„Methode Rainer Werner Fassbinder“

Fassbinder am Set. Rechts Hanna Schygalla in der Schaukel. Foto: Peter Köster

Bundeskunsthalle zeigt Retrospektive über den berühmten Regisseur,  Filmproduzent, Schauspieler und Autor  – Er schuf Stars wie Hanna Schygulla

Bonn/Berlin. Was haben „Angst essen Seele auf“: „Die Ehe der Maria Braun“: „Acht Stunden sind kein Tag“: „Berlin Alexanderplatz“: „Deutschland im Herbst“: „Die dritte Generation“: „Fontane Effi Briest“: „LOLA“, gemeinsam? Alle diese Filme und Filmproduktionen tragen unverkennbar die Handschrift von Rainer Werner Fassbinder (RWF). Fassbinder war Regisseur, Filmproduzent, Schauspieler und Autor. „Methode Rainer Werner Fassbinder“, lautet der Titel einer bis zum 6. März gezeigten Retrospektive über Rainer Werner Fassbinder in der Bundeskunsthalle. Das ganze geschieht in Kooperation mit dem DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Frankfurt am Main, und der Rainer Werner Fassbinder Foundation, Berlin.

Kollektives Bildgedächtnis

Als einem der wichtigen Vertreter des Neuen Deutschen Nachkriegs-Films, gelang RWF in seinem Werk die Synthese aus radikaler Subjektivität und gesellschaftlicher Analyse. Wie kaum ein anderer Künstler hat er dadurch ein zeitgenössisches Spiegelbild der Bundesrepublik Deutschland geschaffen. In seinen Filmen ging es Fassbinder immer darum, das Allgemeine durch das Besondere aufzuzeigen: RWF: „Gerade weil sie so spezifisch und national sind und weil sie versuchen, das Land zu beschreiben, in dem sie gemacht werden, in dem ich lebe, sagen sie auch etwas über Demokratien ganz allgemein.“ Die kontroverse Diskussion über sein Werk und seine Person schon zu Lebzeiten gehört dazu. Seine Exponiertheit, seine kreative Unangepasstheit und künstlerische Radikalität, aber auch sein mitunter unwirsches Auftreten am Set  führten zu inzwischen legendären Filmen, Fernseh- und Theaterstücken, die sich ins kollektive Bildgedächtnis eingeschrieben haben.

Fassbinder lebte und forderte Intensität

Fassbinder lebte und forderte Intensität. Seine manchmal sperrige, kritische Haltung, gleichzeitig liebevolle Darstellung und Zeichnung der Menschen war ohne Unterscheidung ihrer jeweiligen Milieus von respektvoller und beispielloser Konsequenz. Seine Bildsprache changiert von Beginn an virtuos zwischen Theater, Film/Fernsehen und Zeitdokument. Das Ausnahmetalent Fassbinder, der 1982 mit nur 37 Jahren starb, hat in den wenigen Jahren seit 1966 45 Filme gedreht, inklusive mehrteiliger Fernsehproduktionen. Er hat 26 Filme selbst oder co-produziert, ist in 21 Filmen anderer Regisseure sowie in 19 eigenen als Darsteller bzw. Gast aufgetreten; er hat 14 Theaterstücke geschrieben, sechs neu bearbeitet und 25 inszeniert. Und er hat vier Hörspiele und 37 Drehbücher verfasst sowie an 13 Drehbüchern mit anderen Autoren zusammengearbeitet.

In der retrospektiven, chronologisch orientierten Ausstellung wird Fassbinders Œuvre als beispielloses Gesellschaftsdokument in Kombination mit Archivmaterial präsentiert. Das System der Film-, Fernseh- und Theaterproduktion der 1960er bis 1980er Jahre wird an seinem vielschichtigen Weg ablesbar; durch seine Werke findet eine neue Qualität Einzug in die öffentlichen Produktionen. Desweiteren soll seine Biografie und sein Werk mit dem gesamtgesellschaftlichen System der Bundesrepublik Deutschland – als Spiegel dessen – verwoben werden: Exponate, Zitate, Fotografien und Grafiken ermöglichen eine Kontextualisierung.

