Waldemar Ritter zitiert Willy Brandt: „Deutsche – wir können stolz sein auf unser Land!“

Waldemar Ritter © Hartmut Bühling

Und nicht auf PolitikerInnen, die nicht wissen, was zu verändern ist, die nicht wissen, was die Menschen von ihnen erwarten

KABINETT fragt, Dr. Ritter antwortet

K: Steht unsere politische Kultur auf dem Prüfstand?

R: Seit dem Staatsversagen in der Migrantenkrise, den Fehleinschätzungen, dem Verharmlosen, Beschönigen, Bemänteln und Verschweigen der Realitäten und Unterschiede ist die Bundestagswahl die Anerkenntnis deutscher Wirklichkeit. Zukleistern geht nicht mehr. Die Politik muss sich wieder ehrlich machen, von Verantwortung und Vernunft getragen werden.

K: Sie haben im entscheidenden September 2015 mit Ihrem politikwissenschaftlichen Kollegen Anthony Glees vor den verheerenden Folgen der undemokratischen und nichteuropäischen „Flüchtlingspolitik“ der Bundeskanzlerin gewarnt

R Wir sehen das sozial, kulturell und in der Sicherheit. Die Demokratie, der Sozialstaat, der Kulturstaat, der Rechtsstaat und unbegrenzte Zuwanderung funktionieren nicht zusammen. Auch die AfD im Bundestag ist eine Folge der verkehrten Flüchtlingspolitik. Denken Sie an die zynische Bewertung des AfD Sprechers Alexander Gauland: Die „Flüchtlingskrise“ sei ein „Geschenk“ für die AfD.

K: Was erwarten Sie von der deutschen Politik?

R: Genau das, was unser Bundespräsident in seiner großen Rede zum Tag der deutschen Einheit, also eine Woche nach der Bundestagswahl gesagt hat: „Die deutsche Politik muss sich ehrlich machen“.

Ehrlichkeit im Miteinander. Auch der Ehrlichkeit gegenüber „Flüchtlingen“. Eine klare Unterscheidung zwischen Flucht aus politischer Verfolgung und Flucht aus Armut als Versorgungssuchende oder anderen Gründen.

Dazu gehört, dass die Wirklichkeit der Welt und die Möglichkeiten des Landes in Übereinstimmung zu bringen sind. Europa kann nicht die Probleme anderer Erdteile auf seinem Territorium lösen.

Es gibt in keinem Land der Welt ein Einwanderungsgesetz ohne Begrenzung und Kontrolle.

K: Sie haben sich immer wieder zur Geschichte der Kultur, der Zivilisation und der Aufklärung geäußert. Warum ist das so wichtig?

R: In Jerusalem gibt es gerade eine Ausstellung über die historischen Aspekte der Bibel. Die Zukunft der Menschheit hat ihre Wurzeln in der Vergangenheit. Nur wenn wir unsere Geschichte verstehen, können wir für eine bessere Zukunft sorgen.

K: Und die Aufgaben, die uns bevorstehen?

R: „Heimat darf nicht den Nationalisten überlassen werden“. Unverzichtbar ist unsere Kultur und das Bekenntnis zur deutschen Geschichte, der ganzen deutschen Geschichte, als bleibende Verantwortung für die Mahnungen aus zwei Weltkriegen, die Lehren aus dem Holocaust, die Absage an völkisches Denken, an Rassismus und Antisemitismus. Diese historische Verantwortung gehört zum Deutschsein. Die Extreme sind in Deutschland Größenwahn und Selbstverleugnung.

Glückssteigernd ist nicht die Gesinnung, sondern das verantwortungsethische, das nachhaltig vernünftige Tun. Die Menschen können den Versprechungen von gestern nicht mehr glauben.

K: Sie waren auch für die Materialien und den Bericht zur Lage der Nation verantwortlich. Das war ein Bestseller. Sie waren und sind ein Patriot und ein Europäer.

