Waldemar Ritter: Der Schrei nach Wahrheit – Putins Krieg ist ein Verbrechen

von Waldemar Ritter:

Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor. Im Kern geht es um die Frage, ob Macht das Recht brechen darf, ob wir es Putin gestatten, die Uhren zurückzudrehen, in die Zeit der Großmächte des 19. Jahrhunderts, oder ob wir die Kraft aufbringen, Kriegstreibern wie Putin in Grenzen zu setzen.

Mit dem infamen Völkerrechtsbruch, dem Überfall auf die Ukraine will Putin nicht nur ein unabhängiges Land von der Weltkarte tilgen. Er zertrümmert die europäische Sicherheitsordnung, wie sie seit der Schlussakte von Helsinki fast ein halbes Jahrhundert Bestand hatte. Er stellt sich auch ins Abseits der gesamten Staatengemeinschaft. Der Überfall auf die Ukraine ist ein durch nichts zu rechtfertigender Angriff auf ein unabhängiges Land, auf die Friedensordnung in Europa und in der Welt.

Mit dem Überfall auf die Ukraine sind wir in einer neuen Zeit. In Kiew, Charkiw, Odessa und Mariupol verteidigen die Menschen nicht nur ihre Heimat. Sie kämpfen für Freiheit und ihre Demokratie, für Werte, die wir mit ihnen teilen. Der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukraine. Aber der Krieg wird sich auch als Katastrophe für Russland erweisen.

Das sind einige Grundsätze aus der historischen Regierungserklärung des Bundeskanzlers Olaf Scholz während der Sondersitzung des Deutschen Bundestages zum Krieg der Ukraine.
Gemeinsam mit der Europäischen Union hat Deutschland vier große Sanktionspakete von bisher unbekannten Ausmaß verabschiedet. Wir treffen Russlands Banken. Trotzdem muss die EU sich fragen, ob diese Maßnahmen ausreichend sind. Wir treffen Russlands Wirtschaft. Die beschlossenen Sanktionen sind auf Dauer angelegt. Wir werden einen langen Atem brauchen. Wir haben diesen langen Atem. Einige Sanktionen werden negative Auswirkungen auch auf Deutschland und Europa haben.

Die Bundesregierung hat entschieden, dass Deutschland der Ukraine Waffen zur Verteidigung ihres Landes liefert. Deutschland wird die Mittel für den Verteidigungshaushalt erhöhen um die Bundeswehr zu ertüchtigen mit notwendigen Investitionen und Rüstungsausgaben. Die Bundesrepublik schafft ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro in Investitionen für unsere Freiheit und Demokratie. Das Ziel ist eine leistungsfähige fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.

Ja, Deutschland stellt sich außen- und verteidigungspolitisch völlig neu auf. Wenn unsere Welt eine andere ist, dann muss auch unsere Politik eine andere sein. Es geht längst nicht nur um mehr Geld für die Verteidigung oder modernste Kampfbomber mit nuklearer Option. Selbst Grundlagen der Ampel scheinen neu definiert, wenn sogar der Vizekanzler der Grünen feststellt: Versorgungssicherheit ist im Zweifel wichtiger als Klimaschutz.

Oder der FDP-Bundesvorsitzende erklärt: Erneuerbare Energien sind Freiheitsenergien und die SPD-Covorsitzende Eskens sagt zur Verteidigung: Ich glaube, dass wir mittlerweile in einer Situation angekommen sind, in der wir zu nichts, niemals nein sagen sollten. Und wegen der inflationären Preisentwicklung braucht die Ampel jetzt ein Antikrisenpaket. Putin führt Krieg gegen die Ukraine. Damit das nicht jeder weiß, führt Putin auch einen Krieg gegen sein eigenes Volk. Gegen Menschen, die gegen ihn auf die Straße gehen. Fakt ist: Putins blutiger Krieg ist auch ein Informationskrieg, nicht nur gegen den Westen und andere, sondern auch gegen die eigenen Bürger.

Russlands Krieg ist eine Zäsur für Europa und für die deutsche Sicherheitspolitik. Der Tag des Angriffs Russlands auf die Ukraine teilt die Welt in davor und danach.

Der Beschluss der Vereinten Nationen dokumentiert in welche Lage der russische Präsident sein Land gebracht hat. 141 Staaten der Welt haben Russlands Angriff auf die Ukraine verurteilt und den Abzug russischer Truppen aus dem Land gefordert.
Auf die Seite Russlands stellten sich in der Vollversammlung der Vereinten Nationen nur Syrien, Nordkorea, Belarus und Eritrea. Der Krieg erschüttert die ganze Welt, und er erschüttert auch den europäischen Kontinent.

Auf einen solchen Rückfall ist man nicht vorbereitet gewesen. Der Konflikt hat unabsehbare Folgen. Sie gehen weit über diesen Krieg hinaus, weil sich zeigt, auf welch schwankendem Grund die europäische Friedensordnung der vergangenen drei Jahrzehnte steht. Die Länder der Europäischen Union haben gemeinsam mit den USA sehr schnell Geschlossenheit hergestellt und weitreichende Sanktionen gegenüber Russland auf den Weg gebracht. Putin hat den Behauptungswillen der Liberalen unterschätzt. Seine zweite Fehleinschätzung betrifft offenkundig den Widerstand der Ukrainer, denen er in seiner Fernsehansprache eine eigene Staatlichkeit noch absprechen wollte.

