politiker wären bereit, die Windturbinen abzubauen, aber das war keine Lösung für mich, weil wir die Turbinen auch brauchen. Es muss technische Möglichkeiten geben, wie man Windturbinen so modifizieren kann, dass sie nicht mehr stören. Es gibt auch Kollegen, die lieber nur bei einem Themengebiet bleiben wollen, in dem sie sich gut auskennen. Ich mag es, mich thematisch weiterzuentwickeln.

Wie reagieren die Menschen, wenn sie erzählen, dass Sie Physiker sind?

Stahl: Physiker oder Astrophysiker? Das macht einen großen Unterschied.

Wie stellen Sie sich denn in der Regel vor?

Stahl: Bei Astrophysiker sind sie alle begeistert. Da kommen sofort Sätze wie „ich habe schon einmal was von einem schwarzen Loch gehört“ oder ähnliche Dinge. Das ist immer positiv. Wenn ich mich als Physiker vorstelle, kommt immer die „Schulreaktion“: „Physik war so ein schwieriges Fach, das habe ich nie verstanden“.

Die Fragen stellte Nicola König.