Waldemar Ritter: Soziale Probebohrungen

Elke Dagmar Schneider, Chefredakteurin KABINETT, Dr. Waldemar Ritter

Das große  Kabinettsinterview mit Elke Dagmar Schneiders Fragen an Waldemar Ritter

Kabinett: Bundespräsident Gauck hat Freiheit und Verantwortung in den Mittelpunkt  seiner ersten  Reden gestellt. Kritiker haben bemängelt, das er Gerechtigkeit nicht in den Vordergrund rückte. Was halten Sie davon , Sie kennen Herrn Gauck seit der Revolution in der DDR?

Ritter: Diese Leute haben nicht begriffen, dass Freiheit und Verantwortung eine notwendige Bedingung für Gerechtigkeit ist. Die Freiheit des Einzelnen ist die Bedingung für die Freiheit aller. Jeder Mensch ist wertvoll, jeder hat dieselbe Würde.

K: Und wie beurteilen Sie das, was von der Politik und großen Teilen der veröffentlichten Meinung heute als sozial gerecht  bezeichnet oder gefordert wird?

Ritter: Das ist wie beim Lebensmitteldiscounter: „Netto“ verkauft -schnittfestes Wasser als Hackfleisch.

K: Was meinen Sie?

Ritter: Ich meine den irreführenden Etikettenschwindel  und den  Populismus, der sich schon bei exemplarischen  Probebohrungen als taubes Gestein erweist. ich meine , dass weite Teile der Politik und der Medien gar nicht begreifen oder begreifen wollen, dass alles mit allem zusammengehört. Dass sie im kästchendenken befangen sind, dass Vieles, was auf den ersten Blick als sozial gerecht erscheint, im Gesamtzusammenhang betrachtet nicht selten das Gegenteil davon ist. Die brutale Ungerechtigkeit unserer Abgabesysteme, die selbst hart arbeitende Facharbeiter oder junge Ingenieure mit Kindern zu staatlichen Almosenempfängern degradieren. Der Hassprediger, der den Koran umsonst verteilt, Mercedes-Limousine fährt, im schmucken Reihenhaus wohnt, erhält  1860 Euro netto Hartz 4 im Monat, die arbeitenden Menschen mit ihren Sozialabgaben bezahlen müssen. Dagegen erhält die Rentnerin, die aus gesundheitlichen Gründen mit 60 Jahren, das heißt mit Abschlägen  in Rente gehen musste 640 Euro Rente, obwohl sie 45 Jahre gearbeitet hat. Und die Piratenpartei bezahlt ihren Bundesgeschäftsführer nicht selbst, er lässt sich lieber aus der Sozialkasse Hartz 4 bedienen. Eine Familie mit Kindern zahlt drei mal soviel Ökosteuer, wie ein Single. Die chinesischen Solar-platten auf den Villen der Immobilienbesitzer und Geldmacher, bezahlen alle Mieter, auch die Bewohner der Mietskasernen in Berlin mit drastisch erhöhten Strompreisen. Und das obwohl man diese Anlagen bis jetzt mit über 100 Milliarden  Euro   subventioniert hat, macht das gerade zwei Prozent des deutschen Energiemixes aus. Die Staatschulden -ich meine nicht die griechischen, sondern die deutschen -, der legale und der illegale Steuerbetrug, die Steuerhinterziehung, die öffentliche Verschwendung, der Sozialbetrug, der Sozialmissbrauch, vom Hartz 4 Empfänger bis zum Multimillionär hat Ausmaße  angenommen, die Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft zerstören. Gesetze und Vollzug, die das alles möglich machen haben mit sozial und Gerechtigkeit nichts zu tun. Der Sozialstaat  produziert Probleme vor denen er die Menschen schützen soll.  Mehr Gerechtigkeit ist eine dauernde Aufgabe, der sich die Politik  stellen muss. Das gilt vertikal und horzontal. Wir leben nicht mehr im Feudalismus, wo Politiker oder Parteien nach Gutsherrenart Almosen verteilen, um von der Gleichheit der Betroffenen, sowohl der Gebenden und der Nehmenden, und der immer größer werdenden Kluft  zwischen den arbeitenden Menschen und den Reichen  abzulenken.

