Warum wir (keine) Angst vor dem Tod haben müssen

Prof. Dr. Simone Paganini, Bibelwissenschaftler | Professor Simone Paganini in seinem Büro an der RWTH Aachen. Foto: Heike Lachmann

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Große Fragen: Himmel, Hölle und Apokalypse. RWTH-Professor Simone Paganini über die Frage, was nach dem Tod kommt und Vorstellungen des Jenseits.

In der Interviewreihe „Große Fragen“ beantworten Expertinnen und Experten der RWTH Fragen, die die Welt bewegen. Professor Simone Paganini ist Bibelwissenschaftler, er wurde 1972 in Italien geboren, studierte katholische Theologie in Florenz, Rom und Innsbruck. Nach Stationen in Wien und München ist er seit 2013 Professor für Biblische Theologie an der RWTH. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Bücher und begeistert auf Science Slams ein großes Publikum.

Hatten Sie heute schon mit dem Tod zu tun?

Professor Simone Paganini: Man wird ständig damit konfrontiert, sobald man die Zeitung aufschlägt oder Nachrichten schaut. Wir erleben Kriege im Nahen Osten und der Ukraine, Umweltkatastrophen fordern Menschenleben. Man hat das Gefühl, dass über den Tod anderer Menschen berichtet werden muss, aber so neutral wie möglich, denn niemand will sich so richtig mit dem Thema auseinandersetzen. Wir sind abgestumpft und wollen nicht weiter darüber nachdenken.

Woran liegt das?

Paganini: Tod ist ein Tabuthema in unserer Gesellschaft, egal, ob es Menschen oder Tiere betrifft. Wir fragen auch nicht mehr danach, wo das Fleisch herkommt, das wir essen. Sobald jemand stirbt, wird das Thema weitgehend an Profis delegiert. Es ist sehr schwierig, darüber zu sprechen, außer man arbeitet in der Seelsorge oder einer Interventionsgruppe. 

Wie stellen Sie sich denn den Tod vor?

Paganini: Ich kann die Frage beantworten, wie sich Menschen im Laufe der Geschichte den Tod vorgestellt haben. Es sind lauter Versuche, Kulturgeschichte zu erklären. Wenn man etwas beschreiben kann, nimmt man diesem Etwas die negative Magie. Für mich bedeutet Tod grundsätzlich die Abwesenheit von irgendetwas.

Wie meinen Sie das?

Paganini: Es gibt nicht nur den physischen Tod, sondern viele verschiedene Arten, tot zu sein. Was Soziologen als sozialen Tod bezeichnen, ist manchmal sogar schlimmer als der physische Tod. Nehmen wir Menschen am Rande der Gesellschaft, die keine sozialen Kontakte haben oder keinen Zugang zu bestimmten Gütern. Für unsere Gesellschaft sind diese Menschen wie tot. Für sie aber ist es ein realer Tod, obwohl sie noch am Leben sind. Das ist schlimm.

Was verbinden Sie noch mit dem Thema?

Paganini: Dass der Tod die Abwesenheit von Leben ist, war schon die alte Weisheit des griechischen Philosophen Epikur. Schon er argumentierte so, als Trost und hoffnungsgebender Mechanismus: „Das schauerlichste Übel also, der Tod, geht uns nichts an; denn solange wir existieren, ist der Tod nicht da, und wenn der Tod da ist, existieren wir nicht mehr.“ Aber das ist auch der Beginn, Tod zu überwinden. Die ersten religiösen Erscheinungen in der Geschichte der Menschheit hängen mit dem Ahnenkult zusammen, beziehungsweise mit der Verehrung von Tieren, die man tötet, um sie zu essen. In beiden Fällen ist der Tod etwas Heilsames. Der tote Verwandte wird zum Idol, das man ehrt und das tote Tier, das man essen muss, um zu überleben, wird zur Gottheit. Es sind lauter Mechanismen, den Überlebenden den Tod zu erklären. Ansonsten würden wir verrückt werden. Dass unsere Gesellschaft das Thema an den Rand drängt und nicht darüber redet, ist im Prinzip der gleiche Abwehrmechanismus.