Darf in der Ausstellung nicht fehlen: Silberlamé-Kleid aus „Lili Marleen, groß im Hintergrund zu sehen. Foto: Peter Köster

Unerwartet früher Tod

Fassbinder, am 31. Mai 1945 – direkt nach der deutschen Kapitulation – geboren, erlebte unmittelbar die emotionalen und faktischen Auswirkungen der Nachkriegszeit; sie fließen später direkt und indirekt in sein Bildwerk ein. In seinen Filmen, besonders der sogenannten BRD-Trilogie, versuchte Fassbinder als Seismograph die gesellschaftlichen Tendenzen zu erfassen und offenzulegen. Das Bürgertum und seine erstarkenden und starren Sozialnormen wären auch in „Soll Und Haben“ nach Gustav Freytag behandelt worden – eins von vielen Projekten, die im Laufe von Fassbinders kurzer Schaffenszeit nicht mehr realisiert wurden. Zuletzt arbeitete er an einer Biografie über Rosa Luxemburg – eine Arbeit, die sein unerwartet früher Tod 1982 beendete.

Auch das erweiterte, familiäre System seines ‚Kollektivs‘ spielt eine Rolle in der Ausstellung. Die ‚Familienbildung‘ hatte Methode, und Künstlerinnen und Künstler wie Harry Baer, Ingrid Caven, Irm Hermann, Peer Raben, Hanna Schygulla oder Kurt Raab begleiteten ihn fast seine gesamte Schaffenszeit – dies bildet eine weitere Linie in der Ausstellung ab. Beleuchtet werden ebenfalls filmische, literarische und musikalische Vorbilder und Quellen, die Fassbinder stark prägten und deren Einflüsse sein Werk durchziehen.

Subtil der Spiegel vor Augen gehalten

„Das Ziel der Ausstellung ist es, auf eine Spurensuche zu gehen und Fassbinder auch einem breiteren Publikum in all seinen Facetten vorzustellen – untrennbar verbunden mit der deutschen Kultur, Gesellschaft und Politik“, erklärt die Kuratorin Susanne Kleine. „In allen Werken wird dem Betrachter subtil oder ganz offensichtlich der Spiegel vor Augen gehalten.“ Alles Vernünftige interessiere ihn nicht, sagt Fassbinder 1980 und so sind viele seiner Bilder und Themen, wie Antisemitismus, Migration oder Rollenklischees und Queerness radikal, innovativ, ungewöhnlich und bahnbrechend. Sie wurden zu ihrer Zeit teilweise von großer Kritik begleitet, finden aber bis heute ungebrochen ihren Wiederhall. Auch zutiefst ehrliche, zwischenmenschliche Handlungen und soziale Gefüge wurden von ihm in großer Intensität als Abbilder der Gesellschaft visualisiert, so war es für ihn „… immer wichtig, Filme zu drehen über Menschen und deren Verhältnis zueinander, deren Abhängigkeit voneinander und von der Gesellschaft.“ All das macht sein Werk so nah, aktuell, relevant und unvergessen. Sein Werk zu verstehen, bedeutet sich und andere zu verstehen und zu tolerieren. Die Ausstellung nimmt damit eine doppelte Perspektive ein: historisch und gegenwartsbezogen. Sie spürt die ästhetischen, politischen und medialen Zusammenhänge auf, die unsere Gegenwart von Fassbinders Zeit distanzieren und zugleich mit ihr verbinden.

Persönliche Gegenstände aus dem Nachlass der Mutter

Dem öffentlichen Image Fassbinders wird ein anderes gegenübergestellt: Originaldokumente und persönliche Gegenstände aus dem Nachlass seiner Mutter Liselotte Eder, gewähren den Besucherinnen und Besuchern detaillierte Einblicke in das Lebensumfeld und die Projekte des Regisseurs. Notizen, Briefe, Kalkulationen, Skripte, Drehbücher und -pläne legen Fassbinders Arbeitsweise sowie seine persönliche Haltung dar und verdeutlichen sein strategisches und strukturiertes Vorgehen. Eine Bildschau zeigt den Regisseur hochkonzentriert bei der Inszenierungsarbeit mit seinem Team. An Medienstationen mit digitalisierten Dokumenten, wie beispielsweise vollständigen Drehbuchmanuskripten, können die Besucherinnen und Besucher  virtuell durch das Arbeitsarchiv Fassbinders blättern oder das Diktat zu seinem Opus Magnum „Berlin Alexanderplatz“  (1979/80) anhören. Ergänzend wird das Augenmerk auf die Arbeit Fassbinders mit der Kostümbildnerin Barbara Baum gelegt. Neben ihren Kostümen, wie dem spektakulären Silberlamé-Kleid, das Hanna Schygulla in „Lili Marleen“ (1980) trägt, werden Skizzen aus ihrem Privatbesitz präsentiert. Prädikat: Absolut sehenswert. Peter Köster

Rainer Werner Fassbinder in lässiger Pose. Foto: Peter Köster