K: Nennen Sie Beispiele?

Ritter: Die Millionäre in Deutschland – rund  770000-  bezahlen mit durchschnittlich  gerade 34 Prozent, 12 Prozent weniger Steuern und Abgaben als die arbeitende Bevölkerung. Und das obwohl  der 2005  gesenkte Spitzensteuersatz  nur noch 42 Prozent beträgt. Das ist unerträglich. Der Skandal ist unsere Steuergesetzgebung und ihre Umsetzung. Sie ermöglicht es einem 5fachen Millionär  sich auf  2298 Euro Steuern im Jahr herunter zu rechnen. Dagegen nimmt der Staat einem  Facharbeiter der gerade 4,3 Prozent mehr Lohn erstritten hat, mit der kalten Progression erst mal über die Hälfte weg, und den Rest hat der Kaufkraftverlust auf gefressen. Die arbeitenden Menschen sind die einzigen, die jedes Jahr 3 Milliarden Euro  mehr Steuern zahlen. Dazu kommen die hohen Sozialbeiträge, mit denen sie allein die Armen, und die, die sich bei 1,3 Millionen  offener Arbeitsstellen, so aus geben, bezahlen. Die Sanktionen gegenüber Hartz 4 Empfängern sind letztes Jahr um 10 Prozent gestiegen. Allein die Meldeversäumnisse bei der Arbeitsvermittlung nähern sich mit 960000  der Millionengrenze. Trotzdem: Der Sozialmissbrauch sinkt, der Missbrauch durch Hartz 4 steigt. Wir haben keine Umverteilung von unten nach oben, sondern von den arbeitenden Menschen, auch den armen arbeitenden Menschen, und der Mittelschicht nach oben und nach unten.

Das Steuerparadies für deutsche Millionäre scheint jetzt in der Schweiz zu Ende. Aber in Deutschland sind die reichsten noch weit entfernt davon ihren Spitzensteuersatz tatsächlich zu  entrichten. Das alles muss vom Kopf auf die Füße gestellt werden.

K: Was schlagen sie vor ?

Ritter: Lohnsteuer und Sozialabgaben runter, kalte Progression weg, Subventionen halbieren,  Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte, Rentenpflichtversicherung für alle, auch für Selbstständige, Manager und Politiker. Spitzensteuersatz  wieder 50%, der ohne Wenn und aber zu zahlen ist. Auch leistungslose Erbschaften ab einer Million  mit 50 Prozent besteuern.  Das wäre auch ein Beitrag um unseren Enkeln und Kindern nicht die aus der Staatsschuldenkrise sichtbar gewordenen Folgelasten auf zu bürden. Viele junge Menschen kassieren  bei genügend vorhandenen Ausbildungsplätzen lieber staatliche Stütze als arbeiten zu gehen.

Deshalb sollten für sie die Hartz 4 Sätze nicht höher sein als der Anfangslohn  für einen Azubi. Und unsere Sozialindustrie, die so viel  staatliche Mittel und Beiträge der Arbeitnehmer für sich selbst verbraucht wie für die Hilfsbedürftigen, könnte unsere immer mehr werdenden dauerarbeitslosen Hartz 4 Empfänger , vor allem in der einfachen Pflege, ähnlich dem früheren Zivildienst sinnvoll sozial beschäftigen. Muhammad Yunus, der für seinen Einsatz zur Bekämpfung der Armut mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, kritisiert das westliche Modell des Sozialstaates. „Staatliche Leistungen könnten zwar Menschen in Notlagen vorübergehend helfen. Langfristig  müssten jedoch auch in Industriestaaten mehr arme Menschen dazu befähigt werden, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten“. Es geht eben nicht  nur um Geld oder rein wirtschaftliches Gewinndenken, es muss auch das Bedürfnis der Menschen berücksichtigt werden anderen zu helfen. Das erfordert eine Reform unseres Wirschafts und Sozialsystems.

