In einer Zeit, in der die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft vor vielfältigen Herausforderungen stehen, sind fundierte Lösungsansätze gefragt. Die anhaltende konjunkturelle Schwäche, strukturelle Hürden und der Rückgang in internationalen Rankings stellen Deutschland vor große Aufgaben. In diesem Interview sprechen wir mit Wolfgang Bosbach über die notwendigen Schritte zur wirtschaftlichen Erholung, die Herausforderungen der Rentenreform und die Zukunft der deutschen Industrie. Neben innenpolitischen Fragen, wie dem Umgang mit der Einwanderung und dem politischen Einfluss der Ukraine-Politik, widmen wir uns auch Themen wie der Energiewende und der Rolle Deutschlands in der europäischen Gemeinschaft.
Klaus Michel: Die deutsche Wirtschaft, die von der Weltspitze abgerutscht ist, hat konjunkturelle und strukturelle Schwächen. Die Wirtschaftsinstitute und der Wirtschaftsminister reduzieren das Wirtschaftswachstum auf 0,2 %.
Welche Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach notwendig, um die Wirtschaft anzukurbeln und verlorenes Vertrauen wieder zurückzugewinnen?
Wolfgang Bosbach: Es geht in puncto Wirtschaft nicht nur um politische oder gesetzliche Maßnahmen, es geht auch und nicht zuletzt um unsere Haltung zu dem, was für eine starke Volkswirtschaft wichtig ist: Der Bundeskanzler sagt: „Der Wohlstand basiert auf dem Sozialstaat“. Irrtum, Euer Ehren! Unser Wohlstand basiert auf dem Fleiß von Menschen, der Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Also müssen die Rahmenbedingungen stimmen, in denen unsere Firmen arbeiten müssen. Die Stichworte lauten hier: Beschleunigung von Genehmigungsverfahren, weniger Bürokratie, niedrigere Energiekosten, Modernisierung der Infrastruktur.
Michel: Wie schätzen Sie die neue Rentenreform ein? Können die Einzahlungen der Arbeitnehmer in Aktienfonds der einzige Weg sein, die Probleme und die Sicherstellung der Renten zu gewährleisten?
Bosbach: Nicht der einzige, aber ein vernünftiger Weg. Der Aufbau einer neuen Säule der Altersversorgung, hier kapitalgedeckt, macht Sinn, weil die Rendite des eingesetzten Kapitals – jedenfalls auf lange Sicht – überdurchschnittlich hoch sein wird. Das haben die letzten Jahre eindrucksvoll bewiesen. Darüber hinaus geht es auch um die Themen betriebliche und private Altersvorsorge, denn Riester war doch nicht der erwartete große Erfolg.
Michel: Die deutschen Automobilhersteller und die Zulieferindustrie haben große Schwierigkeiten.
Plädieren Sie für eine Förderung der Elektroautos? (z.B. Kaufpreisprämie). Sind die von der EU geplanten Einfuhrzölle auf chinesische E-Autos aus Ihrer Sicht der richtige Weg?
Bosbach: Wenn die E-Automobile – wie gerne behauptet – den herkömmlichen KFZs tatsächlich technisch und ökologisch haushoch überlegen wären, bräuchte es keine Kaufpreisprämien des Staates. Die Leute würden sie dann auch ohne staatliche Förderung kaufen. Lasst den Markt entscheiden und investiert lieber in eine attraktive, praxistaugliche Ladeinfrastruktur.
Neue Zölle sind grundsätzlich der falsche Weg, denn Staat A führt sie ein, Staat B zieht nach und die Staaten C, D und E fühlen sich dann auch irgendwie verpflichtet Einfuhren zu erschweren. Am Ende wird s für alle teurer.
Michel: Das von der EU verhängte Verbrenner-Aus ab 2035 möchte die CDU rückgängig machen. Wie stehen Sie dazu?
Bosbach: Drücke die Daumen, bin aber skeptisch, was die Erfolgsaussichten angeht denn nur in ganz wenigen EU-Staaten hat die Automobilindustrie eine solche Bedeutung wie bei uns. Und Frau von der Leyen möchte doch als „Green Queen“ Geschichte schreiben, trotz aller Risiken und Nebenwirkungen für Industrie, Standorte, Arbeitsplätze und Wohlstandssicherung.