Haben wir denn heute einen anderen Zugang dazu?

Paganini: Leben im Angesicht des Todes war gerade in der Theologie eine Frage, die jahrhundertelang das Denken beschäftigt hat, im Mittelalter, in der Neuzeit. Es gab absolut keine Sicherheit, wie und ob man am Abend nach Hause kommt. Es gab Kriege und Krankheiten. Heutzutage kann das angeblich leichter überwunden werden, mit Technik, Medizin und mit einem viel höheren Bewusstsein über bestimmte Vorgänge, die im Leben passieren. Und deswegen macht der Tod nicht mehr wirklich so viel Angst wie früher. Er kommt heute kaum mehr unerwartet, außer bei einem Unfall. Wenn man eine Krankheit hat und der Arzt sagt, dass man noch drei Jahre zu leben hat, dann ist das schrecklich. Auf der anderen Seite weiß man aber, was kommt und kann sich darauf vorbereiten.

Ist die Frage, was nach dem Tod kommt, das größte Rätsel der Menschheit?

Paganini: Ich würde nicht von Rätsel sprechen. Ich würde sagen, viele verschiedene Kulturen, die die Menschheitsgeschichte ausmachen, haben ganz klare Vorstellungen davon. Das, was nach dem Tod kommt oder was man zu wissen glaubt, ist in vielen verschiedenen Kulturkreisen und Religionen erklärt.

Was wäre das?

Paganini: Die Frage, was danach kommt, kann ich als Wissenschaftler nicht beantworten. Die Frage, die ich Ihnen beantworten kann, lautet vielmehr: Wie haben sich Menschen im Laufe der Religions- und Kulturgeschichte vorgestellt, was nach dem Tod kommt? Es gibt Texte dazu und archäologische Funde, die wir untersuchen und zu verstehen versuchen können. Wir lesen antike Kulturtexte wie die Bibel. Für viele ist sie ein Glaubensbuch, doch ursprünglich diente sie dazu, ein bestimmtes Gottesbild zu vermitteln. Und damit hängt die Frage nach dem „Danach“ zusammen. Da gibt es klare Antworten. Ähnliches findet sich auch in Texten anderer Religionen wie Buddhismus, Hinduismus und Islam.

Welche Vorstellungen vom Jenseits finden sich denn in der Bibel?

Paganini: Da müssen wir unterscheiden, denn zumindest die christliche Bibel besteht aus zwei Teilen. Es gibt das Alte Testament, die hebräische Bibel. Und das Neue Testament, in dem Jesus vorkommt. Im Alten Testament gilt die Vorstellung, dass nach dem Tod eine Welt kommt, in der die Menschen als Schatten ihr Leben weiterführen. In der Bibel nennt man das „Scheol“, in der griechisch-römischen Tradition „Hades“.

Hat sich diese Jenseits-Vorstellung im Laufe der Zeit verändert?

Paganini: Im Laufe der religionsgeschichtlichen Entwicklung entsteht die Idee, dass ein Ort, an dem alle gleich sind, ungerecht ist. Die Griechen und Römer unterscheiden zwischen Tartaros für die Bösen und Elysium für die Guten. Diese Vorstellung entwickelte sich relativ spät auch in der Bibel, etwa im dritten Jahrhundert vor Christus. Es gibt zwei Orte: Einen für die Belohnung der Guten und einen für die Bestrafung der Bösen.

Himmel und Hölle?

Paganini: Himmel und Hölle. Es wird auch diese Begrifflichkeit verwendet. Vor allem die Hölle beginnt irgendwann eine große Rolle zu spielen, sie wird sehr konkret gedacht und hat vor allem eine Wirkung auf die Lebenden.

Inwiefern?

