Lieben sie jemand? Oder was fehlt Ihnen zum Glück?

Dr. Waldemar Ritter Foto: boskap

1.Sind Sie sicher, dass Sie die Erhaltung des Menschengeschlechts, wenn Sie und alle Ihre Bekannten nicht mehr sind, wirklich interessiert?

Ja, trotz allem. Wenn ich nicht mehr bin, kann  nur  diese Antwort Auskunft geben, was mich heute interessiert.

2.Warum?

Weil ich in diesem Jahr nicht nur für meine Kinder und Enkel und die noch nicht geborenen Enkel meiner Kinder und meiner Freunde ein Apfelbäumchen gegen den Weltuntergang im nächsten Jahr gepflanzt habe. Außerdem ist die Vorstellung  schön für mich, wenn es auch nach meinem Tode noch Menschen gibt, die über meine Gedanken, meine   Bücher und andere  Schriften mit mir sprechen. Kinder  interessiert nichts mehr , als das was ihnen die Erwachsenen verschweigen.

3.Wie viele Kinder von Ihnen sind nicht zur Welt gekommen durch ihren Willen?

keine

4.Wem wären Sie lieber nicht begegnet?

Dem Ministerialdirektor, der  an der Wannseefolgekonferenz und der Judenvernichtung der Nazis beteiligt war und nach frühem Kontakt zur Kommunistischen Partei fortan  für die SED-DDR-Stasi tätig gewesen ist. Aber auch den Schriftstellern , Politikern und einigen anderen Leuten aus West und Ost, die ihre Kollegen und andere Menschen bei derselben Stasi denunzierten. „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant“

5.Wissen Sie sich einer Person gegenüber, die nicht davon zu wissen braucht, Ihrerseits im Unrecht und hassen Sie eher sich selbst oder die Person dafür?

Hassgefühle sind mir fremd. Aber nicht Schuld, die ich und andere haben. Es gibt Situationen, in denen wir Menschen  nur zwischen größerer und kleinerer Schuld entscheiden können. Auch nichts tun kann uns schuldig machen.

6.Möchten Sie das absolute Gedächtnis?

Ja, aber unter der Bedingung, dass vorher der gesamte Informationsmüll mitsamt den dazu gehörigen Klugscheißern entsorgt wird.

7.Wie heißt der Politiker, dessen Tod durch Krankheit, Verkehrsunfall usw. Sie mit Hoffnung erfüllen könnte? Oder halten Sie keinen für unersetzbar?

Niemals möchte ich Menschen den Tod oder Krankheit wünschen. Aber der Tod jedes Tyrannen würde mich mit Hoffnung erfüllen.

8.Wen, der tot ist, möchten Sie wiedersehen?

Einen verstorbenen Demenzkranken, wenn er mir  sagen könnte, wie er diese Lebenszeit empfunden hat.

9.Wen hingegen nicht?

Wenn sie Spaß verstehen, den, mit der Grabinschrift: Hier ruhen meine Gebeine, ich wollt es wären Deine.

10.Hätten Sie lieber einer anderen Nation (Kultur) angehört  und welcher?

Nein, auch nach dem Kulturbruch der beiden totalitären Diktaturen nicht, die die europäische Kultur überwunden hat, zumal Europa  zum wenigsten ein geographischer, sondern vor allem ein kultureller Weltteil ist . Zu ihm geht man am besten mit  Aufklärung und Wissenschaft , mit Kunst und Kultur durch die eigene Haustür und seine eigene Muttersprache.

11.Wie alt möchten Sie werden?

Man(n) ist ja keine 70 mehr. Eine Zigeunerin sagte mir vor 50 Jahren in Marseille, dass ich 92  Jahre  alt werde. Daran möchte ich fest halten.

12.Wenn Sie Macht hätten zu befehlen, was Ihnen heute richtig scheint, würden Sie es befehlen, gegen den Widerspruch der Mehrheit? Ja oder nein.

Nein. Aber ganz sicher bin ich mir nicht, wenn es keine Amtsbegrenzung und Gewaltenteilung gibt.

13.Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint?

Weil  sogar ursprünglich anständige Menschen mit viel und lang andauernder Macht sich tendenziell wie Menschen mit einem Hirnschaden benehmen. Außerdem hat niemand das Recht andere zu ihrem Heil oder Glück zu zwingen. Nicht einmal die Mehrheit.

14.Hassen Sie leichter ein Kollektiv oder eine bestimmte Person und hassen Sie lieber  allein oder im Kollektiv?