Auch auf der europäischen Ebene ist die wichtigste Frage noch immer ungelöst: Der Widerspruch zwischen gemeinsamer Währung und unabhängiger Wirtschaftspolitik hochverschuldeter Länder ist das Kernproblem des Euro und Europas. Solange das nicht geklärt ist bleiben andere Maßnahmen  allenfalls Medikamente zur Symtombekämpfung die Krankheit stasbilisiert, die sie heilen soll. Ebenso müssten kurzfristig mit einer Art „Marshallplan“ mindestens 200 Milliarden Euro zukunftsfähiger Investitionen in Infrastruktur und Energie mobilisiert werden. Wir können aus der Vergangenheit und aus der Zukunft lernen.

K: Und der Staat selbst… ?

Ritter: Der Staat muss zu aller erst sparen, Schulden zurück zahlen und investieren und zwar mit dem Geld, dass er vorher bei sich selbst einsparen muss. Sparen lohnt sich. Es macht uns handlungsfähig und gestaltungsfähig für die Zukunft. Stellen sie sich nur vor, was wir machen könnten, wenn wir nicht Jahr für Jahr immer mehr Schuldenzinsen und Tilgung von über 30 Prozent all unserer Ausgaben bezahlen müssten. Wohin ausufernde Staatsschulden sozial hinführen müssen, sehen wir in Griechenland , Portugal und Spanien. Die nächste große Welle der Staatsschuldenkrise , des staatlichen Pumpkapitalsmus werden wir ohnehin  erleben. Und wenn die Politik nicht aufpasst oder nicht aufpassen will mit einer Inflation, die nach Arbeitslosigkeit zum unsozialsten einer Gesellschaft gehört.

K: Sie haben seit Jahren  Reformen des Staates gefordert

Ritter: Unser Staat muss sich an allen Ecken und Enden reformieren. Es ist allenfalls nur noch historisch vertretbar, dass es bei uns Bundesländer mit Regierungen, Ministerien, Landtagen und mit sich selbst beschäftigender Bürokratie gibt, die aus eigener Kraft gar nicht überlebensfähig sind, deren Arbeit  früher zwei Landratsämter und viele gute Bürgermeister, wie in Schleswig Holstein, oder der Funktion nach  ein Oberbürgermeister mit einer kleinen Senatsverwaltung, wie in Bremen gemacht haben. Das Saarland ist so klein, wie ein Landkreis im bayrischen Wald und an Einwohnern so groß wie die Stadt Köln, die mit einem Oberbürgermeister und dem Stadtrat ganz gut auskommt. Auch demokratisch ist es bedenklich, dass diese Länder , im Gegensatz zu  den großen Großstädten, wie München, Frankfurt , Leipzig, Essen oder Köln, die bei weiten mehr Einwohner als Bremen  haben im Bundesrat als Zünglein an der Waage über Gesetze beschließen, die für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gelten.

Auf allen Ebenen brauchen wir eine schlanke Staatsverwaltung, die besonders dann effektiver wäre als heute , wenn Klarheit und Eindeutigkeit in unserer Gesetzgebung herrscht und Prioritäten gesetzt werden. Wie sehr bei uns der Umgang mit Finanzen aus den Fugen geraten ist,  zeigt die Diskussion um den Solidaritätspakt und die  Schuldenpolitik heruntergewirtschafteter Kommunen, dass es den auch von ihnen  im Osten geförderten Kommunen heute viel besser ginge als ihnen selbst. Sie haben nicht gefragt, warum das so ist. Nehmen sie Dresden und Essen als Beispiel. Dresden hat trotz Soli von Anfang an weniger Einnahmen als Essen. Dresden hat durch Verkauf eigenen Eigentums und durch wirtschaftlichen Umgang mit den niedrigeren Einnahmen keine Schulden, keine Schlaglöcher auf den Straßen, genügend Kindergärten und Kitas, Schwimmbäder, Sportplätze  und viel große und kleine  Kultur in der Stadt. Und ihr Fußballclub spielt in der zweiten Bundesliga. In Essen ist fast alles umgekehrt. Sie haben Anteile am Energiekonzern RWE, der jetzt rote Zahlen schreibt, sie haben Schlaglöcher, kürzen die Kultur, und schließen 50 Kitas und Kindergärten. Dafür haben sie soeben  ein Fußballstadion für 43 Millionen  Euro gebaut, für einen fünftklassigen Verein der NRW Landesliga.