Paganini: Die Hölle ist der Abschreckungsmechanismus, der die Menschen dazu bewegen soll, im Leben gut und eben nicht böse zu sein. Allerdings gibt es auch von ihr wieder unterschiedliche Ideen. Zum Beispiel, dass sie kalt und dunkel ist. Oder die, aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit, dass es in der Hölle heiß ist, hell, dass es Feuer gibt und einen Teufel mit Dreizack, der die Verdammten foltert.

Taucht der Teufel zwangsläufig in der Hölle auf?

Paganini: Nein, denn der Teufel ist zunächst einmal ein „Mitarbeiter“ Gottes, zumindest in der Bibel, wo er zum ersten Mal auftaucht. Der Teufel ist eine rein jüdisch-christliche Erfindung. Er entsteht im Zusammenhang mit dem Monotheismus, also mit Religionen, die nur eine Hauptgottheit annehmen, das sind Judentum, Christentum und Islam. In nicht monotheistischen Religionen gibt es keinen richtigen Teufel, sondern Götter, die meistens gleichzeitig gut und böse sein können. So werden bei den Babyloniern beispielsweise auch Engel dargestellt.

Erzählen Sie gerne noch mehr über Engel…

Paganini: Engel sind Wesen, die Städte, Könige und Menschen beschützen. Wenn Menschen verfeindet sind, wird der schützende Engel eines Menschen zum Teufel des anderen. Deshalb ähneln sich Engel und Teufel in Merkmalen wie Flügeln, Beweglichkeit und Waffen. In der Bibel haben manche Engel schreckliche Namen, beißen, tragen Schwerter und sind wie Schlangen. Doch als Freunde beschützen sie einen und sorgen für Sicherheit, indem sie Feinde angreifen.

Kommen wir auf den Teufel zurück…

Paganini: Der Teufel entsteht innerhalb von monotheistischen Religionen, weil es dort nur eine einzige Gottheit gibt, die für alles zuständig ist und gleichzeitig für gut und böse steht. Gott wird als gut angesehen, daher braucht es eine Erklärung für das Böse. Das Böse existiert unter Gottes Aufsicht, doch Gott gewinnt immer. Der Teufel kann nicht siegen, er ist bereits besiegt. Irgendwann wird Gott entscheiden, dass das Böse nichts mehr darf, und dann ist die Sache sowieso erledigt.

Die „Apokalypse“?

Paganini: Ja, denn das ist die hoffnungsvolle Botschaft, die wir zum Beispiel in der christlichen Bibel vorfinden. Die Apokalypse steht synonym für das ganze Desaster, was am Ende der Zeit passieren wird: Epidemien, Pandemien und Kriege. Aber die Botschaft lautet: Am Ende wird alles gut und wenn es noch nicht gut ist, sind wir noch nicht am Ende. Und das gibt vor allen den Menschen, die unterdrückt leben, ungeheuer viel Hoffnung.

Hoffnung auf was?

Paganini: Der Tod ist nicht dazu da, Angst einzujagen, er ist eigentlich der letzte Grund zu hoffen. Solange es noch Tod geben wird, hat Gott noch nicht entschieden, dass es vorbei ist. Aber in dem Moment, in dem Gott entscheidet – und das kann er souverän tun, weil er eben der einzige Gott ist – dann gibt es keinen Tod mehr. Das ist die Grundbotschaft, die man in der christlichen Bibel vorfindet. Und dann ergibt sich für die Menschen die Frage: Wenn es keinen Tod mehr gibt, was passiert dann?

Und was passiert?