Hass ist mir zu hässlich. Richtig ist, dass ich bestimmte Personen und Kollektive nicht mag. In der Anonymität vieler Kollektive verstecken sich oft  Feiglinge, und solche Leute, die keine persönliche Verantwortung, keine persönliche Haftung für ihr Handeln übernehmen. Wichtiger ist, wie bei Dir, lieber Max Frisch, dass man einzeln oder im Kollektiv nicht durch Gehabe oder auch nur überragender Intelligenz und Bildung ein Intellektueller wird, sondern erst dadurch, dass man diese in den Dienst des Allgemeinwohls stellt.

15.Wann haben Sie aufgehört zu meinen, dass sie klüger werden oder meinen Sie`s noch? Angabe des Alters.

(78) Ich habe noch immer nicht aus gelernt. Und der Volksmund sagt: „Durch Erfahrung wird man klüger.“ Durch alte und neue Erfahrung. Ich glaube das Volk hat grundsätzlich  recht.  Allerdings denke ich auch an Pawlows bedingte Reflexe.

16.Überzeugt Sie ihre Selbstkritik?

Ich weiß nicht, ob ich meiner Selbstkritik immer trauen kann. Manchmal gehen mir einige meiner eigenen Meinungen auf die Nerven, aber ich hab keine anderen. Manchmal liebe ich sogar den einen oder anderen meiner Fehler, von denen Gutmenschen – im Unterschied zu guten Menschen – und einäugige Moralapostel sagen, dass man so nicht leben darf. Ich glaube nicht, dass alle, die es gut mit den Menschen meinen diesen Sauerampfer, diese Unbarmherzigkeit, diese Anleitung zum Unglücklichsein mögen: „…wie kannst du fröhlich sein, wenn Christus für uns am Kreuz gestorben ist?“

17.Was, meinen Sie, nimmt man Ihnen übel, und wenn es nicht dieselbe Sache ist: Wofür bitten Sie eher um Verzeihung?

Wenn ich von der Ausbeutung der arbeitenden Menschen durch den privaten und staatlichen Pumpkapitalismus spreche. Außerdem halten mich einige Leute für hochmütig, eitel und ungeduldig. Wenn das so sein sollte, bitte ich um Nachsicht und um  glaubhafte Prüfung warum sie das so empfinden. Nach wie vor bleibe ich aber  voller eitel Freude, eitel Wonne, eitel Gold der Sonne,  nicht jedoch bei reinen Kaufhauswahrheiten politischer und medialer Meinungsbesorger. Um Verzeihung bitte ich allenfalls  für meine  Aldi Armbanduhr, die  für  6 Euro 99  (drei Jahre Garantie und wasserdicht)  eine Art Statussymbol  für mich ist

18.Wenn Sie sich beiläufig vorstellen, Sie waren nicht geboren worden: beunruhigt Sie diese Vorstellung?

Lieber Max Frisch, eigentlich denke ich über so etwas nicht nach. Ich bin ja da, so dass diese Frage  eines Deiner eigenen ungelösten Probleme ist. In Deinem Tagebuch 1946-1949 steht auf Seite 464: Es ist „immer das Fällige was uns zufällt.“ Das ist nicht beiläufig. Eher eine beruhigende Vorstellung für mich.

19.Wenn Sie an Verstorbene denken: wünschen Sie, dass der Verstorbene zu Ihnen spricht, oder möchten Sie lieber dem Verstorbenen noch etwas sagen?

Weder noch. Aber zuweilen habe ich gute Träume mit ihnen

20.Lieben Sie jemand?

Ja

21:Und woraus schließen Sie das?

Weil … die Liebe ist, was sie ist und wie sie ist das Hohe Lied, das Grundgesetz unser humanen Existenz. Oder wie Martin Walser sagt: „Die Heruntermacher bersten vor Gründen. Liebe braucht keinen Grund.“

22.Gesetzt den Fall, Sie haben nie einen Menschen umgebracht, wie erklären Sie es sich, dass es dazu nie gekommen ist?

Wahrscheinlich Empathie

23.Was fehlt Ihnen zum Glück?

Nichts

24.Wofür sind Sie dankbar?

Für lebenslange und neue Freundschaften, für Begegnungen mit wundervollen Menschen, für  meine noch zu meinen Lebzeiten in Erfüllung gegangenen politischen und kulturellen Ziele, wofür mir schon unterwegs das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde, und für alles, was ich mir nicht kaufen kann: Liebe vor allem!

25.Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit Leben als gesundes Tier? Und als welches?

Wenn sie das ohne Pathos verstehen: Noch eine Zeit leben als  ein Kind der Euruopa, das heißt „weithin blickend“ als gleitender Vogel über den Bergen, die ich früher bestiegen habe.

Nachdruck von 2011

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