Kunstmuseum Bonn bietet facettenreiches Jahresprogramm

„Menschheitsdämmerung“ (Fluid Lovers), 2018 Stoff, Pappmaché, Mixed Media ca. 95 x 57 x 40 cm Courtesy: Künstlerin und Petra Rinck Galerie © Emma Talbot

Von der Fotografie über den Bonner Kunstpreis bis hin zur Videonale, über Wiebke Siem bis hin zuKunst in Umbruchzeiten und der Retrospektive von Günter Fruhtrunk fächert sich das Ausstellungsprogramm des Kunstmuseums für 2023 auf.

Konzepte für Fotografie

Den Startschuss gibt die Ausstellung: „Expect The Unexpected“ (Aktuelle Konzepte für Fotografie) die vom 16. Februar bis 30. April gezeigt wird. Neben den gewohnten fotografischen Werkzeugen arbeiten die Künstlerinnen und Künstler mit neuen, fotografiebasierten Tools wie Photogrammetrie, 3-D-Scanning, 3-D-Druck und erforschen auf diesem Wege unbekanntes Terrain. Dabei rückt die Interaktion von Mensch und Maschine in den Mittelpunkt: Wer kann für sich die Deutungshoheit über die neuen digitalen Bildwelten in Anspruch nehmen: menschliche Augen oder Bilderkennungsalgorithmen? Was kann in den Spannungsfeldern Realität und Virtualität, Materialität und Immaterialität entstehen? Passen unsere Ansprüche an Fotografie noch mit der Realität einer global vernetzten, fotografisch dominierten Lebenswirklichkeit zusammen, in der Deepfakes und Gesichtserkennung zum Alltag gehören? Dies alles sind Fragen, die in der Ausstellung verhandelt und zur Diskussion gestellt werden.

Öffentlicher Raum

Ebenfalls im Februar stellt sich die Preisträgerin des Bonner Kunstpreises, Eva Berendes, vor. Die Ausstellung dauert vom 23. Februar bis 30. April. Berendes arbeitet an der Schnittstelle von Architektur, Gestaltung und Kunst. In ihren malerisch skulpturalen Werken setzt sie sich mit der Bedeutung von Abstraktion auseinander, deren Implikationen sich nicht nur auf den künstlerischen Bereich beschränken, sondern auch in gesellschaftlichen Systemen einen Widerhall finden – wie beispielsweise in der Gestaltung des öffentlichen Raums.

Günter Fruhtrunk „Vektoren“, 1969/70 Acryl und Kasein auf Leinwand 193 x 190 cm Dauerleihgabe Sammlung KiCo © VG Bild-Kunst, Bonn 2022,
Foto: Reni Hansen

Reise nach Barcelona

Für das Ausstellungsprojekt im Kunstmuseum Bonn und der damit verbundenen Recherche ist Eva Berendes nach Barcelona gereist, um sich mit den frühen Bauten des katalanischen Architekten Ricardo Bofill auseinanderzusetzen. So ist eine neue Werkgruppe entstanden, die sowohl im Ausstellungsraum als auch vor dem Museum platziert werden soll und in einen direkten Dialog mit der Museumsarchitektur von Axel Schultes tritt. Die Arbeiten, die an Portale oder auch Durchgänge erinnern, lassen eine mehrdimensionale Begegnung mit den malerischen Elementen zu, da diese nicht allein durch das Sehen, sondern auch durch die Bewegung des Körpers im Raum erfasst werden.

Videonale.19 Isabell Spengler, Antonia Baehr, Jule Flierl Die Hörposaune, 2022 © die Künstlerinnen

Weltweite Jury

Die Videonale.19, Festival für Video und zeitbasierte Kunstformen (31. März bis 14. Mai) präsentiert insgesamt 27 Positionen der internationalen Videokunst, die von einer Wettbewerbsjury aus 1.988 Einsendungen weltweit ausgewählt wurden. Jedes Werk verhandelt auf seine ganz eigene Weise die relevanten Themen unserer Zeit, wie unser Verhältnis zu Natur und ihren Ressourcen, der Umgang mit persönlichen und gesellschaftlichen Krisen und Konflikten oder auch die Suche nach der eigenen Stimme in der Polyphonie der Meinungen, die tagtäglich auf uns einströmen. Die Gesamtschau im Kunstmuseum Bonn wird so zu einem lebendigen Tableau gegenwärtiger Welterfahrung, zusammengehalten durch eine spezifisch für diese Videonale entwickelte Ausstellungsarchitektur. Mit einem ausgedehnten Festivalprogramm während der Ausstellungslaufzeit im Kunstmuseum Bonn und verschiedenen Orten der Stadt lädt die Videonale zum vielfältigen Dialog über die Werke und ihre Themen ein.

