„Gemordete Zeit“

Erich Loest

…sagte Erich Loest  bei unserer ersten Begegnung 1981 in Bonn, als er über seine siebeneinhalbjährige Haft im „Gelben Elend“ im unmenschlichen Stasi-Zuchthaus Bautzen sprach, zu der er wegen seiner offen vorgetragenen Kritik in der DDR und seinem Nachdenken über eine Entstalinisierung verurteilt worden war. Er ist heute gestorben.

Loest gehörte nicht nur  zu den bekanntesten Schriftstellern der DDR und des vereinigten Deutschland, er erlebte deutsche Zeitgeschichte auf wechselhafte Weise am eigenen Leib. Er setzte sich in seinen Romanen und Erzählungen  immer wieder mit der deutschen Teilung und der Wiedervereinigung auseinander, er ist  Chronist deutsch-deutscher Geschichte.

Erich Loest, das ist der , dessen scheinbar harmonisches Weltbild nach dem 17. Juni 1953, dem Arbeiter und Volksaufstand in der DDR, nachhaltig ins Wanken geriet und der 1956  die Aufstände in Polen und die blutige Niederschlagung des Ungarnaufstandes  als endgültige Zerstörung seiner Leitbilder  in der DDR erlebte. Erich Loest das ist , wie Carl Zuckmayer dies im Schweizer Exil in seiner Autobiographie „Als wärs ein Stück von mir“ beschrieben hatte: „Freiheit und Vaterland…wo das vereint wäre , wo man beides  zusammen hätte, dort könnte man leben. Und vielleicht wird diese Vereinigung doch eines Tages  auch dem unglückseligen Deutschland zuteil.“ Einige Autoren im Westen, wie im Osten erwiesen sich bei näherer Betrachtung oder nur bei unvorteilhafter Beleuchtung gerade hier  nicht als die Moralinstanzen und Hoffnungsträger, für die man sie gehalten hatte. Erich Loest , der solche Tendenzen aufdeckte und gegen ein „Leben in  Lüge“ Stellung nahm und auch nach dem Ende des „real existierenden Sozialismus“-Kommunismus der DDR nicht meinte, über dem Vergangenen den Mantel des Vergessens ausbreiten zu müssen. Mit der Offenlegung seiner Stasi-Akte sorgte  er dafür, dass Herrschaftswissen in die Hände und Köpfe seiner Leser geriet.

Loest redete nicht nur von Aufklärung. Er war ihr legitimes Kind – im Unterschied zu manchen, für die  das Wort Aufklärung  nur eine Schutzbehauptung ist, für diejenigen die eigentlich  der Aufklärung bedürfenÜber ihn ist zurecht geschrieben worden , er repräsentiere zugleich das ostdeutsche Sonderschicksal und die allgemeine deutsche Kontinuität.

Ich bin Erich Loest  in über 30 Jahren immer wieder begegnet.  Welch ein mutiger, ein starker, welch ein bescheidener  Mann  Auch durch dem Bautzener Terror die nachfolgenden Repressalien weder verbogen noch gebrochen, unverzagt, einfach, liebevoll, zweiflerisch, nachsichtig. Kein Versöhnler, ein streitfreudiger Demokrat , unbeirrbar sein Gedenken ans Unrecht, kein Schmeichler, aber voll lebendiger Neugier und  ohne Larmoyanz. Ein Mann mit Rückgrat und einer, der nicht nur den Kern, sondern auch das Herz der Dinge sieht. Seine Lesung  zu meinem 65. Geburtstag im Beethovenhaus Bonn war literarisch und in  Wahlverwandschaft ein großes Geschenk:

In seinem 1995 erschienen Bestsellerroman „Nikolaikirche“ erzählt Loest die Geschichte der Leipziger Montagsdemonstrationen des Jahres 1989 und den Weg zur Revolution in der DDR. Die eigene Zeit nach dem Wechsel nach Bonn und in den Westen dokumentiert sein 1997 erschienenes Buch „Als wir in den Westen kamen. Gedanken eines literarischen Grenzgängers.“ Schreiben und Dialog blieb nicht Beruf, es war längst Berufung geworden.

Erich Loest  hat in der Revolution 1989  wieder seine erste Lesung in der DDR gehalten  und  im Februar 1990 wurde er wieder Bürger in Leipzig.

Bedeutende Literatur lebt vom Interesse, dem Interesse des Autors an seiner Welt und an seinen Mitmenschen, sie lebt unser aller Interesse an unserem Leben.

1989 hat das Volk seinen Namen gerufen. Erich Loest hat Namen aufgeschrieben und Menschen der ersten erfolgreichen demokratischen Revolution in Deutschland ein literarisches „denk mal“ gesetzt. Zu seiner Trauerfeier wollte er keine „Lyrik“. Ja, so ein Mann der  Freiheit und des Menschenrecht, ist den besten Champagner wert.

Waldemar Ritter, Bonn 12. September 2013

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