Und selbst die Einnahme starke und gleichsam verschuldete Stadt Bonn hatte vergangenes Jahr  Probleme mit der Kulturfinanzierung, aber ihre  Beigeordneten fuhren jahrzehntelang mit eigenen  Dienstwagen und  Fahrer statt mit Taxi oder Straßenbahn  Das waren zweistellige Millionenbeträge und kostete  mehr Geld als sie selbst verdienten.

K: Sparen die Politiker selbst?

Ritter: Wir müssen an den richtigen Stellen sparen. Es ist finanzielol unvertretbar und sozial unmoralisch wenn beispielsweise Bundesminister nach 11 Jahren Amtszeit Pensionen erhalten, für die normal sterbliche 347 Jahre arbeiten müssten. Noch schlimmer ist das  in den meisten Bundesländern, besonders in den hochverschuldeten Ländern. So haben die vier Minister von Grünen und FDP, die wegen des Scheiterns der Jamaika Koalition Anfang des Jahres entlassen wurden, trotz ihrer kurzen Amtszeit von zwei Jahren bereits ab 60 Jahren Anspruch auf 1.700 Euro Pension monatlich. Der Durchschnittsverdiener müsste für die gleiche Summe mehr als 60 Jahre in die Rentenkasse einzahlen.

Das Übergangsgeld von 152.000 Euro nicht eingerechnet. Das kann man niemand mehr erklären. Und weil ich für ein  Europa  bin, zu dem Griechenland  selsbstverständlich gehört,  kriege ich Frostbeulen, wenn die deutsche Aldiverkäuferen, der Krankenpfleger und der Fließbandarbeiter mit ihren Steuern Griechenland helfen  und in der griechischen Verfassung bis heute noch fest geschrieben ist, dass milliardenschwere Reeder keine Steuern zahlen müssen. Die Arbeiter zahlen auch in Griechenland ihre Steuern, die Reichen und die 2000 Familien , denen das meiste Land gehört nicht.Warum kann unsere politische Klasse beim notwendigen Sparen nicht  auch in Deutschland die richtigen Zeichen setzen, wie das der französische Präsidentschaftskandidat Hollande für sich und seine Regierung ankündigt hat als erste Amtshandlung die eigenen Gehälter um 30 Prozent zu kürzen.Und in NRW soll wenigstens die vor der Wahl noch beschlossene Diätenerhöhung der Abgeordneten rückgängig gemacht werden .

Über die Milliardenverluste der staatlichen Landesbanken, für die alle Steuerzahler gerade stehen müssen, und die ungerechten und unwirtschaftlichen Subventionen habe ich mich auch im Kabinett mehrfach  geäußert.

K: Sie haben sich auch zu den exorbitanten Einkünften in öffentlichen Institutionen geäußert.

Ritter: Ja, weil es weder begründbar noch hinnehmbar ist, wenn beispielsweise Direktoren von Sparkassen, Vorstände von Krankenkassen oder Talkchowmoderatoren im öffentlich rechtlichen Fernsehen höhere Einkünfte abkassieren als der Bundeskanzlertarif, der mit 240000 Euro beziffert ist.In öffentlichen Institutionen und dort wo öffentliche Gelder eingesetzt oder staatliche  Zuwendungen bewilligt werden, darf es keine Besserstellung im Vergleich zu den zu den Vergütungen des öffentlichen Dienstes geben.

K: Noch ein ganz andere Frage. Welche Auswirkungen hat die Energiewende auf die Gerechtigkeit?