Michel: Weltweit sind 437 Kernkraftwerke in Betrieb und über 50 im Bau oder in der Planung.
Halten Sie in Deutschland eine Rückkehr zur Energieerzeugung mit Kernkraftwerken oder einer neuen technischen Entwicklung für durchführbar?
Bosbach: Es war ein Fehler, nach der Naturkatastrophe von Fukushima, Hals-über-Kopf aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Ein noch größerer war es, mitten in einer Energiekrise – ausgelöst durch externe Schocks – auch noch die letzten drei KKWs abzuschalten. Dafür importieren wir jetzt Atomstrom aus Frankreich.
Welches Energieversorgungsunternehmen möchte denn zukünftig ein KKW betreiben? An welchen Standorten? Selbst wenn diese Fragen beantwortet wären, wer garantiert denn den Betreibern, dass die Politik in wenigen Jahren nicht schon wieder eine Rolle rückwärts vollführt? Das wäre dann der Ausstieg nach dem Wiedereinstieg nach dem Ausstieg.
Michel: Auf Wunsch der CDU haben Sie in den neuen Bundesländern Wahlkampfunterstützung geleistet. Haben Sie die Wahlergebnisse speziell in Brandenburg überrascht? Wird die CDU die Brandmauern sowohl nach links als auch nach rechts erhalten können? Ist die Partei BSW letztendlich die Lösung zur Bildung neuer Landesregierungen?
Bosbach: Die Ergebnisse entsprachen nicht meinen Hoffnungen, jedoch meinen Erwartungen. In Brandenburg und Sachsen waren es persönliche Erfolge der Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Michael Kretschmer. Unvereinbarkeitsbeschlüsse hat die Union mit der AfD und der Linkspartei und dabei bleibt es auch. Keine Koalition, keine Kooperation, Ende.
Beim BSW wird entscheidend sein, welche Agenda die Partei verfolgt. Soll es um die Interessen des jeweiligen Bundeslandes gehen, oder haben die BSW-Landesverbände die Stallorder, die Träume von Frau Wagenknecht zu erfüllen? Also Schwächung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine und der NATO und Putin helfen, seine Ziele zu erreichen?
Michel: Die Bundesregierung hat auf Druck der CDU konkrete Maßnahmen zur Vermeidung des unbegrenzten Zuwachses von Flüchtlingen ergriffen – z.B. Grenzkontrollen. Reichen diese Schritte aus, das Interesse der Flüchtlinge und Asylsuchenden an Deutschland zu reduzieren?
Bosbach: Die Grenzkontrollen waren überfällig und deren Ergebnisse zeigen, wie notwendig sie sind. Leider! Dieser Schritt bleibt notwendig, er ist aber nicht ausreichend.
Jetzt warten alle auf zusätzliche Reaktionen der EU. Meine Befürchtung: da können wir noch lange warten. Der berühmte Satz: „Wir brauchen eine europäische Lösung!“, ist doch in Wahrheit das Eingeständnis, dass man national nichts machen möchte. Was spricht eigentlich ganz konkret gegen den Grundsatz: „Wenn und solange Asylverfahren außerhalb der EU nicht möglich sind, kann innerhalb der Grenzen der EU nur ein Antrag gestellt werden“?
Michel: Die politische, wirtschaftliche und militärische Zustimmung für die Unterstützung der Ukraine wird von einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen.
Kann dies für die Politik und die Demokratie in unserem Land zu einer Gefahr werden?
Bosbach: Leider richtig und auch deshalb interessant, weil die Vertreter der Fraktion „keine weiteren Hilfen für die Ukraine!“ folgendes übersehen: Wenn die Ukraine sich gegen Putin militärisch nicht mehr erfolgreich zur Wehr setzen kann, dann ist eine souveräne Ukraine Geschichte. Dann wird aus diesem Land eine Kolonie Moskaus. Unter diesen Verhältnissen werden aber Millionen Ukrainer nicht mehr leben wollen, die Zahl der Flüchtlinge wird sich massiv erhöhen. Wenn das so kommt, möchte ich mir die Folgen für Deutschland gar nicht vorstellen. Nicht außen- und verteidigungspolitisch, nicht gesellschaftlich, nicht parteipolitisch. Und viele Leute jubeln Wagenknecht und ihren antiwestlichen Tiraden trotzdem zu. Fürchterlich.