Ausstellungstournee

„Wiebke Siem Das maximale Minimum“ lautet der Titel der Ausstellung, die vom 1. Juni bis 17. September gezeigt wird. Wiebke Siem (* 1954 in Kiel, lebt und arbeitet in Berlin) wurde in den 1990er-Jahren mit großen Installationen bekannt, in denen sie Möbelstücke, Haushaltsgegenstände und skurrile Figuren zu psychologisch aufgeladenen, beklemmenden wie humorvollen Raumbildern zusammenfügte. Neben motivischen Anleihen aus der Kunst- und Kulturgeschichte kommt der kritischen Auseinandersetzung mit den Mechanismen des männlich dominierten Kunstbetriebs besondere Bedeutung in Wiebke Siems Schaffen zu. Indem sie sich zudem immer wieder einer Formensprache und Präsentationsweise bedient, die auf ethnologische Objekte und Sammlungen verweisen, kommentiert sie die problematischen Aneignungsstrategien von außereuropäischer Kunst in der Moderne. Das Kunstmuseum Bonn ist nach dem Kunstmuseum Den Haag und dem Museum der Moderne Salzburg die dritte und letzte Station der groß angelegten Ausstellungstournee.

„Expect the Unexpected“ Oliver Laric Hunter and Dog, 2020 Polyurethan, Pigmente, Aluminiumgestell 184 × 70 × 55 cm Unikat © der Künstler und Tanya Leighton, Berlin und Los Angeles.

„Menschheitsdämmerung“

(Die Ausstellung „Menschheitsdämmerung“ (Laufzeit:  19. Oktober bis 18. Februar 2024) führt Werke der eigenen Sammlung der Klassischen Moderne, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden sind, mit zeitgenössischen Werken aus den ersten beiden Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts unter dem Aspekt der Reflexion der tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen zusammen.

Die Umbruchgesellschaften des beginnenden 20. sowie 21. Jahrhunderts befragen gesellschaftliche Werte und Normen, konstatieren das Ende bestimmter Welten, werfen tradierte Strukturen über Bord, fordern neue Lebensentwürfe und zelebrieren ein verändertes Lebensgefühl, das in den jeweiligen Kunstwerken sichtbar wird. In der Gegenüberstellung der Arbeiten zeichnen sich nicht nur signifikante Parallelen, sondern auch Unterschiede ab, die unsere Zeit unter anderem aufgrund der fortschreitenden Globalisierung hervorbringt.

Eva Berendes „ Gate 2“ (steps), 2020 Baumwolle, Polyester, Färbung, Holz, Stahlschrauben 280 x 200 x 60 cm Ausstellungsdokumentation.
Foto: © Heinrich Holtgreve

Werkstatt-Raum

„Werkstatt für Manifeste von Kindern und Jugendlichen“, ist dieses vom 22. Oktober bis 28. Januar 2024 gezeigte Projekt überschrieben. Was bewegt euch? Was wünscht und fordert ihr? Wogegen richtet ihr euch? Für was setzt ihr euch ein? Was ist für euch wichtig? Parallel zur Ausstellung“ Menschheitsdämmung“ mit Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern zu Umbrüchen in ihrer jeweiligen Epoche können hier Kinder und Jugendliche ihre Sicht auf die Gegenwart und Zukunft in einem Werkstatt-Raum auf den Punkt bringen.

Eigenes Paradigma der Abstraktion

Abschluss des Jahresprogramms im Kunstmuseum bildet die Ausstellung „Günter Fruhtrunk“, die vom 16. November bis zum 10. März 2024 gezeigt wird. Das Anliegen dieser anlässlich des 100. Geburtstages von Günter Fruhtrunk (1923–1982) geplanten Retrospektive ist es, die bislang noch nicht genügend gewürdigte Bedeutung dieses international wichtigen Werks im Kontext der Nachkriegs-Abstraktion exemplarisch aufzuarbeiten. Fruhtrunk, der in den 1950er-Jahren in Freiburg im Breisgau wichtige Impulse von Julius Bissier und in Paris von Fernand Léger und Hans Arp erhielt, arbeitete zeitlebens mit einer faszinierenden Hartnäckigkeit und Präzision daran, ein eigenes Paradigma der Abstraktion zu entwickeln. Die gemeinsam mit dem Museum Wiesbaden entwickelte Ausstellung umfasst rund 60 Gemälde aus allen Schaffensphasen. Peter Köster

Wiebke im Maskenkostüm Untitled, 2001 Sammlung Kerstin Hiller und Helmut Schmelzer © Wiebke Siem Foto: Hans-Georg Gaul