Landesmuseum Bonn zeigt die Ausstellung „Germanen. Eine archäologische Bestandsaufnahme“ – Eine Zeitreise bis ins 1. bis 4. Jahrhundert nach Christus

Relief mit Darstellungen von Gefangenen, Kalkstein. Foto: Peter Köster

Bonn/Berlin. Start einer Zeitreise bis ins 1. bis 4. Jahrhundert nach Christus zu den Germanen. So haben die Römer die Menschen bezeichnet, die rechtsrheinisch und bis ans Schwarze Meer gelebt haben. Menschen mit wild blickenden blauen Augen rötlichem Haar und große Gestalten. Dumpfe und kriegslüsterne Gesellen, die in Sümpfen und Urwäldern hausten. Das Bild der Germanen ist von diversen Vorurteilen geprägt. Wer schlussendlich wissen will, wer die Germanen wirklich waren, kann dies nun im Landesmuseum Bonn erleben. „Germanen eine archäologische Bestandsaufname“, lautet der Titel der Ausstellung, die bis zum 24. Oktober gezeigt wird.

Schlackeklotz aus Eisenschlacke. Foto: Peter Köster

Geschichte der Deutschen

Immer wieder sind die Germanen in den Fokus gerückt, wenn es um die Geschichte der Deutschen geht und jetzt präsentiert eine großangelegte Ausstellung dank umfangreicher Ausgrabungen und intensiver Forschungen eine Vielzahl neuer Erkenntnisse zu den Germanen. Präsentiert werden hochkarätige Objekte aus Deutschland, Dänemark, Polen und Rumänien. Sie bieten neue Einblicke in die ferne Welt der Germanen: Wie haben sie gelebt und gewirtschaftet? Wie waren ihre Gesellschaften organisiert? Was haben sie geglaubt? Welche Rolle spielten die Beziehungen zu den Römern? Wie bildeten sich Gruppen und Identitäten? Und wie erklärt sich angesichts der benachbarten „Hochkultur“ des Römischen Reiches, dass die Germanen über Jahrhunderte hinweg auf ganz anderen Wirtschafts- und Lebensformen beharrten?

Eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen

Die Ausstellung macht deutlich, dass es keine einheitliche germanische Welt gab, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen, die in komplexen Austauschverhältnissen standen. Spektakuläre Funde wie auch einfache Gebrauchsgegenstände zeichnen das Bild einer agrarisch ausgerichteten Gesellschaft mit einer überregional vernetzten Oberschicht, die vor allem in üppig mit Edelmetall und römischen Importen ausgestatteten Gräbern sichtbar werden. Aber: die Germanen hat es nie gegeben. Es waren einzelne Volksgruppen, aber nie eine Bevölkerung. Der Begriff ist eine Erfindung der Römer und geht auf Cäsar zurück, der in seinem Kriegsbericht „De bello Gallico“ alle Stämme rechts des Rheins als Germanen bezeichnete. Später hat der Historiker Tacitus in seiner Schrift „Germania“ Sitten und Bräuche der dortigen Menschen eingehend beschrieben. Die „Germania“ von Tacitus war übrigens lange vergessen, ihre einzig erhaltene Abschrift ist im 15. Jahrhundert in der Abtei Hersfeld entdeckt worden. Ohnehin kannten Cäsar und Tacitus das meiste, was sie zu berichten hatten, nur rein vom Hörensagen. „Die so genannten Germanen selbst haben keine vergleichbaren Texte hinterlassen. Sie betrieben keine Historiografie. Ihre Runenschrift, aus der wohl im 3. Jahrhundert ein Alphabet mit 24 Zeichen entstand, diente hauptsächlich der Alltagskommunikation“, sagt Kurator Michael Schmauder. Forschungen zu Germanen seien wesentlich durch das Spannungsfeld zwischen Römischem Reich und der Germania geprägt, wobei die römische Perspektive häufig im Vordergrund stehe.

