“Vize-Bundestagspräsidentin Göring-Eckardt im Interview mit KABINETT – Lösungsansätze gegen Wohnungslosigkeit in Bonn und Deutschland”

Frau Katrin Göring-Eckardt, MdB, besuchte gestern Bonn, um sich über die Bonner Offensive gegen Wohnungslosigkeit zu informieren. Wir hatten die Möglichkeit, ein schriftliches Interview mit Frau Göring-Eckardt zu führen.

In den nachfolgenden Antworten gewährt uns Frau Göring-Eckardt einen Einblick in ihre Erfahrungen bei der Besichtigung der Geschäftsstelle der Bonner Offensive gegen Wohnungslosigkeit und teilt uns ihre Sichtweise zu den drängenden Herausforderungen und vielversprechenden Lösungsansätzen im Kampf gegen Wohnungslosigkeit mit. Dabei unterstreicht sie ihr tiefes Verständnis für soziale Belange sowie ihr tatkräftiges Engagement für eine inklusive Gesellschaft. Im Folgenden präsentieren wir Ihnen dankenswerterweise das schriftliche Interview, das wir von Frau Göring-Eckardt erhalten haben.

KABINETT: Wie bewerten Sie die Arbeit der Bonner Offensive gegen Wohnungslosigkeit und welche Rolle könnte sie Ihrer Meinung nach bei der Bewältigung der Wohnungsnot in Deutschland spielen?

Katrin Göring-Eckhardt MdB: Professionell und engagiert, ich bin beeindruckt wie die Caritas mit der leider steigenden Zahl der Wohnungslosen umgeht. Aber auch von der Zusammenarbeit mit der Stadt. Dass sich die Verwaltung und die Oberbürgermeisterin Katja Dörner selbst kümmern, macht mich zuversichtlich. Einmal mehr zeigt sich: Kommunale Initiativen sind besonders hilfreich und wichtig, denn sie kennen die Situation vor Ort. Das ist aber unerlässlich, um die Bedürfnisse der Betroffenen zielgenau zu adressieren. Nur vor Ort können Menschen in der Stadt sensibilisiert werden für die Obdachlosen, die ihnen täglich begegnen. Obdachlosigkeit ist eine Form extremer Armut, die nicht akzeptabel ist für ein reiches Land wie Deutschland. Deswegen haben wir im Koalitionsvertrag auch das Ziel formuliert, Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 zu überwinden.

K: Wie kann man die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und lokalen Initiativen wie der Bonner Offensive stärken und effektivere Lösungen für wohnungslose Menschen finden?

KG-E: Alle Ebenen müssen zusammenarbeiten. Auf der Bundesebene werden wir das mit einem nationalen Aktionsplan gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit angehen, wie wir es im Koalitionsvertrag verabredet haben. In nicht einmal zwei Wochen, am 19. und 20. Juni 2023, wird die Auftaktkonferenz dazu in Berlin stattfinden. Im Nationalen Aktionsplan verzahnen wir alle Akteure und beteiligen deshalb Kommunen, Länder und Bund, aber ebenso Verbände, Zivilgesellschaft und die Betroffenen selbst. Wir werden die Handlungsfelder von Bund, Ländern und Kommunen klar definieren und gerade auch auf die Übergänge zwischen den verschiedenen Ebenen blicken. Drei Schwerpunkte sehe ich: Zuerst Prävention, also Vermeidung von Wohnungsverlust. Dann Strategien zur Beseitigung bestehender Wohnungs- und Obdachlosigkeit. Und schließlich Maßnahmen für einen langfristig krisenfesten Sozialstaat, der extreme Formen der Armut wie Wohnungs- und gar Obdachlosigkeit gar nicht erst entstehen lässt.

K: Inwiefern ist es Ihrer Meinung nach möglich, dass der Wohnungsbau in Deutschland sowohl quantitativ als auch qualitativ verbessert werden kann, um den Bedürfnissen der Bevölkerung gerecht zu werden, und welche Rolle könnte die Bundespolitik dabei übernehmen?

