Kunst-Fonds-Stipendiatin Sung Tieu im Kunstmuseum Bonn

Die vietnamesische Künstlerin Sung Tieu inmitten ihrer Installation „Fall“. Foto: Peter Köster

Installation „Fall“ spiegelt den DDR-Alltag für „Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter “aus Vietnam wieder

Ein flimmender Fernseher, ein rauschendes Transistor-Radio und ein Computer-Oldie. Elektronik-Relikte, die in eine aus grauen Elementen bestehende Styropor-Landschaft eingebettet sind und das ganze auf einen Raum ausgerichtet: „Fall“ nennt die vietnamesische Kunstfonds-Stipendatin Sung Tieus ihre Installation, die sie bis zum 12. Dezember im Kunstmuseum Bonn zeigt. Sung Tieu (*1987 in Hai Duong, Vietnam) lebt und arbeitet in Berlin. Sie studierte Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, am Goldsmiths College in London sowie im Postgraduiertenprogramm an der Royal Academy of Arts in London.

Abgrenzung gegen alles und jeden

Mit ihrer im Haus an der Museumsmeile ausgestellten Arbeit spiegelt die Künstlerin Sung Tieus den DDR-Alltag für „Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter “aus Vietnam wieder. Dieser Alltag im ehemaligen Arbeiter und Bauernstaat war grau und trist, zu vergleichen mit der Styroporlandschaft. Sie besteht aus mehreren Elementen, die in unterschiedlicher Form zusammengesetzt werden können. An der Wand hängen künstlerisch veränderte Dokumente aus dem Bundesarchiv in Lichterfelde, die der Ausstellung ihren Namen gaben: „Fall“. Es handelt sich um einen bürokratischen Vorgang, bei dem minutiös die „Festlegung zur Ausarbeitung von Konzeptionen zur Ablösung der in den Betrieben der DDR beschäftigten ausländischen Werktätigen“ eingehalten werden soll. Garniert ist die „Festlegung“ mit einem Jägerzaun-Motiv, dieser typisch deutschen Form von Abgrenzung gegen alles und jeden.

Fünfjährige Einsatzzeit in der DDR

1980 schloss die DDR mit der Sozialistischen Republik Vietnam ein sogenanntes „Anwerbeabkommen“ ab, um dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Durch das Abkommen wurden in den folgenden Jahren Tausende junger Vietnamesinnen und Vietnamesen als Arbeitskräfte nach Ostdeutschland geholt. Zeitweise sollen es bis zu 80 000 bis 100 000 Menschen gewesen sein, die auf 700 bis 1000 Betriebe verteilt wurden. Ihr Aufenthalt wurde in der Regel vertraglich auf vier oder fünf Jahre begrenzt. Sie erhielten eine Ausbildung und schufteten in der Produktion. Sie arbeiteten in Kraftwerken, im Rostocker Hafen, als Näherinnen oder im Schlachthof und eben auch in den Betrieben, die jene Waren herstellten, die Tieu für ihre Installation verwendete. Diese Geräte, die die vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter zusammenschraubten kamen u.a. aus  dem Dresdner VEB Kombinat „Robotron“, größter Computerhersteller der DDR, dem VEB „Stern-Radio“ Berlin, Dachorganisation für die Rundfunkgeräte-Fabrikation der DDR. Es sind das eingangs beschriebene  rauschende Kofferradio, der Computer und der flimmernde Fernseher. Die Elektronik-Relikte aus der DDR erwarb Tieu über Ebay.

Ergebnisse eigener historischer Recherchen

In der Bonner Ausstellung lenkt die Künstlerin den Blick besonders auf die Zeit der Wende um 1989, in der das Vertragsabkommen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und Vietnam endete. Für tausende von Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter in der sich auflösenden DDR bedeutete dies einen jähen Bruch in ihrem Alltag. In ihrer Kunst arbeitet Sung Tieu oft mit den Ergebnissen eigener historischer Recherchen. Sie verknüpft diese mit autobiografischen und fiktiven Elementen zu neuen räumlich erlebbaren Installationen.

Zu grafischen Blättern weiterverarbeitet

In Archiven recherchierte die Künstlerin Fluglisten, Heimordnungen, Formulare und Verträge und folgte den bürokratischen Spuren, die nicht nur Rückschlüsse auf das Leben der vietnamesischen „Vertragsarbeiter“ in der DDR erlauben, sondern auch auf die deutsche Sucht, das Leben anderer bis ins letzte Detail zu verwalten und zu reglementieren. So war es Vertragsarbeiterinnen beispielsweise verboten, während ihres Aufenthaltes schwanger zu werden oder eine Familie zu gründen. Die Künstlerin hat die Dokumente abgeschrieben und sie die nun in Stahl gerahmt, Teil der Bonner Ausstellung sind. Darunter befindet sich etwa eine Liste für ausgewählte Gegenstände, die durch vietnamesische Werktätige innerhalb einer fünfjährigen Einsatzzeit in der DDR ausgeführt werden dürfen.

„Die Ausstellung sagt viel mehr über die DDR als über die vietnamesischen Vertragsarbeiter“, sagt Sung Tieu, deren Vater einer von ihnen war. „Mein Vater war ein intelligenter Student, der sich von dem ihm unbekannten Land positive Impulse für sich und seine Familie erhoffte. Die Realität sah aber anders aus. Er musste nur stumpfe Arbeit leisten“. Die Träume waren zerplatzt. Wie ihren Eltern, so erging es vielen Vietnamesinnen und Vietnamesen im ehemaligen „Arbeiter- und Bauernstaat“.

Die Geschichte ist noch nicht auserzählt

Als 1989 die Mauer fiel, befanden sich rund 60 000 vietnamesische Vertragsarbeiter in der DDR. Der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft bedeutete für sie nicht nur den Verlust der Ausbildungs- und Arbeitsplätze, sondern oft auch den Verlust ihrer Unterkunft in den betriebseigenen Wohnheimen, in denen sie für gewöhnlich isoliert von der übrigen Bevölkerung untergebracht waren. Rassistische Übergriffe nahmen zu. Im 1990 unterzeichneten Einigungsvertrag zwischen den beiden deutschen Staaten blieb der aufenthaltsrechtliche Status der Vertragsarbeiter ungeklärt. In den letzten Tagen der DDR organisierten manche Betriebe Charterflüge und drängten Vertragsarbeiter regelrecht zur Rückreise. In nicht wenigen Fällen wurde das vereinbarte Entschädigungsgeld nicht ausgezahlt. Erst in der zweiten Hälfte der Neunziger verbesserte sich der Aufenthaltsstatus vieler ehemaliger Vertragsarbeiter in Deutschland. Dennoch ist die Geschichte der Vertragsarbeit in der DDR für Sung Tieu lange noch nicht auserzählt. „Sie wurde in den vergangenen Jahrzehnten unter den Teppich gekehrt und auf diese Weise unsichtbar gemacht.“ Peter Köster