Paganini: Die monotheistischen Religionen gehen davon aus, dass es ein Gericht gibt. Heißt: Die Guten bekommen einen besseren Preis, als die Schlechten. Und nach diesem Gericht gibt es auch die Idee der Auferstehung. Man glaubt im Christentum an die Auferstehung des Körpers – aus heutiger Sicht ein bisschen verrückt. Im Mittelalter konnte man daran glauben, heute sieht das anders aus. Das Paradies ist ein Ort außerhalb der Zeit und des Raums. Aber außerhalb von Zeit und Raum sind wir dort mit unserem jetzigen Körper. Dort wartet beispielsweise die Jungfrau Maria, die mit ihrem Körper bereits in den Himmel gefahren ist. Im Islam ist es ähnlich, natürlich ohne die Jungfrau Maria.

Und im Buddhismus und Hinduismus?

Paganini: Dort nimmt man an, dass es eine Seele gibt, die aber keine individuelle ist, sondern allen gehört. Die Reinkarnation, also die Wiedergeburt, bedeutet daher keine Reinigung des Körpers, sondern die Reinigung der Seele. Deswegen kann sie jetzt in einem Menschen sein und im nächsten Leben in einer Kuh oder einem Krokodil und dann wieder in einem Menschen. Bis sie sich gänzlich gereinigt hat und nicht mehr umherwandern muss.

Wie sieht es beim Christentum und im Islam aus?

Paganini: Im Christentum und im Islam ist das nicht so, da kommt man mit dem Körper „weiter“. Bevor das geschieht, muss die persönliche und individuelle Seele vom sterbenden Körper getrennt und gereinigt werden.

In der ägyptischen Religion ist es ähnlich. Die Mumifizierung basiert auf der Vorstellung, dass der Körper wieder lebendig wird. Das sehen wir auch in Kulturen, die Gräbern Beigaben wie Essen, Waffen, Kleidung oder Tiere hinzufügen. Man glaubt, das Leben danach ist wie das jetzige, nur in einer anderen Zeitdimension. In den Religionen des Mittelmeerraums, bei den Juden, Christen und im Islam gibt es sehr ähnliche Ansichten, was das Ende angeht – trotz aller Unterschiede. Am Ende der Zeit lebt man mit dem eigenen Körper weiter, ähnlich wie im jetzigen Leben, nur besser und ohne Leiden.

Klingt nach Unsterblichkeit…

Paganini: Das ist es, worauf es letztendlich hinausläuft: Wie wird man unsterblich? Das kann unterschiedlich definiert werden. Es geht nicht nur darum, dass ich mit dem Körper unsterblich werde, sondern einen Zustand erreiche, in dem ich nicht mehr sterben muss. Dann ist es ist egal, wie oft ich davor sterben soll.

Würden Sie sagen, dass es neue Forschungsergebnisse oder Entdeckungen diesbezüglich gibt?

Paganini: Es gibt eine starke und konkrete Forschung über den Tod. Vor allem im US-amerikanischen Raum und interessanterweise in der orientalischen Welt, wie in Japan. Weil unser Gehirn mit elektrischen Impulsen und chemischen Reaktionen funktioniert, kann es mit der Software eines Computers verglichen werden: Irgendwann ist die Hardware kaputt. Beim Homo Sapiens ist nach maximal 130 Jahren Schluss, der Körper kann dann einfach nicht mehr, selbst mit dem Austausch von Organen nicht. Das Ziel wäre also, die Gehirnströme zu rekonstruieren und sie in jede beliebige Hardware einzubauen. Es gibt Forschungen, die in diese Richtung gehen. Unsterblich ist nicht der Körper. Unsterblich ist das, was man früher Seele nannte und in bestimmten religiösen Vorstellungen immer noch so nennt. Aber nüchtern betrachtet, ist die Seele für manche Wissenschaftler nichts anderes, als die Ansammlung von chemischen und elektronischen Gehirnströmen.

Die eigenen Gehirnströme rekonstruieren, geht das denn so einfach?