KG-E: Die Verantwortung für die soziale Wohnraumversorgung liegt seit der Föderalismusreform 2006 bei den Ländern. Trotzdem leistet auch der Bund einen großen Beitrag für mehr bezahlbaren Wohnraum. Einerseits haben wir erst im letzten Jahr mit der Reform des Wohngeldes dafür gesorgt, dass Menschen mit kleinen Einkommen bei den gestiegenen Wohn- und Heizkosten entlastet werden. Andererseits investiert der Bund alleine in diesem Jahr 2,5 Milliarden Euro in den Sozialen Wohnungsbau der Länder, damit mehr bezahlbare Wohnungen vor Ort gebaut werden können. Das alleine reicht aber noch nicht – wir Bündnisgrüne haben uns deshalb im Koalitionsvertrag dafür eingesetzt, dass in Zukunft wieder Wohnungen von gemeinnützigen Akteuren gebaut und angeboten werden können. Dafür werden wir die Neue Wohngemeinnützigkeit einführen – die Eckpunkte hierfür sollen Mitte Juni vorliegen.

K: Welche finanziellen Ressourcen stehen der Bundesregierung zur Verfügung, um den Kampf gegen Wohnungslosigkeit zu unterstützen, und wie könnte man sicherstellen, dass diese Mittel effizient und zielgerichtet eingesetzt werden?

KG-E: Alle Mittel, die wir in die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum stecken, helfen, Wohnungslosigkeit zu vermeiden. Zusätzlich werden wichtige Akteure wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt bei ihrer Arbeit unterstützt. Bei der Erarbeitung des Nationalen Aktionsplans sollen weitere Unterstützungsmöglichkeiten identifiziert werden, bei denen Mittel effizient eingesetzt werden können. Wir Bündnisgrüne halten zum Beispiel das Housing-First-Konzept für einen vielversprechenden Ansatz. Dieses zielt darauf ab, wohnungslosen Menschen zuallererst eigenen Wohnraum zu vermitteln und dann zugleich sozialpädagogische und therapeutische Maßnahmen anzubieten.

K: Welche Hindernisse sehen Sie bei der Umsetzung effektiver Maßnahmen zur Bekämpfung von Wohnungslosigkeit und wie sollte man diese Hindernisse überwinden, insbesondere im Hinblick auf bürokratische Hürden und Interessenskonflikte zwischen verschiedenen Akteuren?

KG-E: Studien und Modellversuche bestätigen die Wirksamkeit des Housing First Modells. Wir sollten es deshalb in der Fläche etablieren, und zwar als Ergänzung zum bestehenden Hilfesystem. Ein häufiges Hindernis sind die Hürden beim Zugang zu Sozialleistungen. Beispielsweise besteht in Deutschland grundsätzlich eine Krankenversicherungspflicht, jedoch ist vielen Wohnungslosen aufgrund ihres ungeklärten Versicherungsstatus der Zugang zu unserem Gesundheitssystem erschwert. EU-Bürger*innen sind oft ganz von Sozialleistungen ausgeschlossen. Deswegen hat die Straßenobdachlosigkeit unter EU-Bürger*innen in den letzten Jahren zugenommen. Auch ist ein großes Problem die so genannte verdeckte Armut. Menschen nehmen aus Scham oder auch aus Unwissen ihren Anspruch auf Sozialleistungen nicht wahr. Hier braucht es mehr Transparenz und Miteinander, um dann im Extremfall den Wohnungsverlust zu verhindern. Wir wollen mit den Kommunen in Austausch treten, um bessere Zugangsmöglichkeit und Hilfsmöglichkeiten der Kommunalen Träger vor Ort zu diskutieren. Und in einer Stadt wie Bonn kommt hinzu: es gibt Liegenschaften des Bundes, die leer stehen und gut genutzt werden könnten. Hier ist das Finanzministerium am Zug.

K: Wie können BürgerInnen aktiv zur Lösung des Problems der Wohnungsnot beitragen, und welche Rolle spielt das Bewusstsein in der Gesellschaft, um die Situation wohnungsloser Menschen nachhaltig zu verbessern?

KG-E: Das Bewusstsein in der Gesellschaft zu schärfen ist ungemein wichtig. Dazu kann jede Bürgerin und jeder Bürger selbst aktiv beitragen. Hinschauen ist wichtig, aktiv auf Menschen zuzugehen, sie auf Sozialberatungsstellen hinzuweisen oder auch sich selbst vor Ort zu engagieren. Das ist enorm wichtig und kann maßgeblich dazu beitragen, den Menschen die in der jeweiligen Kommune betroffen sind, niedrigschwellig zu helfen.