Relief eines kniende Barbaren, Sandstein. Foto: Peter Köster

Germanenkriege Roms

Allgemein bekannt sind die Germanenkriege Roms, allerdings nur aus römischer Sicht. Jedoch haben auch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen germanischen Stammesverbänden untereinander archäologische Spuren hinterlassen. Umfangreiche Kriegsbeuteopfer, die in Norddeutschland und Skandinavien in Mooren versenkt wurden, vermitteln einen Eindruck von der Größe germanischer Heere, ihrer Ausrüstung und Organisation nach römischem Vorbild. Einer der wertvollsten Funde aus dem Thorsberger Moor nahe Schleswig ist ein Zierblech aus vergoldetem Silber- und Bronzeblech mit plastisch herausgearbeitetem Tierfries und eng aneinandergereihten Menschenköpfen, das den Göttern als Dank für den Sieg im Kampf geopfert wurde.
Objekte könnten auch aus der Steinzeit stammen
Wo und wie lebten die Germanen? Sie lebten an der Elbe und weit nach Polen und Bulgarien hinein. Das wird sehr bewusst in der Ausstellung dokumentiert. So gibt es u.a. Objekte aus Bulgarien zu sehen. Die wirken deutlich wertvoller als die aus Nordrhein-Westfalen, die einem zu Beginn der Ausstellung begegnen. Hierbei handelt sich um einfache Objekte wie Töpfe aus Ton und Werkzeuge aus Holz, die man eher in der Steinzeit verorten würde. Nur ist diese bereits seit 3000 Jahren vorbei. Desto weiter man aber in die Ausstellung eintaucht, desto mehr zeigt sich, dass das Land NRW doch mehr zu bieten hatte, als nur diese „Steinzeit-Relikte“. So sieht man in den Vitrinen, Schmuck aus Gold und Prunkwaffen aus Silber. Offenbar hatten einzelne Stammesfürsten Feinschmiede, die ihnen diese wertvollen Gegenstände herstellen konnten. Im Verlauf der Jahrhunderte veränderte sich die germanische Kultur. Sie war nicht mehr ganz so ärmlich wie am Anfang und konnte sich durch den Kontakt mit den Römern weiter entwickeln.
Die enzyklopädisch angeordnete Ausstellung beginnt ungefähr zur Zeit Cäsars und endet mit der Völkerwanderung um 400, als Stämme wie die Goten, Vandalen und Sueben nach Süden aufbrachen und über den Limes tief ins römische Imperium vordrangen. Zwei großformatige bildliche Rekonstruktionen hängen einander gegenüber und zeigen, welche Kulturen am Rhein aufeinanderstießen: das römische Bonn und eine germanische Siedlung. Während Bonn eine von einer Wehrmauer umfasste Stadt mit schachbrettartig angelegten Gebäuden war, lebten die Germanen in dörflich zusammengerückten Gehöften neben Äckern und Wiesen.
Anhand der überlieferten und erhaltenen Dokumente wird sehr präzise das Alltagsleben der Germanen dargestellt. Andere Kapitel behandeln einzelne Bereiche, wie die Arbeit mit Rohstoffen. Dann gibt es die gesellschaftlichen Strukturen, aber ohne feste Organisationen. Sie betreffen nur einzelne Gruppen wie die Burgunder oder die Langobarden, natürlich die Goten und die Vandalen. Da es keinen Volksstamm der Germanen gibt, gibt es auch keinen Regenten. Das zeigt sich besonders bei kriegerischen Einsätzen, die sie gegen die Römer führen. Sie haben keine Führungsstruktur und sind mit ihren einfachen Waffen den römischen Legionen militärisch weit unterlegen. Die Römer sind hochgerüstet, extrem effizient ausgestattet und straff geführt.

Siegreiche Varus-Schlacht

Dass die Germanen dennoch in der Varusschlacht gewonnen haben, dürfte sicherlich als Ausnahmefall zu bewerten sein. Aber diese Varus-Schlacht ging in die Geschichte ein. Offenbar war dies der Punkt, weswegen man dann versucht hat, die Germanen als die ruhmvollen Ahnen der Deutschen zu reklamieren. Darauf verweist ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert. Es zeigt den siegreichen Arminius in einer prunkvollen Ritterrüstung. Laut einer antiken Überlieferung, die rekonstruierbar war, wurde Arminius stellvertretend zum Vorfahren der Deutschen erklärt. Die Germanen waren aber, wie bereits erwähnt, keine Vorfahren der Deutschen. Sie waren ein Kunstbegriff aus römischer Feder. Beim Zerfall des Römischen Reiches, des weströmischen Reiches sollte man genauer sagen, im 5. Jahrhundert, verschwanden sie bezeichnenderweise ebenso aus dem Bewusstsein der Geschichte.

Die Bonner Ausstellung entstand in Kooperation mit dem Museum für Vor- und Frühgeschichte Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Peter Köster