Paganini: Körper und Seele bilden keinen normalen Dualismus, denn die Seele gehört zum Körper wie er zur Seele. Man kann die beiden sehr wahrscheinlich nicht einfach beliebig austauschen. Deswegen ist die Körperlichkeit auch etwas Heiliges, es ist die Hülle, in der sich die Seele realisiert. Und wenn diese Hülle verloren geht, dann ist es vorbei. Dieses Zusammenkommen von Körper und Seele ist einmalig. Es gibt diese Versuche, das zu komprimieren, nach dem Motto: „Die Software kann ich auf jede beliebige Hardware übertragen“. Das funktioniert aber nicht. Noch nicht.

Wenn das aber gelänge, dann wären wir irgendwann tatsächlich unsterblich. Unheimlich…

Paganini: Diejenigen wären unsterblich, die sich das leisten können. Das ist eben das Problem mit dem sozialen Tod, über das wir bereits gesprochen haben. Man kann es mit der Organtransplantation vergleichen: In Deutschland glauben wir oft, dass man eine Niere erhält, wenn man eine benötigt und genug Geduld hat. Aber es gibt viele wohlhabende Leute, die ein Organ brauchen und es sich kaufen. Und Arme, die es verkaufen. Es ist kein theologisches und nicht einmal ein technologisches Problem, es ist ein soziales und ethisches Problem. Nicht alles, was man machen kann, darf man auch. Die Grenzen werden immer schwammiger und problematischer, aber manche Grenzen gibt es noch.

Die Frage, was nach dem Tod geschieht, kann man nicht beantworten. Also ist es eine reine Glaubensfrage, was danach kommt?

Paganini: Es verlangt ein System von Werten und ethischen Einstellungen, die man eben Glauben nennt und die nicht rational sind. Es ist etwas, was die Menschen glauben, hoffen oder sich wünschen, dass es das geben wird. Wenn man dann in geschlossenen Gruppen wie religiösen Gemeinschaften lebt, ist es wie im Internet oder bei Social Media: Man kommt in eine Cloud und darin bestätigt man sich gegenseitig.

Problematisch wird es dann, wenn du denkst, dass das, was nach dem Tod kommt das Entscheidende ist. Dann bist du in dieser Gesellschaft nicht mehr zu Hause. Und dann springst du quasi in die andere Welt, freiwillig, indem du dir das Leben nimmst. Beispiele von apokalyptischen Sekten, die mit einem Massensuizid enden, gibt es genug…

In unserer Gesellschaft spielt Religion im täglichen Leben eine immer kleinere Rolle. Glauben Sie, dass das auch Auswirkungen hat auf unseren Umgang mit dem Tod oder dem Leben danach?

Paganini: Auf jeden Fall. Denn wenn der Tod weitgehend aus der Gesellschaft verdrängt wird, führt das zu gewaltigen Problemen. Früher war der Tod Teil des Lebens, noch vor ungefähr 100 Jahren war der Haupt-Sterblichkeitsgrund die Geburt. Die technische und medizinische Entwicklung heutzutage führt dazu, dass man kaum mehr Ängste hat, überraschend zu sterben. Und andererseits ist das Jenseits uninteressant geworden. Religion wurde durch Technik ersetzt, daher braucht es keine Hoffnung mehr auf Gott, weil Probleme oder Fragen anders gelöst werden können.

Interessanterweise eben nicht nur, wenn es um den Menschen geht, sondern auch um Tiere. Der monströse Fleischkonsum der letzten 20 Jahre ist genau darauf zurückzuführen. Früher hat man nur das Fleisch gegessen, was man selbst produziert hat. In dem Moment, in dem man vor dem Tod keine Angst mehr hat, entsteht die Vorstellung, dass man Millionen von Tieren versklaven und töten kann, um sie zu essen. Der Kontakt mit dem Tod, das sagten schon die antiken griechischen Philosophen, führt zu einer Verrohung der Gesellschaft. Und damit diese Gesellschaft nicht böse wird, delegieren wir das.

Wie meinen Sie das?