R: Meine Auffassung war damals und ist heute: „Deutsche – wir können stolz sein auf unser Land“, so hieß der patriotische Slogan 1972. Und damit ich richtig verstanden werde, meine lieben Grünen, „Linke“ und Linksliberale, nicht etwa die CDU, auch nicht die CSU, noch überhaupt eine Partei aus dem konservativen oder rechten Spektrum ist damit in den Wahlkampf gezogen, sondern Willy Brandt und die SPD.

Die Partei der Antipatrioten ist die AfD, weil sie das Volk, wie es ist, nicht mag. Liebe zu unserem Land bedeutet, dass man die hier lebenden Menschen mag und zur vorgefundenen Gesellschaft grundsätzlich eine positive Einstellung hat. Was aber sagte Doris von Sayn-Wittgenstein in ihrer vom Bundesparteitag der AfD umjubelten Rede: „Ich möchte nicht, dass wir in dieser sogenannten Gesellschaft ankommen, Das ist nicht unsere Gesellschaft.“ Das sagt alles zu diesem Thema.

 

  1. Sind die AfDler Nazis?

R: Die meisten ihrer Wähler nicht. Bei einigen Leuten in den Führungsetagen der Partei bin ich mir da nicht so sicher.

K: Wer sich wundert, dass die AfD mit 12,6 Prozent in den Bundestag gewählt wurde …

R: ..hat offensichtlich den Kontakt zur Lebenswirklichkeit verloren. So erschreckend das Wahlergebnis ist, so sehr ist es Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Arbeit der etablierten Parteien. Vor allem aber Ausdruck nach wie vor vorhandener Kritik und Protest an der Flüchtlingspolitik und deren Folgen. Auch die großen Gewinne der FDP und viele Nichtwähler bringen das zum Ausdruck.

Rein kosmetische Veränderungen werden den Problemdruck nicht reduzieren und keinen AfD- Wähler wieder zurückholen. Zumal diese ja nur die Spitze eines Eisberges sind, dessen viel größerer Teil ebenso unzufrieden ist, aber nicht die AfD wählen will. Die beiden großen Wahlverlierer – CDU/CSU und SPD – sollten eigentlich wissen, von wie vielen sie nur mit der Faust in der Tasche oder mit zusammengebissenen Zähnen gewählt wurden.

Die Politik sollte auch wissen, dass ohne die Islamverharmlosung vieler sich links nennender Linken es den Aufstieg der AfD so nicht gegeben hätte. Dabei ist der politische Islam rechts außen, rechter als die gesamte AfD. Für den früheren ARD-Nordafrika-Experten Samuel Schirmbeck ist der Islam „von einer reaktionären Wirkungsmächtigkeit“, gegen die man den Rechtspopulismus als einen „Klacks“ einstufen müsse.

„Die einzigen, die ich für zuverlässig halte, sind die reinen Mohammedaner“, sagte Hitler 1942, mitten im Zweiten Weltkrieg. Noch heute werden im arabischen Raum „die Deutschen“ als Nazis bezeichnet, wobei „Nazis“ eine entgegen aller sonstigen Sprachgebrauch eher „anerkennende“ Wortbedeutung hat.

Emanzipation, Minderheitenschutz, Frauenrechte, Gewissensfreiheit oder Selbstkritik, Gleichberechtigung von Mann und Frau: alles Fehlanzeige. Grund und Menschenrechte nur, soweit sie der Scharia entsprechen. Eigentlich muss Islamkritik gerade in Deutschland die logische Folge des Linksseins sein.

Religionsfreiheit rechtfertigt keine Verstöße gegen Gesetze oder Gerichtsurteile. Islamverbände sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes.

Schirmbeck sagt, dass die überwältigende Mehrheit in Deutschland „nicht islamophob, sondern gewaltophob, fanatophob, intolerantophob, mysoginophob und homophobophob“ sei. Es sei gerade nicht das Fremde, das Deutsche am Islam störe, sondern das allzu Bekannte, dass sie aus der Vergangenheit kennen.

K:Worauf kommt es jetzt eigentlich an?

