Europäischer Forschungsrat fördert zwei bahnbrechende Ansätze

Die Materialwissenschaftlerin Sandra Korte-Kerzel und der Mathematiker Markus Bachmayr freuen sich über die Förderung des Europäischen Forschungsrates mit jeweils einem Consolidator Grant. | Fotos: Peter Winandy

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Professorin Sandra Korte-Kerzel und Professor Markus Bachmayr erhalten ERC Consolidator Grants. Die RWTH-Forschenden werden nun über fünf Jahre in ihren Projekten gezielt unterstützt. 

Sie erforschen hochmoderne Werkstoffe für neue, nachhaltige Anwendungen und die effiziente numerische Behandlung von partiellen Differentialgleichungen in hochdimensionalen Räumen. Ihre bahnbrechenden Ansätze werden nun mit einer der höchsten Auszeichnungen der europäischen Forschungsförderung honoriert: Professorin Sandra Korte-Kerzel, Leiterin des Instituts für Metallkunde und Materialphysik der Fakultät für Georessourcen und Materialtechnik der RWTH Aachen, und Professor Markus Bachmayr, Lehrstuhl für Angewandte Mathematik am Institut für Geometrie und Praktische Mathematik, erhalten einen ERC Consolidator Grant. Das gab der Europäische Forschungsrat (ERC) heute bekannt.

Das prestigeträchtige Förderprogramm des Europäischen Forschungsrates unterstützt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer konsolidierenden Phase ihrer Forschungsarbeit. Voraussetzung sind der bahnbrechende Charakter, die Ambition und die Durchführbarkeit des Forschungsthemas. Professorin Korte-Kerzel und Professor Bachmayr werden nun jeweils für fünf Jahre mit zwei Millionen Euro gefördert. „Der ERC Grant finanziert nicht nur Forschung zu genau dem Thema, das einen persönlich am meisten reizt, er eröffnet auch die Möglichkeit, das Team um neue und spannende Expertisen zu erweitern, das ist einfach fantastisch“, erklärt die Materialwissenschaftlerin.

TAILORPLAST | Spröde Materialien verformbar machen

Sandra Korte-Kerzels gefördertes Projekt „TAILORPLAST“ konzentriert sich auf Verständnis und Vorhersage von plastischen Verformungsmechanismen für fortschrittliche Struktur- und Funktionswerkstoffe. Der traditionelle Ansatz in metallbasierten Legierungen – die Manipulation von Mikrostrukturen – war zwar bislang sehr erfolgreich, aber neue Werkstoffe und vorausschauende Strategien für das Materialdesign sind erforderlich, um Fortschritte in den Bereichen Transport, Produktion, Energieumwandlung und Speicherung zu ermöglichen und nachhaltiger umzusetzen.

Der Ansatz von TAILORPLAST ist, auf Basis experimenteller und rechnerischer Erkenntnisse über die atomaren Mechanismen der Bewegungen in intermetallischen Werkstoffen in Kombination mit Graph Neural Networks und deren Zugriff auf umfangreiche Datenbanken Fortschritte zu generieren. Das Team um Professorin Korte-Kerzel konnte beispielsweise bereits zeigen, dass kleine Änderungen in der intermetallischen Zusammensetzung zu dramatischen Eigenschaftsänderungen führen können und die diesen zugrundeliegenden Details der wesentlichen Versetzungsmechanismen und Energiebarrieren in den intermetallischen Kristallen aufdecken. Dieses Wissen soll jetzt die gezielte Anpassung von Eigenschaften das erste Mal ermöglichen.

Ziele des Projekts sind die Erweiterung des Verständnisses grundlegender Plastizitätsmechanismen über Metalle hinaus, die Übertragung dieser Mechanismen auf eine große Klasse von topologisch dicht gepackten intermetallischen Phasen und schließlich vielversprechende intermetallische Werkstoffe für maßgeschneiderte Plastizität zu identifizieren und ihre plastischen Eigenschaften in Hochleistungslegierungen vorherzusagen. TAILORPLAST soll zu einer gezielten anwendungsorientierten Werkstoffauswahl, einem beschleunigten Legierungsdesign und damit Strukturwerkstoffen für extreme Bedingungen und Funktionswerkstoffe für neue Anwendungen führen.