Ritter: Die Politik löst selten eine Krise, sie werden durch andere ersetzt. Der vorzeitige Ausstieg aus der Atomenergie ist ein Musterbeispiel, das Politik die  sozialen, die wirtschaftlichen und die ökologischen Folgen ihres Handelns nicht ausreichend oder gar nicht bedenkt.Am wenigsten dann, wenn bei Entscheidungen der der politische Machterhalt im Vordergrund steht. Die Komplexität ist bis heute nur ungenügend erkannt. Ich bin mir sicher, dass die Energiewende , so wie sie beschlossen ist, nicht aufrecht erhalten  werden kann. Bis heute gibt es keinen verlässlichen Gesamtplan, wie es nach dem um mindestens zehn Jahre zu frühen Atomausstieg weiter gehen soll. Die Energie wird durch den vorzeitigen Atomausstieg und das daraus entstandene Chaos zur sozialen Dimension  in unserem Land. Schon jetzt ist sichtbar: Explodierende Strompreise sind das neue nachhaltige Armutsrisiko in Deutschland.  Die Ärmsten der Armen können das nicht bezahlen.

Es ist nach der Fukushima Kampagne der deutschen Presse bezeichnend, dass es keinen Medienaufschrei in unserer Republik darüber gegeben hat, dass im letzten Winter 660000 Haushalte und damit weit mehr als eine Million Menschen – vorwiegend Geringverdiener, Alte und Rentner – der Strom abgeschaltet wurde, weil sie ihn nicht mehr bezahlen konnten. Dazu gehören nicht die Hartz 4 Empfänger , die ja ihre Wohnung und Heizung bezahlt bekommen., aber 15 Prozent unsrer Bevölkerung, die bereits jetzt darum kämpfen müssen die ständig weiter steigenden Energiekosten zu finanzieren. Mit einer „Stromlüge“ wird verdeckt das die Preise um bis zu 70 Prozent in den nächsten  Jahren steigen könnten. Allein die 2011 installierten Photovoltaikanlagen belasten die Verbraucher um 18 Milliarden Euro.

Die Energiewende kann den Strom so verteuern, dass Fabriken schließen müssen, Menschen ihre Arbeit verlieren und für Geringverdiener und Millionen Rentnern und alle armen Menschen noch weniger Geld zum Leben verbleibt. Und das obwohl bis heute niemand sagen kann, ob die Kernkraft durch erneuerbare Energien ersetzt werden kann und die Stromversorgung sicher und bezahlbar bleibt. Die Energiewende ist ein Fußball ohne Luft. Er hat soviel Löscher, das wir mit ihm noch weitere  Eigentore  schießen können. Deutschlands Abhängigkeit von anderen Staaten wird sich   nachhaltig vergrößern. Schon jetzt ist klar, dass wir wegen des Atomausstiegs noch mehr Gas- Kohlekraftwerke bauen müssen um wenigstens den Black Out zu verhindern.

K: Hat man beim Atomausstieg nach dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung gehandelt?

Ritter: Es war viel schlimmer. Ich kann das allenfalls Schwarm theoretisch erklären. Die sogenannte Schwarm-Intelligenz ist seit einiger Zeit das Lieblingsthema der sich für links-Intellektuell haltenden politikmüden Schickeria, die im englischen zutreffend als die „chattering classes“ bezeichnet wird. Und nicht erst die „Piraten“ haben das wohl zu ernst genommen. Ein vom Konrad Lorenz referiertes Experiment geht so: Man hatte Elritzen einen Teil des Gehirns entfernt. Der Fisch habe daraufhin die Fähigkeit verloren, sich nach dem Schwarm zu richten. Dagegen habe sich nunmehr der ganze Schwarm nach dem verletzten Fisch gerichtet.

Beim  deutschen Fernsehen und in der deutschen Presse konnte man  den Eindruck gewinnen, dass nicht der Tsunami sondern das Atomkraftwerk Fukushima die 20000 Toten verursacht hat. In Wahrheit  gibt es bis heute keinen einzigen Strahlentoten durch Fukushima. Vergleichbare Erkundungsbohrungen könnten  immerhin zur Erkenntis beitragen, ob der  eine operierte Fisch zum Schwarm der verfrühten deutschen Energiewende oder zu den anderen schwimmenden Schwärmen aller  Staaten gehört, die ihre Richtung nicht verändert haben.