R: Die Parteien müssen Zukunftsfragen beantworten. Keine Ausflüchte ! Klare Grundsätze!

Schonungslose Betrachtung der Lage!

Dazu gehören die gravierenden Fehler und Fehleinschätzungen. Wir haben strukturelle Probleme an allen Ecken und Enden. Fundamentale Erneuerung ist geboten. Wir brauchen die schon lange überfällige Diskussion über die Zukunft Deutschlands und Europas. Ein gemeinsames Europa gibt es nur mit Nationen, nicht gegen sie.

Es muss geredet werden und vor allem gehandelt werden zur Digitalisierung, Bildung und Globalisierung. Über gleiche Teilhabe, Fortschritt und Gerechtigkeit. Es braucht eine gestaltende Kraft, die Lust hat, Moderne und Zukunft zu gestalten. Über Sicherheit im Inneren und Äußeren und um soziale Sicherheit geht es. Um mutige Reformen, die vernünftig sind und an deren Umsetzung man glauben kann. Ob in der Regierung oder in der Opposition, wir brauchen kein Eiapopeia oder Wohlfühlvereine. Kein Weiter so, sondern Parteien mit politischer Gestaltungskraft. In einem sicheren, weltoffenen, selbstbewussten Deutschland, das auch Grenzen aufzeigen kann. Kein Deutschland, in das man als einziges Land in der Welt ohne Pass herein und nicht wieder herauskommt.

Kein Deutschland für SpitzenpolitikerInnen, die nicht wissen, was sich ändern muss und was die Menschen von der Politik erwarten. Nicht die Probleme machen, sondern kreativ und lösungsorientiert nach vorne denken und handeln. Auch in Koalitionen ist das geboten.

Dass wir in der Verteidigung europäische Eigenverantwortung brauchen, ist nur ein Beispiel dafür. Das wird unbequem, aber nötig.

K: Sind Sie stolz auf Deutschland?

R: Ich bin froh, Deutscher zu sein. In einer der glücklichsten Phasen der deutschen Geschichte. Ich habe als Kind die Zeit erlebt, als das Land auf dem Tiefpunkt war. Es folgten der Wiederaufbau und das Wirtschaftswunder. Deutschland wurde zum ersten Mal Fußballweltmeister und jetzt sind wir unterwegs zum fünften Stern. Trotz falscher Propheten gab und gibt es das Waldsterben nicht. Ein gutes Schicksal und der überlegte Einsatz für den Frieden haben uns vor Krieg bewahrt. Wir haben die Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit demokratisch erreicht – die erste gelungene deutsche Revolution! Ohne jedes Blutvergießen. Wir sind von Freunden umgeben. Und von Anfang an ein konstitutiver Teil Europas.

Wir sind eine Kulturnation. Ein Volk der Dichter und Denker. Unsere materiellen und immateriellen Kultur-Leuchttürme blinken; sehr viele stehen auf der Welterbeliste. Das schmälert nicht meine Kritik an bestehenden Verhältnissen wie der Steuerungerechtigkeit. Arbeitende Menschen zahlen bis 46 Prozent direkte Steuern und Sozialabgaben, die leistungslosen Erbschaften, ich meine die über der Millionengrenze, fast nichts. Oder meine Kritik an der zunehmend miserablen Bildungssituation und der Bildungspolitik, die wir im Bund und in den Ländern haben.

Es ist ein unglaublicher Rückschritt im Bildungstrend, dass unsere Viertklässler in Mathematik, beim Zuhören und in Rechtschreibung binnen fünf Jahren in Deutschland im Schnitt schlechter geworden sind. Es ist eine Schande, dass jeder Fünfte nach der Grundschule Probleme mit dem Lesen hat. Wir fallen zurück. 2001 waren nur vier Staaten besser als wir – heute sind es zwanzig, die uns überholt haben. Ein Weckruf!

Hier gibt es großen Handlungsbedarf, nicht nur für die Politik Das sind nur Beispiele. Ein deutsches Sprichwort sagt:

„Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis und dreht selbstgefällige Pirouetten.“

Derzeit herrscht auf dem deutschen Eis dichtes Gedränge. Niemand will hören, dass es schon bedrohlich knirscht.