Sandra Korte-Kerzel ist seit 2013 Inhaberin des Lehrstuhls für Werkstoffphysik und Leiterin des Instituts für Metallkunde und Materialphysik. Sie studierte Physik und Maschinenbau an der RWTH sowie der University of Canterbury und promovierte an der University of Cambridge. Von 2011 bis 2013 war sie Juniorprofessorin für Werkstoffmikromechanik an der Universität Erlangen-Nürnberg. 2019 warb sie einen ERC Starting Grant für ihr Projekt „FunBlocks – Fundamental Building Blocks“ ein. Im gleichen Jahr wurde seitens der Deutschen Forschungsgemeinschaft der Sonderforschungsbereich „Strukturelle und chemische atomare Komplexität – Von Defekt-Phasendiagrammen zu Materialeigenschaftenbewilligt, dessen Sprecherin Korte-Kerzel ist. Dieser SFB wurde 2023 verlängert. Die 45-Jährige wurde unter anderem 2021 mit dem DGM-Preis der deutschen Gesellschaft der Materialwissenschaften ausgezeichnet.

COCOA | Komplexitätsanalyse hochgradig nichtlinearer Approximationen

Markus Bachmayrs gefördertes Projekt „COCOA – Computational Complexity of Highly Nonlinear Approximations“ beschäftigt sich mit der effizienten numerischen Behandlung von partiellen Differentialgleichungen auf hochdimensionalen Räumen, wie sie beispielsweise in wahrscheinlichkeitstheoretischen und quantenphysikalischen Fragestellungen auftreten. Hier sind Näherungsmethoden vorteilhaft, die einen hohen Grad an Nichtlinearität aufweisen, wie zum Beispiel sogenannte Niedrigrang-Tensordarstellungen oder auch neuronale Netze. Durch Ausnutzung von Strukturmerkmalen der gesuchten Lösungen ermöglichen solche Ansätze in vielen Fällen sehr effiziente Approximationen, man erhält also Näherungslösungen, die ähnlich zur Kompression von Bildern oder Videos eine geringe Anzahl von Parametern benötigen. Die praktische Erzeugung solcher Näherungen wird aber dadurch erschwert, dass diese hochgradig komprimierten Darstellungen rechnerisch komplizierter zu handhaben sind. Die entscheidende Frage ist daher, ob die gesuchten Approximationen auch mit vertretbarem Aufwand berechnet werden können.

Ein Hauptziel des Projekts ist es, die Lücke zwischen theoretischen Komplexitätsgrenzen und in der praktischen Umsetzung erzielbaren Ergebnissen zu schließen, mit besonderem Augenmerk auf Tensordarstellungen, Summen von Gaußschen Funktionen, neuronalen Netzen und allgemeineren Hintereinanderausführungen von Funktionen. Bachmayr und sein Team werden dabei verschiedene Problemklassen untersuchen, die jeweils passgenaue Ansätze erfordern, wie beispielsweise Probleme mit vielen Parametern, Evolutionsprobleme für Wahrscheinlichkeitsverteilungen und Wellenfunktionen sowie Eigenwertprobleme in der Quantenchemie. Entscheidend ist dabei, die Zuverlässigkeit der Ergebnisse in hohen Dimensionen zu gewährleisten, was numerisch stabile Methoden und geeignete berechenbare Fehlerschranken erfordert.

Markus Bachmayr ist seit 2022 Inhaber des Lehrstuhls für Angewandte Mathematik am Institut für Geometrie und Praktische Mathematik. Er studierte Mathematik an der JKU Linz und promovierte 2012 an der RWTH. Nach Postdoc-Aufenthalten an der TU Berlin und der Sorbonne Université in Paris war er von 2016 bis 2018 Professor in Bonn (Bonn Junior Fellow) und von 2018 bis 2022 an der JGU Mainz. Für seine Forschungsarbeiten erhielt er unter anderem 2013 den John Todd Award des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach.