Marcel Reich Ranicki – Eine Legende ist heute gestorben

Marcel Reich Ranicki

Nur ein Unterwegs-Telefongespräch, mit Waldemar Ritter

Kabinett: Wir wissen, dass Sie aus unterschiedlichem Anlass mit Reich Ranicki zusammen getroffen sind. Haben Sie auch mit ihm gestritten?

Ritter: Nein, das haben wir nicht, obwohl oder gerade weil wir zwei streitbare Menschen sind..

K: Wollen sie heute , an seinem Todestag zu ihm etwas sagen?

Ritter: Besser Sie lesen was er selbst, vor dem Deutschen Bundestag erklärt hat – nicht als Historiker, sondern als Zeitzeuge einer  von den Nationalsozialisten vergewaltigten Kultur. Und das Kultur das Wichtigste ist, was wir haben

K: Reich Ranicki war der bedeutendste deutsche Literaturkritiker.

Ritter: Nicht nur. Er kritisierte vor allem: „Es wird nicht erzählt, sondern mitgeteilt und festgestellt“.in Deutschland. Er war ein lebendiger und permanenter Protest gegen Halbbildung, Langeweile und Mittelmaß. Ein Streiter für die Klassik, die Hochkultur und ihre aufgeklärten Wurzeln in Deutschland. Leidenschaftlich und authentisch, auch wen kein  Fernsehen dabei war. Sie wissen, den Flachbildschirm, den ihm angetragenen Fernsehpreis lehnte er kategorisch ab. Es war ein Glück, dass dieser große Mann aus dem Warschauer Ghetto, aus Polen wieder zurück nach Deutschland kam.

K: Sie haben mit Reich Ranicki in der alten Aula der Heidelberger Universität zusammen vor getragen und miteinander über Liebe und Tod, über Wissenschaft und Erkenntnis gesprochen. Woran erinnern sie sich?

Ritter: Das wäre ein weites Feld. Denken Sie nur an die Proverbien Salomonis. Es gab aber einen Gedanken, den ich in seinem letzten Interview vor seinem Tod wieder erkannte: „Jeder weiß, dass Leben  irgendwann endet. Aber selten machen wir uns klar, dass wir selbst es sind, die sterben werden. Während die Welt ungerührt weiterexistiert. Literatur und Kultur öffnet uns manchmal für Momente die Augen für diese Wahrheit, vor der wir sie sonst zumeist verschließen.“

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