Bert Brecht ist nachhaltig modern:

„Und weil wir dies Land verbessern

Lieben und beschirmen wir´s

Und das Liebste mag´s uns scheinen

So wie andern Völker ihrs.“

K: Die Sondierungsverhandlungen einer Jamaikakoalition sind gescheitert. Was ist Ihr Kommentar?

R: Die Ära Merkel geht zu Ende. Zum Glück. Selbst wenn sie noch ein oder zwei Jahre im Amt bleiben sollte, denn sie steht für den sinnentleerten Machterhalt. Ihr Versuch, über Sondierungsverhandlungen eine Jamaika Regierung zu bilden, ist gescheitert. Er hat gezeigt: Merkel hat keine Kraft, keine Autorität, keine Leitidee.

Nach dem unwürdigen Gezerre und Gewürge muss das Land sich erst daran gewöhnen, dass Politik auch was anderes sein kann als Lavieren. Ein Kompromiss ist nicht immer weise, sondern manchmal auch windig oder faul. Ohne Grundstock an Vertrauen geht es nicht. Wer nach dem Ende der Sondierungen im Fernsehen gesehen und in Zeitungen gelesen hat, was sich zwischen Spitzenvertretern der CDU und den Grünen abgespielt hat und seinen Sinn für unfreiwilligen Humor und Komik nicht verloren hat, der kam in diesen Tagen aus dem Lachen nicht mehr heraus.

K: Und jetzt?

R: Wir haben keine Staatskrise. Wir haben eine Regierungsbildungskrise. Und Krisen in den Parteien. Unser Land steht gut da, aber unsere Parteien nicht. Wir haben außer für Europa und den internationalen Angelegenheit keinen Handlungsdruck. Das Land funktioniert ganz gut auf Autopilot. Gründlichkeit vor Schnelligkeit. Jetzt hat der Bundespräsident die Schlüssel in der Hand.

Eine Minderheitsregierung der Union oder von Union und FDP, die stimmstärkste Konstellation, oder mit den Grünen oder doch noch die Große Koalition, am besten mit einer ehrenvollen Verabschiedung der seit 1949 größten Wahlverlierer Merkel und Schulz. Oder mit ihnen ohne Weiter so. Es geht nicht nur um ein starkes Deutschland, es geht ebenso um ein starkes Europa. Wie wir für Macron und ein starkes Frankreich in Europa eingetreten sind, so drängen jetzt der französische Staatspräsident und Europas Sozialdemokraten gemeinsam zu einer großen Koalition, um Verantwortung für die Zukunft Europas zu übernehmen, europäische Reformen in einer Regierung zu unterstützen. In einer entscheidenden Phase Europas nicht abseits zu stehen. Es gibt die Chance, „in Europa eine progressive Agenda auf den Tisch zu legen.“ Sogar der griechische Ministerpräsident appellierte an Schulz, dass er nicht vergessen solle, dass eine wahrhaft linke und fortschrittliche Position nicht darin besteht, „die eigene Identität möglichst sauber zu halten, sondern für wirkliche Veränderungen und Reformen zu kämpfen. Im Interesse der Vielen.“

K: Gibt es eine GroKo oder Neuwahlen?

R: Wer Angst hat einen Elfmeter zu schießen, sollte lieber nicht antreten. So wie es aussieht, wird sich die SPD auf ihrem Parteitag ergebnisoffenen Gesprächen mit der CDU nicht verweigern.

Die werden wahrscheinlich ausloten, ob und wie eine Regierungsbildung in Deutschland möglich ist.

Alle Optionen liegen auf dem Tisch: Regierungsbeteiligung, Unterstützung einer Minderheitenregierung oder als letztes Mittel Neuwahlen.

Was ist daran schlimm? Man kann es auch Demokratie nennen. Oder frische Luft. Ein atmender Richtwert für alle in unserem Land So oder so: Ostern ist Auferstehung.