Paganini: Früher gab es in jeder großen Stadt irgendwo im Zentrum ein Schlachthaus, daher die Namen „Schlachthausgasse“ oder „Schlachthausstraße“. Heute sind die Schlachthäuser ausgelagert, sie stehen mitten im Nirgendwo. Die Orte, an denen getötet wird, sind nicht mehr in, sondern außerhalb der Gesellschaft.

Und das führt dazu, dass wir die Tiere dann auch essen können, ohne uns Gedanken darüber zu machen, wie und warum sie gestorben sind und wie sie gelebt haben. Früher waren Menschen und Tiere viel gleicher als jetzt. Heute wird unterschieden, zu welcher Spezies man gehört. Wenn man zur Spezies Mensch gehört, ist der Tod nicht so schlimm wie bei der Spezies Schwein.

Manche Tiere essen wir, andere lassen wir nach ihrem Tod auf Tierfriedhöfen begraben. Was passiert mit ihnen nach dem Tod?

Paganini: Die Assyrer und Babylonier zum Beispiel begruben die Tiere teilweise mit, aber nur als Weggefährten des Menschen. Die Ägypter glaubten ganz klar an ein Jenseits für Mensch und Tier, es gibt Mumien von Krokodilen, Hunden, Vögeln und vor allem Katzen, mit eigenen Friedhöfen. Diese Tiere leben in der altägyptischen Vorstellung nach dem Tod weiter. Bei den Griechen und Römern gibt es keine Tiere in der Scheol. Aber dank Harry Potter kennt jeder den Kerberus, einen Hund mit drei Köpfen, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Ein Tier gab es also.

In den orientalischen Religionen, die an Wiedergeburt glauben, sind die Tiere in den Kreis aus Geburt, Tod, Wiedergeburt eingebunden. In den monotheistischen Religionen liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem Menschen. Im Christentum gab es das Paradies für die Menschen, nicht für Tiere. Sowohl Christen als auch Muslime sehen kein Problem darin, Tiere zu züchten, sie auszubeuten, zu töten und zu essen. Für die Tiere bedeutet das aber schon die Hölle auf Erden.

Um noch mal auf den Tod des Menschen zurückzukommen…

Paganini: Der Tod wurde aus der Gesellschaft verbannt, weil er ein Problem ist, das man noch nicht lösen kann. Früher wurde versucht, das theologisch zu erklären, heute wird das Thema an den Rand gestellt. Man kommt nur noch in Kontakt mit dem Tod, wenn nahe Verwandte oder Freunde sterben.

Es sind einfach viele überfordert mit dem Thema…

Paganini: Wenn irgendeine Katastrophe passiert, bei der auf einmal viele Menschen sterben, wird heute versucht, den Verantwortlichen zu finden, um ihn zur Rechenschaft zu ziehen – statt sich mit dem Tod dieser vielen Menschen auseinanderzusetzen.

Dann liegt natürlich der Fokus nicht auf denen, die gestorben sind…

Paganini: Eben. Es wird versucht, Gerechtigkeit herzustellen, indem Menschen bestraft werden, anstatt den Tod und das Leiden zu verarbeiten. Es gibt Fachleute, die sich damit dann beschäftigen. Wie nennt man die? Notinterventionsgruppe?

Krisenintervention.

Paganini: Genau. Die mit der Frage des Todes umgehen können. Wir haben Fachleute geschaffen, die als Unterstützung dienen können.

Die Fachleute kommen aber nicht, wenn Verwandte oder Freunde sterben…

Paganini: Dann kann man zum Psychologen gehen. Früher wurde der Pfarrer aufgesucht und das hat getröstet. Heute wird eher zu Medikamenten gegriffen… Ich sage nicht, dass man mehr zum Pfarrer gehen sollte, aber die fehlende zwischenmenschliche Beziehung wird zum Problem. Es zeigt, dass der Tod nicht mehr wirklich zum Leben in unserer Gesellschaft gehört. Und das ist etwas Schreckliches.

Die Fragen stellte Nicola König.