Dann könnte auch die Frage beantwortet werden, warum unser vorzeitiger Atomausstieg in der ganzen Welt, wenn auch mit vorgehaltener Hand  eher als Lachnummer mit unabschätzbaren Folgen wahrgenommen wird. Nicht nur aus ökologischen und ökonomischen Gründen, auch nicht nur wegen des Atomstroms aus der Tschechdose, vergleichs- und beispielsweiseweise wäre es besser, wenn wir  auf  Traumschiffe verzichten. Allein in Europa sterben jährlich 50000 Menschen vorzeitig nur an  Schiffsabgasen. Ein einzelnes Kreuzfahrtschiff stößt so viele Schwefeldioxide  aus wie 37 Millionen PKW, so viele Partikel wie  eine Million Pkw und so viele Stickoxide wie 420000 Pkw. Dabei ist dieser NABU-Vergleich eher  untertrieben.

K: Was sollen wir machen?

Ritter: Nichts ist ohne das Gegenteil wahr, hat Walser richtig gesagt. Aber vielleicht hilft nur noch Satire weiter.

Für den Fall, dass ein französisches, ein  tschechisches, oder ein in Polen neu geplantes Atomkraftwerk  Schaden nehmen sollte, muss ein deutsches Gesetz verbieten, dass Radioaktivität die Grenze überquert. Stromausfälle durch sibirische Kältewellen, wie im Februar, werden für illegal erklärt. Die Einbetonirrung unser Natur und Kulturlandschaften mit 4.000 bis 10.000 kilometerlangen Stromtrassen und bis zu 200 Meter hohen Windrädern, von der Nordsee durch unsere Mittelgebirge  bis zum Schwarzwald, der sächsischen Schweiz bis ins Voralpenland werden bei Windstille mit Atomstrom betrieben und  durch Grünlackierung  als ökologische Nachhaltigkeit gepriesen, Da geht es nicht nur um die Verpflanzung  von 120 Bäumen, wie in Stuttgart  21. Da sollen allein in NRW 27.000 Hektar Wald zugunsten gigantomanischer  Betonverspargelung geopfert werden.

80.000 Euro Pachtkosten  pro Standort und Jahr wird dann  an die schon jetzt Schlange stehenden Millionärswaldbesitzer von Otto Normalverbraucher mit wieder erhöhten Stromkosten zu zahlen sein.  Die Millionen  zerschredderter Vögel und gestresste Menschen sind nur noch der Idee nach verpflichtende Kollateralschäden.  Rein von der Ökobilanz wäre es  effektiver gewesen, Langzeitarbeitslosen zwischen 50.000 und 100.000 Euro pro Jahr zu zahlen, damit sie zur richtigen Zeit ein zwei Stündchen am Tag auf Ergometern für den deutschen Energiehaushalt strampeln.

K: Beunruhigend. Was nehmen wir mit?

Ritter: Kennen Sie Ernst Augustin „Robinsons blaues Haus“? Wir können das Ganze auf Knopfdruck: „Erase“,Löschen. Auch Unglücksglück ist möglich. Ich kann deshalb weder der Politik, noch den staatlichen  Pump- und den Finanzkapitalisten, auch den  ganz normalen Menschen das eigene Nachdenken und Handeln in der unsozialen Energiepolitik und dem Finanzkrisenwahnsinn nicht ersparen.  Hören wir auf den Gott Mamon an zu beten. Hören wir auf die Natur noch weiter zu zerstören. Den größten Wert hat, was man nicht kaufen kann.  Und: Nur die Liebe , blank und bloß und ohne Passwort, die Liebe kann ich mitnehmen. Freiheit zu mehr Gerechtigkeit und Verantwortungsethik haben wir in unserem Land .

Interview am 1. Mai  2012

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