Despoten wie Putin machen immer denselben Fehler und unterschätzen die Widerstandskraft offener Gesellschaften.
Putin hat weder den Durchhaltewillen der Ukrainer vorhergesehen noch die freiheitlich-demokratische Einheit.
Die Drohung mit Atomwaffen zeigt, dass Putin keine Grenzen mehr kennt – außer man setzt ihm Grenzen entgegen.
Das Beispiel Ukraine zeigt, dass sich niemand gutgläubig auf Vernunft und Mäßigung autoritärer Regime verlassen kann.

Wladimir Putin ist der Zerstörer: Russlands Armee hinterlässt in der Ukraine eine Spur der Verwüstung, stürzt Millionen ins Elend und ruiniert einen ganzen Staat. Putin droht nun auch noch die Grundlagen seiner eigenen Herrschaft zu vernichten. Sein Entscheid zum Krieg erweist sich bereits als katastrophal, der sich längerfristig durch Propaganda nicht vernebeln lässt, sie wird in die Gesellschaft einsickern. Damit werden Zweifel aufkommen, ob Putin seiner Aufgabe noch gewachsen ist. Im Kreml waren entweder alle Berater Opfer der eigenen Propaganda geworden oder es traute sich niemand dem Chef die Wahrheit zu sagen. Auch bei Putins gilt das Gesetz der zunehmenden Verdummung von Autokraten, weil sie strukturell nur von Speichelleckern umgeben sind.

Die Staatspropaganda wirkt, und mit 14.000 Festnahmen bei Antikriegsprotesten zeigt der Repressionsapparat routiniert seine Muskeln.
Trotz alledem hat heute eine mutige Redakteurin des russischen Staatsfernsehens gegen den Ukrainekrieg protestiert- und wurde anschließend inhaftiert. Frau Marina Owsjannikowa war während der Lifeübertragung ins Bild gesprungen und hatte ein Schild mit den Worten hochgehalten: „Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Hier werdet ihr belogen“ Dazu rief sie mehrmals laut: „Nein zum Krieg“. Nun ist die Frau verschwunden. Hier sehen wir was Mut bedeutet. Ihr Schrei nach Wahrheit, ihr Protest ist das jüngste Beispiel einer außerordentlich mutigen Haltung, welche die Lügen und die Propaganda des Kreml widerlegt. Russlands Regierung setzt ihre Unterdrückung der einheimischen Opposition und der friedliebenden Bevölkerung fort und verweigert ihnen ihre Grundrechte. Frau Owsiaannikowa sagt: “Was in der Ukraine geschieht, ist ein Verbrechen“.

Für meinen politikwissenschaftlichen Kollegen Herfried Winkler steht fest, dass mit Russlands Krieg eine neue Ordnung der Großmachtrivalität und Abschreckung begonnen hat, (USA, China, Indien, Russland und ein souveränes Europa). Die Deutschen werden sehr lange mit diesem Konflikt leben müssen. Er erklärt, eine eigene nukleare Abschreckung Europas ist unabdingbar. Man muss davon ausgehen, dass Putin in einer Echokammer lebt, in der er sich selbst hört. Das ist das Problem von autokratischen Machthabern in der Enge. Zudem gilt auch bei ihm das Gesetz der zunehmenden Verdummung von Autokraten, weil sie strukturell von Speichelleckern umgeben sind. Bedrohlich, wenn sich in dieser Echokammer der Kopf für die Aktivierung der Atomraketen befindet.

Eine Ausnahme könnte es bei denen geben, die unter dem Radar agieren, weil sie den Radar selbst kontrollieren.

Der jetzige Krieg wird unabhängig von seinem Ausgang Erschütterungen auslösen, die weit über die Ukraine hinausreichen. Wir müssen wieder langfristig denken.
Drei Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine habe ich mit mehr als 350 Intellektuellen aus Kultur und Gesellschaft den russischen Aufmarsch an der Grenze zur Ukraine als Angriff auf den Frieden in Europa erklärt. Ich selbst habe geschrieben: Wir müssen vom „Worst Case“ ausgehen. Deutschland war, wie bei vielen Krisen zuvor nicht vorbereitet. Drei Tage nach dem Kriegsausbruch war ich einer, der am Rosenmontag mit 250.000 Menschen für den Frieden und die Solidarität für das Land Ukraine demonstrierte.

Das Deutschland sich täuscht, das ist in den vergangenen Jahren häufiger vorgekommen. Auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen warnte Trump Deutschland davor, dass es sich gerade von russischem Gas abhängig mache. Deutschlands Außenminister zog die Mundwinkel nach oben. Schüttelte ungläubig den Kopf. Heute weiß man: Damals war Trump nicht im Unrecht.

Dieses Mal gibt es einen neuen Begriff dafür: Von einer „Zeitenwende“ hat in seiner historischen Rede Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen: „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“. Doch das plötzlich alles anders ist als vorher, das ist kein neues Phänomen. Um Krieg ging es dabei nur selten, aber es lässt sich nicht leugnen. Die Geschichte… oder wie Navalny aus dem Gefängnis ruft: Die Geschichte ist nicht der pseudohistorische Unsinn über die Ereignisse vor 100 Jahren, die Putin als Vorwand anführt, um einen Krieg gegen die Ukraine zu führen. Der russische Angriff – Putins Krieg auf die Ukraine – ist eine tiefgreifende Zäsur in der Geschichte Europas.

Der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, hat die Bundesregierung in einer Videoansprache vor dem Deutschen Bundestag zu mehr Unterstützung aufgefordert, um den Krieg in seinem Land zu stoppen. “Bitte helfen sie uns”, sagte er am 17. März 2022 in seiner kritischen Rede.

“Unterstützen sie uns
Unterstützen sie den Frieden
Unterstützt jeden Ukrainer
Stoppt den Krieg
Helft uns, ihn zu beenden.”